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VergMan ® – Spruchpraxis der Vergabekammern und Vergabesenate von A bis Z

 

von Thomas Ax

A
Anforderungen aus „Spezialvorschriften“ müssen beachtet werden

EuGH, Urteil vom 26.01.2023 – Rs. C-403/21

1. Art. 58 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in Verbindung mit den in Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie garantierten Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz ist dahin auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber als Eignungskriterien Verpflichtungen vorschreiben kann, die sich aus Spezialvorschriften für Tätigkeiten ergeben, die im Rahmen der Ausführung eines öffentlichen Auftrags möglicherweise durchgeführt werden müssen und die von geringer Bedeutung sind.

2. Die in Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24 garantierten Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz sind dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass die Auftragsunterlagen automatisch durch Qualifikationskriterien ergänzt werden, die sich aus für Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem zu vergebenden Auftrag geltenden Spezialvorschriften ergeben, die in den Auftragsunterlagen nicht vorgesehen sind und die der öffentliche Auftraggeber den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern nicht vorschreiben wollte.

3. Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 ist dahin auszulegen, dass er dem Ausschluss eines Bieters aus dem Vergabeverfahren mit der Begründung, dass er den Unterauftragnehmer nicht benannt habe, dem er die Erfüllung von Verpflichtungen zu übertragen beabsichtige, die sich aus Spezialvorschriften für Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Auftrag ergäben und die in den Auftragsunterlagen nicht vorgesehen seien, entgegensteht, wenn dieser Bieter in seinem Angebot angegeben hat, dass er diese Verpflichtungen unter Inanspruchnahme der Kapazitäten eines anderen Unternehmens erfüllen werde, ohne jedoch mit diesem Unternehmen durch einen Unterauftrag verbunden zu sein.

A
Änderung der Vergabeunterlagen

OLG Bremen, Beschluss vom 04.11.2022 – 2 Verg 1/22

1. Angebote, bei denen Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen wurden, sind von der Wertung auszuschließen. Eine (unzulässige) Änderung der Vergabeunterlagen liegt vor, wenn ein Bieter von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht, er also eine andere als die ausgeschriebene Leistung anbietet.
2. Hält ein Bieter die Vorgaben des Auftraggebers für unzweckmäßig, rechtfertigt dies keine Abweichung von für sich genommen eindeutigen Vorgaben der Leistungsbeschreibung. Es ist Sache des Auftraggebers, den eigenen Bedarf zu definieren.
3. Der öffentliche Auftraggeber ist nicht dazu verpflichtet, in der Ausschreibung eine weitergehende Vielfalt von technischen Lösungen zuzulassen.
4. Ein Nachprüfungsantrag ist grundsätzlich nur solange der statthafte Rechtsbehelf, solange ein Vergabeverfahren noch nicht durch einen wirksamen Zuschlag abgeschlossen ist.
5. Sobald der Zuschlag wirksam erteilt ist und eine damit verbundene Rechtsverletzung des Bieters nicht mehr verhindert werden kann, können die Vergabenachprüfungsinstanzen nicht mehr in zulässiger Weise angerufen werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nur in den beiden in § 135 Abs. 1 GWB genannten Fällen.

A
Änderung des Beschaffungsbedarfs ist sachlicher Aufhebungsgrund

VK Nordbayern, Beschluss vom 06.07.2022 – RMF-SG21-3194-7-16

1. Anders als die Zuschlagsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers wirkt seine Aufhebungsentscheidung nicht als absolute, den Primärrechtsschutz ausschließende Zäsur, so dass die Aufhebungsentscheidung einer Kontrolle im Nachprüfungsverfahren unterzogen werden kann.
2. Als Feststellungsinteresse genügt jedes anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern. Es ist jedenfalls gegeben, wenn die Feststellung zur Vorbereitung eines Schadensersatzanspruchs dient und ein solcher Prozess mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist und nicht offenbar aussichtslos erscheint.
3. Es ist nicht Aufgabe der Vergabekammer – anders als im Fall, in dem die Unwirksamkeit eines Zuschlags gerügt wird – streitig über die Frage, ob ein Zuschlag wirksam zustande gekommen ist, zu befinden.
4. Bieter müssen die Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht nur dann hinnehmen, wenn sie vergaberechtlich zulässig und daher von vornherein rechtmäßig ist. Ein öffentlicher Auftraggeber ist grundsätzlich nicht gezwungen, ein Vergabeverfahren mit der Zuschlagserteilung abzuschließen, auch wenn keiner der zur Aufhebung berechtigenden Tatbestände erfüllt ist. Die vergaberechtlichen Aufhebungsgründe schränken das Recht des Auftraggebers, ein Vergabeverfahren ohne Zuschlag zu beenden, grundsätzlich nicht ein. Sie haben vielmehr Bedeutung für die Abgrenzung einer rechtmäßigen Aufhebung von einer zwar wirksamen, aber rechtswidrigen Beendigung des Vergabeverfahrens.
5. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV ist der öffentliche Auftraggeber berechtigt, ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat. Anerkannt ist, dass die Änderung erst nach Einleitung des Vergabeverfahrens, d. h. nach Bekanntmachung, eingetreten sein darf. Zudem ist anerkannt, dass die Änderungen zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens nicht vorhersehbar gewesen sein durften. Dies gilt insbesondere für die Änderung des definierten Beschaffungsbedarfs.
6. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV ist die Entscheidung über die Aufhebung in das Ermessen der Vergabestelle gestellt, da die Vorschrift zur Aufhebung berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung, die nachvollziehbar dokumentiert sein muss, sind die betroffenen Interessen in eine Abwägung einzustellen. Neben den Interessen des Auftraggebers sind daher insbesondere auch die Interessen der Bieter in die Abwägung mit einzubeziehen.

A
Aufhebung ist kein Automatismus

VK Thüringen, Beschluss vom 07.07.2022 – 4003-392-2022-E-004-WAK

1. Auch wenn ein in der einschlägigen Vergabeverordnung normierter Aufhebungsgrund vorliegt, ist die Aufhebung der Ausschreibung vergaberechtswidrig, wenn der Auftraggeber das ihm eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt bzw. dies nicht hinreichend dokumentiert hat.
2. Der Auftraggeber hat – auch wenn ein Aufhebungsgrund vorliegt -zu überlegen und abzuwägen, ob er die Ausschreibung aufhebt. Er hat sämtliche für und gegen eine Aufhebung des Vergabeverfahrens sprechenden Belange seiner selbst und der Bieter gegeneinander abzuwägen. Zu prüfen ist zudem, ob weniger einschneidende Alternativen in Betracht kommen.
3. In einem Vergabeverfahren nach VgV sind die Bieter im Öffnungstermin (weiterhin) nicht zugelassen und die Preise damit zumindest bis auf Weiteres geheim. Die Regelungen über den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen der Unternehmen sind bieterschützend.
4. Verstößt der öffentliche Auftraggeber gegen die Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit, ist er wegen Verletzung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses zum Schadensersatz verpflichtet, wenn dem Bewerber oder Bieter dadurch nachweislich ein Schaden entstanden ist.

B
Bauplatzvergabe muss transparent erfolgen

VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.07.2022 – 1 S 1121/22

1. Der bei gemeindlichen Bauplatzvergaben grundsätzlich bestehende, in Art. 3 Abs. 1 GG wurzelnde sog. Vergabeverfahrensanspruch vermittelt Bewerbern einen Anspruch auf eine ermessens-, insbesondere gleichheitsrechtsfehlerfreie Vergabeentscheidung.
2. Jeder Mitbewerber muss aufgrund seines Anspruchs auf Gleichbehandlung eine faire Chance erhalten, nach Maßgabe der für die spezifische Vergabe wesentlichen Kriterien und des vorgesehenen Verfahrens berücksichtigt zu werden. Das setzt voraus, dass der die Vergabeentscheidung treffende Hoheitsträger etwaige ermessenslenkende Richtlinien im Hinblick auf die Vergabekriterien so klar und eindeutig formuliert, dass jeder verständige Bewerber sie gleichermaßen verstehen, seine Chancen abschätzen und insbesondere erkennen kann, welche Unterlagen er einreichen und welche Angaben er machen muss, um im Vergabeverfahren zugelassen und inhaltlich berücksichtigt zu werden (sog. Transparenzgebot).

B
Beschaffungs- und Rechtsdienstleistung

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.05.2022 – Verg 33/21

1. Der Bereich der Beschaffungsdienstleistung kann gegenüber dem Bereich der Rechtsdienstleistung als eigenständiges Fachlos eingeordnet werden.
2. Kann die benötigte Leistung auch in Form einer Fachlosvergabe erbracht werden, ist zu prüfen, ob von einer losweisen Vergabe ausnahmsweise abgesehen werden kann, etwa weil wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern.
3. Unter technischen und wirtschaftlichen Gründen sind solche zu verstehen, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen.
4. Mit der beruflichen Haupttätigkeit des Beschaffungsdienstleisters sind typischerweise bestimmte Rechtsdienstleistungen verbunden, da der Übergang zwischen bloßer Rechtsanwendung und juristischer Rechtsprüfung fließend ist.

B
Beteiligungsverhältnisse überschritten: Gesellschafter darf abgelehnt werden

EuGH, Urteil vom 01.08.2022 – Rs. C-332/20

1. Art. 58 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 der Kommission vom 18. Dezember 2017 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber einen Wirtschaftsteilnehmer von dem Verfahren zur Gründung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft und zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags an diese Gesellschaft mit der Begründung ausschließen kann, dass, wenn er ihn als Mitgesellschafter auswählen würde, seine nach den Ausschreibungsunterlagen höchstzulässige Beteiligung an der gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft wegen seiner mittelbaren Beteiligung an ihm faktisch überschritten würde, sofern sein wirtschaftliches Risiko dadurch zunimmt.*)
2. Art. 38 der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe, in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2366 der Kommission vom 18. Dezember 2017 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber einen Wirtschaftsteilnehmer von dem Verfahren zur Gründung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft und zur Vergabe einer Dienstleistungskonzession an diese Gesellschaft mit der Begründung ausschließen kann, dass, wenn er ihn als Mitgesellschafter auswählen würde, seine nach den Ausschreibungsunterlagen höchstzulässige Beteiligung an der gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft wegen seiner mittelbaren Beteiligung an ihm faktisch überschritten würde, sofern sein wirtschaftliches Risiko dadurch zunimmt.*)

B
„Billigender Prüfvermerk“ durch den Auftraggeber

VK Bund, Beschluss vom 07.12.2022 – VK 1-95/22

1. Die Wertungsentscheidung kann vom Auftraggeber nicht auf Dritte delegiert werden. Es handelt sich um eine eigenverantwortlich zu treffende Entscheidung des Auftraggebers.
2. Zieht der Auftraggeber – was grundsätzlich zulässig ist – externen Sachverstand bei der Angebotsbewertung hinzu, muss die Wertungsentscheidung dennoch vom Auftraggeber selbst getragen werden.
3. An den „billigenden Prüfvermerk“, mit dem sich der Auftraggeber die Angebotswertungen des externen Dienstleisters zu eigen machen kann, sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Der Vermerk „inhaltlich richtig“ oder „einverstanden“ auf dem Vergabevermerk reicht bereits aus.

C
Carsharing von E-Fahrzeugen ist Dienstleistungskonzession

EuGH, Urteil vom 10.11.2022 – Rs. C-486/21

1. Art. 5 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die Konzessionsvergabe in der Fassung der Delegierten Verordnung (EU) 2019/1827 der Kommission vom 30.10.2019 ist dahin auszulegen, dass es sich bei einem Vorgang, durch den ein öffentlicher Auftraggeber mit der Einrichtung und Verwaltung eines Systems des Mietens und der gemeinschaftlichen Nutzung (Carsharing) von Elektrofahrzeugen einen Wirtschaftsteilnehmer zu betrauen beabsichtigt, dessen finanzieller Beitrag überwiegend für den Erwerb dieser Fahrzeuge verwendet wird, wobei die Einnahmen dieses Wirtschaftsteilnehmers hauptsächlich aus den von den Nutzern dieser Dienstleistung gezahlten Gebühren stammen werden, um eine „Dienstleistungskonzession“ handelt, da solche Merkmale zu belegen vermögen, dass das Risiko im Zusammenhang mit der Verwertung der konzessionierten Dienstleistungen auf diesen Wirtschaftsteilnehmer übertragen wurde.
2. Art. 8 der Richtlinie 2014/23 in der Fassung der Delegierten Verordnung 2019/1827 ist dahin auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber bei der Feststellung, ob der Schwellenwert für die Anwendbarkeit dieser Richtlinie erreicht ist, den „Gesamtumsatz ohne Mehrwertsteuer, den der Konzessionsnehmer während der Vertragslaufzeit erzielt“ unter Berücksichtigung der Gebühren, die die Nutzer an den Konzessionsnehmer entrichten werden, sowie der Beiträge und Kosten, die der öffentliche Auftraggeber tragen wird, zu schätzen hat. Der öffentliche Auftraggeber kann jedoch auch davon ausgehen, dass der für die Anwendung der Richtlinie 2014/23 in der Fassung der Delegierten Verordnung 2019/1827 vorgesehene Schwellenwert erreicht ist, wenn die Investitionen und Kosten, die vom Konzessionsnehmer allein oder zusammen mit dem öffentlichen Auftraggeber während der gesamten Laufzeit des Konzessionsvertrags zu tragen sind, diesen Schwellenwert offensichtlich überschreiten.
3. Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23 in der Fassung der Delegierten Verordnung 2019/1827 in Verbindung mit Anhang V Nr. 7 Buchst. b und dem vierten Erwägungsgrund dieser Richtlinie sowie mit Art. 4 und Anhang XXI Punkt III.1.1 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986 der Kommission vom 11. November 2015 zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Vergabebekanntmachungen für öffentliche Aufträge und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 842/2011 ist dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber als Eignungskriterium und für die qualitative Bewertung der Bewerber verlangen kann, dass die Wirtschaftsteilnehmer im Handels- oder Berufsregister eingetragen sind, sofern ein Wirtschaftsteilnehmer seine Eintragung im entsprechenden Register in dem Mitgliedstaat, in dem er niedergelassen ist, vorweisen darf.
4. Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23 in der Fassung der Delegierten Verordnung 2019/1827 in Verbindung mit Art. 27 dieser Richtlinie und Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2195/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.11.2002 über das Gemeinsame Vokabular für öffentliche Aufträge (CPV) ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein öffentlicher Auftraggeber, der von den Wirtschaftsteilnehmern verlangt, im Handels- oder Berufsregister eines Mitgliedstaats der Union eingetragen zu sein, nicht auf das aus CPV-Codes bestehende Gemeinsame Vokabular für öffentliche Aufträge verweist, sondern auf die Klassifikation NACE Rev. 2, wie sie durch die Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 zur Aufstellung der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige NACE Revision 2 und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 des Rates sowie einiger Verordnungen der EG über bestimmte Bereiche der Statistik eingeführt wurde.
5. Art. 38 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/23 in der Fassung der Delegierten Verordnung 2019/1827 in Verbindung mit Art. 26 Abs. 2 dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber nicht ohne Verstoß gegen den durch Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie gewährleisteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von jedem Mitglied eines befristeten Zusammenschlusses von Unternehmen verlangen kann, in einem Mitgliedstaat im Handels- oder Berufsregister eingetragen zu sein, um die Tätigkeit der Vermietung von Kraftwagen mit einem Gesamtgewicht von 3,5 t oder weniger auszuüben.

C
Chance auf den Zuschlag für Nachprüfungsantrag notwendig

BayObLG, Beschluss vom 20.01.2023 – Verg 14/22

1. Liegt das Angebot eines Bieters auf einem abgeschlagenen Platz, muss er zur Begründung seiner Antragsbefugnis (§ 160 Abs. 2 GWB) schlüssig Vergabeverstöße behaupten, die sich auf die Rangfolge der Angebote in der Weise auswirken können, dass sein Angebot auf eine aussichtsreiche Rangstelle vorrückt, oder die es gebieten, das Vergabeverfahren – bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht – noch weitergehend zurückzuversetzen.
2. Erforderlich ist, dass der Bieter Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorträgt, die einen hinreichenden Verdacht auf den gerügten Vergabeverstoß begründen. Daran fehlt es, wenn die Argumentation des Antragstellers nicht plausibel ist, weil er ihm bekannte Tatsachen ausblendet.

E
Eignungskriterien nicht bekannt gemacht: Schwer wiegender Vergaberechtsverstoß

VK Bund, Beschluss vom 31.08.2022 – VK 2-72/22

1. Ein Bieter ist im Vergabenachprüfungsverfahren nur antragsbefugt, wenn er darlegt, dass ihm durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
2. Bezugspunkt des Schadens hat ein Nachteil zu sein, der kausal auf den Vergabefehler zurückgeht. Im Entgehen einer zweiten Chance liegt kein Schaden, wenn der Vergabefehler nicht ursächlich für die Nichtberücksichtigung des Angebots war.
3. Führt der öffentliche Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung keine Eignungskriterien auf, liegt zwar ein Vergaberechtsverstoß vor. Eine Gesamtbetrachtung des Vorgangs kann aber ergeben, dass es sich um keinen schwer wiegenden Vergabefehler handelt (Abgrenzung zu OLG Düsseldorf, IBR 2018, 640).

E
Einziges Angebot ungeeignet: Verhandlungsverfahren mit nur einem Bieter zulässig

EuGH, Urteil vom 16.06.2022 – Rs. C-376/21

1. Art. 160 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.07.2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1296/2013, (EU) Nr. 1301/2013, (EU) Nr. 1303/2013, (EU) Nr. 1304/2013, (EU) Nr. 1309/2013, (EU) Nr. 1316/2013, (EU) Nr. 223/2014, (EU) Nr. 283/2014 und des Beschlusses Nr. 541/2014/EU sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 und Art. 102 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates in der durch die Verordnung (EU, Euratom) 2015/1929 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Oktober 2015 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie auf von öffentlichen Auftraggebern der Mitgliedstaaten durchgeführte Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge selbst dann keine Anwendung finden, wenn diese Aufträge aus Mitteln der europäischen Struktur- und Investitionsfonds finanziert werden.
2. Art. 32 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2015/2170 der Kommission vom 24.11.2015 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 in der durch die Delegierte Verordnung 2015/2170 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sich ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung an einen einzigen Wirtschaftsteilnehmer wenden darf, wenn dieses Verfahren die ursprünglichen Auftragsbedingungen, die in einem zuvor eingeleiteten Verfahren genannt waren, das eingestellt worden ist, weil das einzige abgegebene Angebot ungeeignet war, ohne grundlegende Änderungen übernimmt, auch wenn der Gegenstand des fraglichen Auftrags objektiv keine Besonderheiten aufweist, die es rechtfertigen, seine Ausführung nur diesem Wirtschaftsteilnehmer anzuvertrauen.

E
eVergabe: Beschaffungsdienstleister darf Angebote öffnen

VK Südbayern, Beschluss vom 16.05.2022 – 3194.Z3-3_01-21-62

1. Beantwortet ein öffentlicher Auftraggeber eine Bieterfrage nicht eindeutig, so kann ein Bieter, der in seinem Angebot eine vertretbare Interpretation der Antwort berücksichtigt, nicht wegen Änderungen der Vergabeunterlagen ausgeschlossen werden.
2. Die Vergabekammer hält für mit elektronischen Mitteln nach § 10 und § 11 VgV geführte Vergabeverfahren nicht mehr an ihrer im Beschluss vom 02.01.2018 (IBR 2018, 343, zu einem in Papier durchgeführten Vergabeverfahren) geäußerten Rechtsauffassung fest. Durch die Nutzung von Vergabeplattformen zur Angebotsabgabe und Angebotseröffnung, aufgrund der umfassenden elektronischen Protokollierung der Angebotsschritte ist die Gefahr von Manipulationen verschwindend gering.

F
Fachpersonal muss schon bei Angebotsabgabe zur Verfügung stehen

VK Sachsen, Beschluss vom 01.08.2022 – 1/SVK/010-22

1. Nimmt eine Bietergemeinschaft an einem Vergabeverfahren teil, muss die Rüge eines Vergaberechtsverstoßes von sämtlichen Mitgliedern der Bietergemeinschaft geltend gemacht werden. Macht hingegen lediglich ein Mitglied der Bietergemeinschaft die Verletzung von Bewerber- oder Bieterrechten geltend, ist ein späterer Nachprüfungsantrag der Bietergemeinschaft mangels ordnungsgemäßer Rüge unzulässig, wenn die Bietergemeinschaft das Mitglied nicht zur Rüge ermächtigt hat oder die Ermächtigung nicht spätestens mit der Rüge offengelegt wird.
2. Es ist nicht erforderlich, dass dem Bieter im Zeitpunkt der Wertung der Angebote oder der Zuschlagserteilung die zur Leistungserbringung erforderlichen Mittel bereits zur Verfügung stehen. Dies gilt auch für Personal, das erst auf der Grundlage des erteilten Auftrags für den Bieter erforderlich ist und arbeitsvertraglich gebunden werden muss. Etwas anderes gilt dann, wenn es sich bei den zu vergebenden Dienstleistungen um solche handelt, für die auf dem Arbeitsmarkt nur eine begrenzte Anzahl an geeigneten Mitarbeitern zur Verfügung steht, so dass von einer jederzeitigen Verfügbarkeit nicht ohne weiteres ausgegangen werden kann. In einem solchen Fall ist erforderlich, dass der Bieter in seinem Angebot konkret darlegen kann, aus welchen Gründen ihm das zur Auftragserfüllung erforderliche Personal bei Vertragsbeginn tatsächlich zur Verfügung stehen wird.

F
Funktionaler Ausschreibung: Angebote müssen vergleichbar sein

VK Westfalen, Beschluss vom 17.02.2023 – VK 3-48/22

1. Eine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB kommt jedenfalls bei offensichtlichen, ins Auge fallenden Rechtsverstößen in Betracht, die einem Bieter bei der bloßen Durchsicht der Vergabeunterlagen auffallen bzw. sich ihm aufdrängen müssen. Unter einem sich Aufdrängen fällt auch ein bewusstes Sich-der-Erkenntnis-Verschließen. Ein Unternehmer verschließt sich der Erkenntnis eines Vergaberechtsverstoßes, wenn er als Teilnehmer eines Verhandlungsverfahrens mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb einen Vergaberechtsverstoß erst nach Abgabe des finalen Angebots rügt, obwohl er sich mit den Vergabeunterlagen bereits zur Erstellung eines ersten indikativen Angebots intensiv auseinandersetzen musste und die streitigen Ausschreibungsunterlagen nicht nur gelesen, sondern auch angewendet hat.
2. Ein Zuschlags(unter)kriterium soll dem Auftraggeber eine weitergehende Differenzierung zwischen den Angeboten ermöglichen, um auf dieser Grundlage eine nachvollziehbare Auswahlentscheidung treffen zu können. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es im Rahmen der Bewertung einen Punktwert erhält und sich dieser in der Gesamtwertung wiederfindet. In Abgrenzung hierzu sind mit Blick auf den einem öffentlichen Auftraggeber bei der Wertung zukommenden Beurteilungsspielraum nicht sämtliche Überlegungen, die er im Rahmen der Wertung anstellt, gleich Zuschlagskriterien. Ein öffentlicher Auftraggeber muss sich mit den Angebotsinhalten auseinandersetzen und diese unter die Zuschlagskriterien subsumieren können.
3. Im Rahmen einer funktionalen Ausschreibung überlässt der Auftraggeber dem Wettbewerb Rahmenbedingungen zur Lösung einer Aufgabe. Er ist zur Vorgabe von Lösungsvorschlägen nicht verpflichtet. Das gilt nicht nur bei standardisierten Leistungen, sondern auch bei einem komplexen Auftragsgegenstand. Diesbezüglich ist allerdings zu berücksichtigen, dass mit steigender Komplexität wechselwirkend die Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit der vorgegebenen Rahmenbedingungen steigen. Die Offenheit des Verhandlungsverfahrens darf nicht dazu führen, dass Bieter nicht mehr miteinander vergleichbare Angebote abgeben bzw. nicht mehr erkennen können, was von ihnen verlangt ist.

G
Geschäftsgeheimnisse

EuGH, Urteil vom 17.11.2022 – Rs. C-54/21

1. Art. 18 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 50 Abs. 4 und Art. 55 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge, nach denen die den öffentlichen Auftraggebern von den Bietern übermittelten Informationen – mit Ausnahme allein der Geschäftsgeheimnisse – vollständig zu veröffentlichen oder den anderen Bietern mitzuteilen sind, sowie einer Praxis der öffentlichen Auftraggeber, die darin besteht, Anträgen auf vertrauliche Behandlung wegen Geschäftsgeheimnissen systematisch stattzugeben, entgegenstehen.
2. Art. 18 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 und Art. 55 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 sind dahin auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber
– bei der Entscheidung darüber, ob er einem Bieter, dessen ordnungsgemäßes Angebot abgelehnt wurde, den Zugang zu den Informationen verweigert, die die anderen Bieter zu ihrer einschlägigen Erfahrung und den entsprechenden Referenzen, zur Identität und zu den beruflichen Qualifikationen der für die Ausführung des Auftrags vorgeschlagenen Personen oder von Unterauftragnehmern, zur Konzeption der Projekte, die im Rahmen des öffentlichen Auftrags durchgeführt werden sollen, und zur Art und Weise seiner Ausführung vorgelegt haben, zu beurteilen hat, ob diese Informationen einen wirtschaftlichen Wert haben, der sich nicht auf den fraglichen öffentlichen Auftrag beschränkt, so dass ihre Offenlegung berechtigte geschäftliche Interessen oder den lauteren Wettbewerb beeinträchtigen kann;
– im Übrigen den Zugang zu diesen Informationen verweigern kann, wenn ihre Offenlegung, selbst wenn sie keinen solchen wirtschaftlichen Wert haben, den Gesetzesvollzug behindern würde oder sonst einem öffentlichen Interesse zuwiderliefe;
– dem Bieter, wenn der vollständige Zugang zu den Informationen verweigert wird, Zugang zum wesentlichen Inhalt der betreffenden Informationen gewähren muss, damit die Wahrung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewährleistet ist.
3. Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 ist im Licht ihres Art. 67 Abs. 4 dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass die Zuschlagskriterien das „Arbeitskonzept“ für die Entwicklung der Projekte, die im Rahmen des betreffenden öffentlichen Auftrags durchgeführt werden sollen, und die „Beschreibung der Art und Weise der Auftragsausführung“ umfassen, sofern diese Kriterien mit Präzisierungen versehen sind, die es dem öffentlichen Auftraggeber ermöglichen, die eingereichten Angebote konkret und objektiv zu beurteilen.
4. Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass dann, wenn bei der Behandlung eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags festgestellt wird, dass der öffentliche Auftraggeber verpflichtet ist, dem Rechtsbehelfsführer Informationen offenzulegen, die zu Unrecht als vertraulich behandelt wurden, und dass aufgrund der fehlenden Offenlegung dieser Informationen gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verstoßen wurde, diese Feststellung nicht zwingend zum Erlass einer neuen Entscheidung über die Vergabe des Auftrags durch diesen Auftraggeber führen muss, sofern es das nationale Verfahrensrecht dem angerufenen Gericht erlaubt, während des Verfahrens Maßnahmen zu ergreifen, durch die das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf wieder gewahrt wird, oder davon auszugehen, dass der Rechtsbehelfsführer gegen die bereits ergangene Vergabeentscheidung einen neuen Rechtsbehelf einlegen kann. Die Frist für die Einlegung eines solchen Rechtsbehelfs darf erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, zu dem der Rechtsbehelfsführer Zugang zu allen Informationen hat, die zu Unrecht als vertraulich eingestuft worden waren.

H
Hyperbolische Preisbewertungsformel

OLG Celle, Beschluss vom 07.07.2022 – 13 Verg 4/22

1. Zur Antragsbefugnis im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, wenn nach der Bewertung der Angebote die fehlende Bekanntgabe der – hyperbolischen – Preisbewertungsformel in den Vergabeunterlagen beanstandet wird.
2. Zur Frage, ob die gewählte – hyperbolische – Preisbewertungsformel in den Vergabeunterlagen bekannt gegeben werden muss (vgl. EuGH, IBR 2016, 530 – Dimarso).
3. Zur Frage, welche Anforderungen an die vom EuGH geforderte Festlegung der Bewertungsmethode vor Angebotsöffnung zu stellen sind, wenn die Preisbewertungsformel durch die vom Auftraggeber verwendete Vergabesoftware fest vorgegeben ist.
3. Zum Ausgleich eines Informationsvorsprungs eines Bieters, der in einem in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzten Vergabeverfahren ein Informationsschreiben gem. § 134 Abs. 1 GWB erhalten hatte, und zur Rügepräklusion in diesem Fall.

I
Inhouse-Auftrag

EuGH, Urteil vom 12.05.2022 – Rs. C-719/20

Die Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift oder Praxis entgegensteht, nach der die Ausführung eines öffentlichen Auftrags, der ursprünglich ohne Ausschreibung an eine Inhouse-Einrichtung vergeben wurde, über die der öffentliche Auftraggeber gemeinsam mit anderen eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausübte, automatisch von dem Wirtschaftsteilnehmer fortgesetzt wird, der diese Einrichtung nach einer Ausschreibung übernommen hat, wenn der öffentliche Auftraggeber über diesen Wirtschaftsteilnehmer keine solche Kontrolle ausübt und auch nicht an dessen Kapital beteiligt ist.

K
Kenntnis vom Angebotsinhalt

EuGH, Urteil vom 15.09.2022 – Rs. C-416/21

1. Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 d der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 der Kommission vom 18.12.2017 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2364 der Kommission vom 18.12.2017 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der in diesem Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d genannte fakultative Ausschlussgrund Situationen, in denen hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Wirtschaftsteilnehmer eine gegen Art. 101 AEUV verstoßende Vereinbarung geschlossen haben, erfasst, aber nicht auf die in diesem Artikel angeführten Vereinbarungen beschränkt ist.
2. Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 in der durch die Delegierte Verordnung 2017/2365 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/25 in der durch die Delegierte Verordnung 2017/2364 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass dieser Art. 57 Abs. 4 die fakultativen Ausschlussgründe abschließend regelt, mit denen der Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren aus Gründen gerechtfertigt werden kann, die sich, gestützt auf objektive Anhaltspunkte, auf seine berufliche Eignung sowie auf einen Interessenkonflikt oder eine aus seiner Einbeziehung in dieses Verfahren resultierende Wettbewerbsverzerrung beziehen. Aus diesem Art. 57 Abs. 4 ergibt sich jedoch nicht, dass der in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25 in der durch die Delegierte Verordnung 2017/2364 geänderten Fassung vorgesehene Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen könnte.

K
Konzernverbundenheit

VK Bund, Beschluss vom 03.06.2022 – VK 1-45/22

1. Im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb prüft der öffentliche Auftraggeber die Eignung der am Wettbewerb teilnehmenden Unternehmen, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Dadurch wird mit der positiven Eignungsprüfung – anders als im offenen Verfahren – grundsätzlich ein Vertrauenstatbestand für die zum Verhandlungsverfahren zugelassenen Unternehmen begründet.
2. Voraussetzung für einen solchen Vertrauenstatbestand ist jedoch, dass der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Bieter abschließend bejaht hat, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Hieran fehlt es, wenn der Bieter bis zum Abschluss des Teilnahmewettbewerbs nicht alle zur abschließenden Prüfung seiner Eignung erforderlichen Unterlagen eingereicht hat.
3. Ein Bewerber oder Bieter, der selbst nicht über die erforderliche Eignung verfügt, kann sich zwar im Rahmen der sog. Eignungsleihe auf die Eignung eines anderen Unternehmens – ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesem Unternehmen bestehenden Verbindungen – berufen.
4. Es besteht für Bewerber oder Bieter eine Nachweispflicht dafür, dass ihnen die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, wenn sie sich für einen bestimmten Auftrag auf die Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen berufen. Zu den „anderen“ Unternehmen im Sinne der Eignungsleihe zählen auch Unternehmen innerhalb eines Konzernverbunds, auf deren Eignung sich der Bewerber oder Bieter stützen will.
5. Die bloße Konzernverbundenheit selbst genügt noch nicht für den Nachweis, dass der Bewerber tatsächlich auf die Kapazitäten oder Fähigkeiten eines verbundenen Unternehmens zurückgreifen kann. Auch in diesen Fällen muss vom Bewerber nachgewiesen werden, dass ihm die Kapazitäten des Unternehmens zur Verfügung stehen.

K
Korrektur von Vergaberechtsfehlern ist sachlicher Aufhebungsgrund

VK Bund, Beschluss vom 13.06.2022 – VK 2-52/22

1. Unabhängig davon, ob ein Aufhebungsgrund vorliegt, kann ein öffentlicher Auftraggeber von einem Vergabeverfahren grundsätzlich Abstand nehmen.
2. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die Aufhebung der Ausschreibung aufgrund Fehlens eines sachlich gerechtfertigten Grunds willkürlich ist oder wenn die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zum Schein und tatsächlich zu dem Zweck erfolgt, einen Bieter gezielt zu diskriminieren.
3. Die Korrektur von Vergaberechtsfehlern ist ein sachlicher Aufhebungsgrund, wenn eine Manipulation des Vergabeverfahrens hierdurch ausgeschlossen ist. Das gilt insbesondere auch für Aufhebungen, die nach unzureichender Bekanntmachung der Eignungskriterien eine regelrechte Eignungsprüfung der Bieter ermöglichen sollen.

K
Kritische Bauaufgabe: Unterauftragsvergabe unzulässig

VK Lüneburg, Beschluss vom 14.10.2022 – VgK-17/2022

1. Die Eignungskriterien sind in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung aufzuführen. Die früher angewandte Praxis, die Eignungskriterien erst in Vergabeunterlagen mitzuteilen, ist nicht mehr zulässig.
2. Die Eignungskriterien müssen in der Bekanntmachung eindeutig und abschließend beschrieben sein müssen. Ein Verweis genügt nicht. Der (potentielle) Bieter und Bewerber soll sich bereits aufgrund der Bekanntmachung überlegen können, ob er die festgelegten Eignungskriterien erfüllen kann.
3. Eine Mindestanforderung an die Eignung ist vorschriftsgemäß bekannt gemacht, wenn in der Bekanntmachung durch einen Link auf die Internetseite der Vergabestelle verwiesen wird und die interessierten Unternehmen durch bloßes Anklicken zum entsprechenden Formblatt gelangen können (Abschluss an OLG Düsseldorf, IBR 2012, 1336 – nur online).

L
Leistungsansatz als Wertungskriterium

VK Bund, Beschluss vom 07.06.2022 – VK 2-40/22

1. Bei der Bewertung möglicher Gründe für den niedrigen Angebotspreis ist zu berücksichtigen, dass bei Reinigungsdienstleistungen, die personalintensiv sind, der ganz überwiegende Anteil des Preises auf die Lohnkosten entfällt.
2. Da die Löhne im Gebäudereiniger-Handwerk durch allgemeinverbindliche Tarifverträge geregelt sind, eröffnet die Höhe der Löhne keinen Wettbewerbsspielraum.
3. Ein Angebot mit einem hohen Leistungsansatz ist zwangsläufig günstiger als ein solches mit einem niedrigen Ansatz, da weniger Personal zum Einsatz kommt. Wird aber auf der einen Seite der hohe Leistungsansatz mit Pluspunkten belohnt, kann nicht auf der anderen Seite die zwangsläufige Folge des entsprechend niedrigeren Preises als Kehrseite derselben Medaille zum Ausschluss wegen fehlender Auskömmlichkeit führen.

M
Missverständliche Angaben sind nicht irreführend

BayObLG, Beschluss vom 29.07.2022 – Verg 16/21

1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme am Verfahren ausschließen, wenn es fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt hat, die die Vergabeentscheidung erheblich beeinflussen könnten, oder versucht hat, solche Informationen zu übermitteln. Das gilt für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber.
2. Irreführend ist eine Information, wenn sie bei objektiver Betrachtung dazu geeignet ist, beim öffentlichen Auftraggeber einen Irrtum über deren Inhalt hervorzurufen. Hierunter fallen vorrangig Erklärungen, die bereits für sich genommen nicht der Wahrheit entsprechen, in Betracht kommen auch Angaben, die aufgrund der Umstände falsch zu verstehen sind.
3. Nicht jede Widersprüchlichkeit oder Unklarheit eines Angebots, eines Teilnahmeantrags oder einer sonstigen Erklärung eines Unternehmens im Vergabeverfahren, die einer Aufklärung zugänglich ist, kann bereits für sich genommen als (versuchte) Irreführung des Auftraggebers aufgefasst werden.
4. Angaben zu missverständlichen, mehrdeutigen oder unklaren Vorgaben sind nicht ohne weiteres objektiv falsch bzw. irreführend. Auch bei unvollständigen oder lückenhaften Angaben ist kritisch zu prüfen, ob ihnen ein konkreter, irreführender Aussagegehalt beigemessen werden kann.

N
Nachunternehmer nicht geeignet

VK Rheinland, Beschluss vom 07.06.2022 – VK 4/22

1. Ein im Zusammenhang mit der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit zu prüfendes Unterkriterium ist die Erfahrung aus früher ausgeführten Aufträgen.
2. Der öffentliche Auftraggeber kann sich Ansprechpartner und Kontaktdetails nennen lassen, um bei den Referenzgebern Informationen über die Eignung der Unternehmen einzuholen.
3. Dem öffentlichen Auftraggeber kommt hinsichtlich der Vergleichbarkeit von Referenzen ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.
4. Im Rahmen der Eignungsleihe nach § 47 VgV ist es auch zulässig, dass ein Bieter (als Generalunternehmer) sämtliche Leistungen von Nachunternehmern erbringen lässt.
5. Etwaige Eignungsmängel des (im Rahmen der Eignungsleihe) benannten Dritten schlagen unmittelbar auf den Bieter durch.
6. Es gibt (für den öffentlichen Auftraggeber) Zumutbarkeitsgrenzen hinsichtlich der Erkenntnissicherheit über die Eignung. Selbst Umstände, die eine fehlende Eignung begründen, müssen nicht mit einer prozessualen Tatsachenfeststellungen Genüge leistenden Gewissheit feststehen.

O
oHG muss auf Gesellschaftermittel zurückgreifen: Eigene und Gesellschafter-EEE vorzulegen

EuGH, Urteil vom 10.11.2022 – Rs. C-631/21

Art. 59 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 und Art. 63 dieser Richtlinie sowie Anhang 1 der Durchführungsverordnung (EU) 2016/7 der Kommission vom 05.01.2016 zur Einführung des Standardformulars für die Einheitliche Europäische Eigenerklärung ist dahin auszulegen, dass ein Gemeinschaftsunternehmen, das – ohne eine juristische Person zu sein – die Form einer Gesellschaft hat, die dem nationalen Recht eines Mitgliedstaats unterliegt, in dessen Handelsregister eingetragen ist, sowohl vorübergehender als auch dauerhafter Natur sein kann und deren Gesellschafter auf dem gleichen Markt tätig sind wie das Unternehmen und gesamtschuldnerisch für die ordnungsgemäße Erfüllung der vom Unternehmen eingegangenen Verpflichtungen haften, dem öffentlichen Auftraggeber ausschließlich seine eigene Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE) vorlegen muss, wenn es in eigenem Namen an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags teilnehmen oder ein Angebot abgeben möchte und den Nachweis erbringt, dass es den in Rede stehenden Auftrag ausschließlich mit eigenem Personal und Material ausführen kann. Meint das Gemeinschaftsunternehmen hingegen, für die Ausführung eines öffentlichen Auftrags auf die Mittel bestimmter Gesellschafter zurückgreifen zu müssen, ist dies als eine Inanspruchnahme der Kapazitäten anderer Unternehmen gemäß Art. 63 der Richtlinie 2014/24 zu betrachten, und das Unternehmen muss dann nicht nur seine eigene EEE, sondern auch eine EEE für jeden Gesellschafter vorlegen, dessen Kapazitäten es in Anspruch nehmen möchte.

P
Prämierter Wettbewerbsentwurf darf für Planungswettbewerb verwendet werden

VK Südbayern, Beschluss vom 21.07.2022 – 3194.Z3-3_01-21-78

1. Die Verpflichtung eines Wettbewerbsteilnehmers zur Wahrung der Anonymität der Wettbewerbsarbeit verbietet nicht grundsätzlich einen bereits veröffentlichten Entwurf nahezu unverändert (erneut) in einen Wettbewerb einzubringen.
2. Solange während der Preisgerichtssitzungen oder der Bewertung der Wettbewerbsarbeiten die Identität des Bieters nicht offenkundig wird, bleibt die Anonymität der Wettbewerbsarbeit gewahrt. Dies gilt auch, wenn einzelnen Mitgliedern des Preisgerichts die Ähnlichkeit der Wettbewerbsarbeit mit einer bereits bekannten Arbeit auffällt, solange die Grenze zur Befangenheit nicht überschritten wird.
3. Die Protokolle der Vorbesprechung des Preisgerichts und der Preisgerichtssitzung haben negative Beweiskraft. Wird darin nicht erwähnt, dass über eine für die Durchführung des Wettbewerbs bedeutsame Sache gesprochen oder diskutiert wurde, so ist davon auszugehen, dass ein Austausch darüber auch nicht stattfand.

P
Präqualifikation befreit nicht von geforderten Nachweisen

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.06.2022 – Verg 19/22

1. Die Teilnahme am Präqualifikationssystem dient der Entlastung des Bieters von der Beibringung der Eignungsnachweise, nicht jedoch ihrer Ersetzung. Die Erleichterung in Bezug auf die Beibringung ändert nichts daran, dass die Erfüllung der Eignungskriterien grundsätzlich vom Bieter nachzuweisen ist.
2. Die inhaltlichen Anforderungen an die Eignung und ihre Nachweise müssen für jeden Bieter gleich sein, unabhängig davon, ob dieser präqualifiziert ist oder nicht. Auch bei einem präqualifizierten Bieter hat der öffentliche Auftraggeber daher zu prüfen, ob die im Präqualifikationsverzeichnis hinterlegten Nachweise, die im konkreten Verfahren geforderten Eignungsangaben und Nachweise abdecken.
3. Fordert der öffentliche Auftraggeber die Angabe dreier mit der zu vergebenden Leistung vergleichbarer Referenzen, kann nur der Bieter die verlangten Angaben allein mit Verweis auf seine Eintragung im Präqualifikationsverzeichnis leisten, für den dort drei Nachweise über mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbare Leistungen hinterlegt sind. Die Eintragung ersetzt insoweit lediglich die Eintragung in der Eigenerklärung Eignung.

P
Prüf- und Überwachungsstellen als Nachunternehmer

BayObLG, Beschluss vom 31.08.2022 – Verg 18/21

1. An eindeutige Angaben in seinem Angebot ist der Bieter gebunden.
2. Weist der Auftraggeber den Bieter im Rahmen des Aufklärungsgesprächs darauf hin, dass die vom Bieter vorgesehene Ausführungsvariante nicht möglich ist, und passt der Bieter daraufhin sein Angebot an, liegt eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vor. Ein Angebot ist bei einer Aufklärung in seinem Inhalt unverändert zu belassen.
3. Auf die Unterscheidung zwischen einer zulässigen Klarstellung des Angebotsinhalts und einer unzulässigen nachträglichen Änderung des Angebots kommt es auch dann an, wenn eine falsche Angabe versehentlich erfolgte oder anfechtbar ist.
4. Als Nachunternehmer wird ein Unternehmen bezeichnet, das Teile der ausgeschriebenen und vom Bieter zu erbringenden Leistung ausführt, ohne selbst in einem unmittelbaren vertraglichen Verhältnis zum Auftraggeber zu stehen. Der Nachunternehmer steht nur zum Bieter in Vertragsbeziehungen.
5. Unternehmer, die selbst keine Teile der in Auftrag gegebenen Bauleistung erbringen, sondern in Hilfsfunktionen tätig sind oder Hilfsleistungen übernehmen, wie z. B. Lieferanten von Baustoffen oder Verleiher von Baumaschinen, sind schon begrifflich keine Nachunternehmer.
6. Prüf- und Überwachungsstellen können Nachunternehmer sein. Leistungen anerkannter Prüfstellen werden allerdings nicht als Nachunternehmerleistungen qualifiziert, wenn die Prüfung per se nicht durch einen Bieter erbracht werden kann. Etwas anderes gilt, wenn auch ein Bieter grundsätzlich die Möglichkeit hat, die Leistung nach entsprechender Qualifikation zu erbringen.
R
Rechtzeitige Rüge notwendig, andernfalls Vergabenachprüfungsantrag unzulässig
VK Thüringen, Beschluss vom 20.12.2022 – 4003-404-2022-E-V-009-EF
1. Ein Antrag auf Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens ist gem. § 160 Abs. 3 GWB unzulässig, wenn der Bieter/Antragsteller erkannte bzw. erkennbare Vergaberechtsverstöße nicht rechtzeitig gegenüber dem Auftraggeber gerügt hat.
2. Die Präklusionsvorschriften des § 160 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB sind nicht unionsrechtswidrig, da diese Regeln hinreichend genau, klar und vorhersehbar festlegen, wie und bis zu welcher Frist der Interessent/Bieter potentielle Vergaberechtsverstöße rügen muss.

R
Reinigungsleistungen können sicherheitsempfindliche Tätigkeiten sein

VK Bund, Beschluss vom 22.12.2022 – VK 2-100/22

1. Öffentliche Auftraggeber können besondere Bedingungen für die Ausführung des Auftrags festlegen, die mit dem Auftragsgegenstand entsprechend stehen. Diese müssen sich aus der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen ergeben und können insbesondere den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen umfassen.
2. Reinigungsleistungen in einer Liegenschaft, in denen Verschlusssachen anfallen, auf die sich eingesetztes Reinigungspersonal grundsätzlich Zugriff verschaffen könnte, sind sicherheitsempfindliche Tätigkeiten.
3. Der Auftraggeber kann verlangen, dass der Auftragnehmer nach Erhalt des Zuschlags die für die Sicherheitsüberprüfung erforderlichen Formulare für die einzusetzenden Personen bei ihm einreicht.

S
Schwere berufliche Verfehlung

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.06.2022 – Verg 36/21

1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Unternehmen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird.
2. Der Begriff „Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit“ umfasst jedes fehlerhafte Verhalten, das Einfluss auf die berufliche Glaubwürdigkeit des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers hat.
3. Eine Form beruflichen Fehlverhaltens stellt die Verletzung von Wettbewerbsregeln oder Rechten des geistigen Eigentums dar, weshalb die Verletzung eines fremden gewerblichen Schutzrechts wie eines Patentrechts eine schwere berufliche Verfehlung darstellen kann.
4. Ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund vorliegt, wird nicht von der Teilnahme an dem Vergabeverfahren ausgeschlossen, wenn es dem öffentlichen Auftraggeber oder dem Bundeskartellamt nachgewiesen hat, dass es für jeden durch eine Straftat oder ein Fehlverhalten verursachten Schaden einen Ausgleich gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat, die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber umfassend geklärt hat und konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder weiteres Fehlverhalten zu vermeiden.
5. Eines Schadensausgleichs bedarf es nicht, wenn durch die Straftat kein ausgleichungsfähiger materieller Schaden verursacht wurde.

T
„Technische Fachkräfte“
KG, Beschluss vom 10.05.2022 – Verg 2/21

1. „Technische Fachkräfte“ i.S.d. § 46 Abs. 3 Nr. 2 VgV sind Fachkräfte, deren Leistungen eine durch Qualifikationen und Berufserfahrung belegbare besondere Fachkunde erfordern.
2. Maßgeblich für die Eignungsprüfung nach § 57 Abs. 1 VgV sind alleine die in der Auftragsbekanntmachung festgelegten Eignungskriterien und die dort für ihren Beleg geforderten Nachweise (§ 122 Abs. 4 Satz 2 GWB, § 48 Abs. 1 VgV). Gefordert werden kann danach nur, was sich der Ausschreibung nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 157 BGB) aus Sicht der angesprochenen Unternehmen entnehmen lässt.
3. Der im Vergabenachprüfungsverfahren gewährte Rechtsschutz ist rügebezogen. Es ist den Nachprüfungsinstanzen daher verwehrt, nicht gerügte Rechtsverletzungen von Amts wegen in das Verfahren einzuführen. Macht ein Beteiligter eine solche Rechtsverletzung zum Gegenstand seiner Rüge, ist sie aber, soweit zulässig und insbesondere nicht präkludiert (§ 160 Abs. 3 GWB), zu berücksichtigen.

T
„Textform“ für Nachforderungsschreiben

VK Lüneburg, Beschluss vom 19.09.2022 – VgK-16/2022

1. Im Rahmen einer E-Vergabe hat die gesamte Bieterkommunikation in „Textform“ stattzufinden.
2. An die Textform werden erheblich geringere Anforderungen als an die Schriftform gestellt. Die Textform verlangt die Nennung der Person des Erklärenden. Gleichgültig ist, wo der Name des Erklärenden genannt wird. Möglich ist also eine Nennung in einer faksimilierten Unterschrift, aber etwa auch im Kopf oder Inhalt der Erklärung.
3. Die Textform kann ihre Funktion – Information und Dokumentation von Erklärungen – nur dann erfüllen, wenn für den Empfänger ersichtlich ist, ob die Erklärung rechtlich bindend sein soll und vollständig ist. Daher muss bei der Textform der Abschluss der Erklärung erkennbar gemacht werden.
4. Die Kenntlichmachung des Abschlusses der Erklärung kann auf verschiedene Weise erfolgen, etwa durch die Nennung des Namens am Textende, ein Faksimile, eine eingescannte Unterschrift, den Zusatz „Diese Erklärung ist nicht unterschrieben“, aber auch durch eine Datierung oder eine Grußformel.
5. Lässt sich der Aussteller eines Schreibens sowohl der E-Mail-Adresse im Briefkopf als auch dem abgedruckten Namen unter der Grußformel entnehmen, genügt das Schreiben dem Textformerfordernis.

U
Übermittlungsrisiko ist Bieterrisiko

VK Rheinland, Beschluss vom 28.06.2022 – VK 39/21

1. Eine Zuständigkeit der Vergabe-Nachprüfungsinstanzen kann weder durch eine Angabe in der Bekanntmachung noch durch Parteivereinbarung begründet werden.
2. Zur Abgrenzung einer Konzession von einem öffentlichen Auftrag und von einem Mietvertrag.
3. Unaufklärbare Widersprüche in Vergabebedingungen sind grundsätzlich als Vergabeverstoß erkennbar.
4. Auch bei Konzessionsvergaben sind wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes Angebote, denen geforderte Unterlagen nicht beigefügt sind, zumindest nach erfolgloser Nachforderung auszuschließen.
5. Für die Rechtzeitigkeit des Eingangs und die Vollständigkeit des Angebots trägt grundsätzlich der Bieter die Beweislast. Auch das Übermittlungsrisiko liegt im Grundsatz bei ihm. Die Vergabestelle muss die Gründe für eine Unvollständigkeit des Angebots nicht aufklären.
6. Bejaht ein Auftraggeber im Teilnahmewettbewerb die Eignung eines Bewerbers, begründet er zu dessen Gunsten einen Vertrauenstatbestand. Ob dies einem rechtsschutzsuchenden anderen Unternehmen entgegengehalten werden kann, ist dagegen zweifelhaft.
7. Bei der Eignungsprüfung darf der Auftraggeber von einer Überprüfung von Eigenerklärungen absehen, soweit keine begründeten Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.
8. Nach Auslegung verbleibende Unklarheiten und Widersprüche bei Eignungsanforderungen gehen grundsätzlich zu Lasten des Auftraggebers.
9. Zur Ermittlung der Verwaltungsgebühr für die Tätigkeit der Vergabekammer bei einer Konzession.

U
Unklare Vergabeunterlagen

OLG Koblenz, Beschluss vom 23.05.2022 – Verg 2/22

1. Mehrdeutige und damit unklare Vergabeunterlagen verstoßen gegen das Transparenzgebot und sind vergaberechtswidrig.
2. Ob die Vergabeunterlagen mehrdeutig sind, ist aus Sicht der durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt zu beurteilen.
3. Ein Verstoß gegen den Transparenzgrundsatz liegt nur dann vor, wenn die Vorgaben und Formulierungen in den Vergabeunterlagen auch nach erfolgter Auslegung noch mehrdeutig sind.
4. Die Mehrdeutigkeit der Vergabeunterlagen ist für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter zumindest erkennbar und muss daher bis spätestens zum Ablauf der Angebotsfrist gerügt werden.

U
Unschuldsvermutung
VK Südbayern, Beschluss vom 06.07.2022 – 3194.Z3-3_01-21-72

1. Nach Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. § 47 Abs. 1 Satz 3 VgV können sich Wirtschaftsteilnehmer in Bezug auf die Kriterien für die einschlägige berufliche Erfahrung (dies sind nach Art. 58 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in der Regel Referenzen) nur dann auf die Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen stützen, wenn das andere Unternehmen auch die Arbeiten ausführt bzw. die Dienstleistung erbringt, für die die Leistungsfähigkeit nachzuweisen ist. Das bedeutet hinsichtlich der durch eine Referenz nachzuweisenden beruflichen Erfahrung, dass alle Teile der ausgeschriebenen Leistung, für welche eine Referenz zu erbringen war und für die der Bieter nicht auf eine eigene Referenz zurückgreifen kann, von dem Unternehmen auszuführen sind, auf dessen Leistungsfähigkeit – nämlich die durch eine Referenz nachzuweisende berufliche Erfahrung – sich der Bieter stattdessen stützen will.
2. Ein allgemeines Berufen darauf, dass Mitarbeitende der eignungsverleihenden Unternehmen, die an den entsprechenden Referenzaufträgen beteiligt waren, dem neu gegründeten Tochterunternehmen über den gesamten Leistungszeitraum irgendwie zur Verfügung stehen, kann aufgrund des deutlichen Wortlauts des Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU und des § 47 Abs. 1 Satz 3 VgV angesichts der Intention des Richtliniengebers, die Eignungsleihe stärker zu reglementieren, nicht ausreichen.
3. Hat ein Unternehmen überhaupt keine eigenen, bei der Eignungsprüfung zu berücksichtigenden Referenzen, muss das die Eignung „verleihende“ Unternehmen die gesamten von der Referenz umfassten Leistungen ausführen.
4. Hat der Auftraggeber zulässigerweise nach Art. 4 Abs. 7 der Verordnung (EG) 1370/2007 ein Selbstausführungsgebot bzgl. eines bedeutenden Teils der öffentlichen Personenverkehrsdienste festgelegt, kann ein Unternehmen in diesem Umfang keine Eignungsleihe durch Berufen auf Referenzen anderer Unternehmen in Anspruch nehmen, wenn diese nach § 47 Abs. 1 S. 3 VgV die Leistung erbringen müssten.
5. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB setzt voraus, dass nur das Unternehmen vom Verfahren ausgeschlossen werden kann, das selbst eine wettbewerbsbeschränkende Absprache getroffen hat. Eine Zurechnung des Verhaltens anderer, auch konzernverbundener Unternehmen sieht weder § 124 GWB noch Art. 57 der Richtlinie 2014/24/EU vor.
6. Die bloße Durchführung von kartellbehördlichen Ermittlungsmaßnahmen reicht regelmäßig noch nicht aus, um einen Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu begründen.

U
Unterauftragnehmer
VK Bund, Beschluss vom 26.04.2022 – VK 2-34/22

1. Antragsbefugt im Vergabenachprüfungsverfahren ist jedes Unternehmen, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht.
2. Die Antragsbefugnis setzt ein Interesse des jeweiligen Antragstellers am Auftrag voraus. Dieses Auftragsinteresse muss in Bezug auf den Antragsteller selbst gegeben sein.
3. Fallen Antragsteller und Teilnehmer am Wettbewerb auseinander, ist das für die Antragsbefugnis geforderte Auftragsinteresse des Antragstellers nicht gegeben.
4. Unterauftragnehmer haben zwar ein indirektes wirtschaftliches Interesse daran, dass der Teilnehmer am Wettbewerb, also der – im Fall der Auftragserteilung – zukünftige Auftraggeber und Vertragspartner der Unterauftragnehmer den Auftrag erhält. Dies begründet aber mangels eigenem Interesse an dem zur Vergabe anstehenden und im Nachprüfungsverfahren streitig gestellten Auftrag keine Antragsbefugnis.

V
Verbundene Unternehmen – Angebote unabhängig voneinander zu erstellen

BayObLG, Beschluss vom 11.01.2023 – Verg 2/21

1. Die Aufzählung der fakultativen Ausschlussgründe in § 124 GWB ist abschließend.
2. Bei richtlinienkonformer Auslegung steht allerdings der in § 97 Abs. 2 GWB normierte Gleichbehandlungsgrundsatz einer Berücksichtigung von Angeboten miteinander verbundener Unternehmen entgegen, die zwar getrennt abgegeben wurden, aber weder eigenständig noch unabhängig sind.
3. Die Vergabestelle ist verpflichtet, unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu prüfen, ob die Angebote miteinander verbundener Unternehmen eigenständig und unabhängig voneinander erstellt worden sind. Dies folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
4. Die Eröffnung der sog. „zweiten Chance“ durch eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens kommt nur in Betracht, wenn aufgrund der Sach- und Rechtslage am Schluss der (letzten) mündlichen Verhandlung feststeht, dass ein vergaberechtskonformer Zuschlag unmöglich ist und sich daran auch durch bloße Fortsetzung des Vergabeverfahrens nichts mehr ändern kann.

V
Vergabeunterlagen sind klar und eindeutig zu formulieren

OLG Schleswig, Beschluss vom 28.03.2022 – 54 Verg 11/21

1. Die Vergabestellen sind verpflichtet, die Vergabeunterlagen klar und eindeutig zu formulieren und Widersprüchlichkeiten zu vermeiden.
2. Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens müssen klar, präzise und eindeutig formuliert werden, so dass zum einen alle mit der üblichen Sorgfalt handelnden Unternehmen die genaue Bedeutung dieser Bedingungen und Modalitäten verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und zum anderen der Auftraggeber tatsächlich überprüfen kann, ob die Teilnahmeanträge oder Angebote die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen.
3. Nicht mehr eindeutig sind Vergabeunterlagen, wenn fachkundigen Unternehmen auch nach Auslegungsbemühungen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben. Unklare Vorgaben der Vergabestelle dürfen nicht zu Lasten der Bieter gehen.

V
„Vergleichbare Referenzprojekte“

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.04.2022 – Verg 25/21

1. Im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb prüft der öffentliche Auftraggeber zwar die Eignung der am vorgeschalteten Wettbewerb teilnehmenden Unternehmen grundsätzlich, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Dadurch wird mit der positiven Eignungsprüfung ein Vertrauenstatbestand geschaffen.
2. Ein solcher Vertrauenstatbestand kann jedoch nur dann begründet werden, wenn der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Bewerber abschließend bejaht hat, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Hieran fehlt es folglich, wenn der Bieter bis zum Abschluss des Teilnahmewettbewerbs nicht alle zur abschließenden Prüfung seiner Eignung erforderlichen Unterlagen eingereicht hat.
3. Zu den im Rahmen der Eignungsprüfung vorzulegenden Unterlagen gehört bei Inanspruchnahme einer Eignungsleihe eine ordnungsgemäße Verpflichtungserklärung des Eignungsleihgebers.
4. Bei dem Begriff „vergleichbare Referenzprojekte“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der anhand des Wortlauts der Vergabeunterlagen und von Sinn und Zweck der geforderten Angaben unter Berücksichtigung des Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatzes auszulegen ist. Dabei bedeutet die Formulierung „vergleichbar“ nicht „gleich“ oder gar „identisch“, sondern, dass die Leistungen im technischen oder organisatorischen Bereich einen gleich hohen oder höheren Schwierigkeitsgrad hatten.
5. Der öffentliche Auftraggeber hat die Bewertung selbst vorzunehmen; die Wertungsentscheidung ist nicht delegierbar, die an ihr beteiligten Personen müssen Vertreter des öffentlichen Auftraggebers sein. Diese haben zu prüfen, inwieweit die Angebote die in der Bewertungsmatrix aufgestellte Anforderung erfüllen.

W
Wertungsfehler

VK Sachsen, Beschluss vom 28.03.2022 – 1/SVK/041-21

1. An den Inhalt von Rügen sind im Allgemeinen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Der rügende Bieter muss aber grundsätzlich – wenn sich der Vergaberechtsverstoß nicht seiner Einsichtsmöglichkeit entzieht – zumindest Anknüpfungstatsachen oder Indizien vortragen, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß.
2. Entzieht sich die Wertung des Auftraggebers – zum Zeitpunkt der Rüge – der Einsichtsmöglichkeit des Antragstellers, darf der Antragsteller im Nachprüfungsverfahren behaupten, was er auf der Grundlage seines nur beschränkten Informationsstands redlicher Weise für wahrscheinlich oder möglich halten darf.
3. Je weniger der Auftraggeber an tatsächlichen Gründen für eine abschlägige Wertung des Angebots in der Bieterinformation preisgibt, desto geringer sind die Anforderungen an die Darlegung einer Rechtsverletzung.
4. Fehler in der Wertung sind unbeachtlich, wenn sich durch diese die Bieterreihenfolge – also die Aussichten auf den Erhalt des Zuschlags – nicht ändert und einem Antragsteller dadurch insoweit kein Schaden entsteht.
5. Ein Auftraggeber darf den Angaben eines Bieters, die er in seinem Angeboten gemacht hat, grundsätzlich vertrauen. Nur dann, wenn sich aus dem Angebot Zweifel ergeben, die das Leistungsversprechen eines Bieters als nicht plausibel erscheinen lassen und/oder Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der Bieter die gesetzten Vorgaben möglicherweise nicht einhalten kann, ist der Auftraggeber gehalten, eine Aufklärung herbeizuführen.
6. An den Prüfungsumfang der materiellen Eignungsprüfung sind im Fall konkreter Eignungskriterien mit jeweils unterschiedlichen (Mindest-)Anforderungen keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Einer umfassenden wertenden Beurteilung bedarf es nicht, wenn festgestellt wird, dass die gestellten Anforderungen inhaltlich erfüllt wurden.

W
Widerruf der Förderung ist die Regel bei Verstoß gegen Vergaberecht

VG Cottbus, Urteil vom 03.02.2023 – 3 K 1618/19

1. Das EU-Recht ermächtigt die nationale Vollzugsbehörde nicht zur Aufhebung der Zuwendungsbescheide, sondern enthält nur Vorgaben für die Geltendmachung der Forderung nach nationalem Recht unter Berücksichtigung der durch das Unionsrecht gesetzten Grenzen, insbesondere hinsichtlich des Vertrauensschutzes.
2. Die gesetzlich in § 49 Abs. 3 VwVfG normierten Widerrufsgründe sind abschließend. Die Verpflichtung zur Einhaltung der Vergaberechtsvorschriften als Hinweis auf das Gesetz stellt für sich genommen noch keine Auflage dar. Maßgeblich für den Auflagencharakter ist der Vorbehalt der Rückforderung. Hierfür reicht nicht, allgemein im Bescheid Rechtsvorschriften zu benennen.
3. Dem gesetzlichen Gebot, bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten, ist zu entnehmen, dass bei Verfehlung des mit der Gewährung von öffentlichen Zuschüssen verfolgten Zwecks das Ermessen nur durch eine Entscheidung für den Widerruf fehlerfrei ausgeübt werden kann, sofern nicht außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen (sog. intendiertes Ermessen).
4. Diese Haushaltsgrundsätze überwiegen im Allgemeinen das Interesse des Begünstigten, den Zuschuss behalten zu dürfen, und verbieten einen großzügigen Verzicht auf den Widerruf von Subventionen.