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Wer schreibt, der bleibt – oder die gefährliche Reichweite der Dokumentationsverpflichtung des § 6 Abs. 1 UVgO

 

von Thomas Ax

Nach der Dokumentationsverpflichtung des § 6 Abs. 1 UVgO ist das Vergabeverfahren von Anbeginn fortlaufend in Textform nach § 126b BGB zu dokumentieren, so dass Einzelstufen des Verfahrens, die einzelnen Maßnahmen sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen festgehalten werden.

Es handelt sich dabei um die sogenannte ex-post Transparenz, die eine nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens ermöglicht und aus diesem Grunde für die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes essentiell ist. Alle Fakten, Umstände und Überlegungen, auf deren Grundlage die Zuschlagsentscheidung getroffen wurde, sind vollständig und wahrheitsgemäß in der Dokumentation aufzuführen. In zeitlicher Hinsicht stellt die Formulierung „von Anbeginn“ klar, dass die Dokumentation bereits auf der ersten Stufe mit der Bekanntmachung zu beginnen hat. Die Verpflichtung zur fortlaufenden Dokumentation setzt überdies voraus, dass der Auftraggeber vor und nach jeder relevanten Entscheidung bzw. Stufe entsprechende Feststellungen zu den Akten bringt, die den Verlauf des Verfahrens nachvollziehbar und überprüfbar machen. Die Dokumentation hat zeitnah zur entsprechenden Entscheidung zu erfolgen.

Die Erstellung einer Dokumentation bei Abschluss des Vergabeverfahrens genügt nicht.

Denn gerade die zeitnahe Führung des Vergabevermerks sichert die notwendige Transparenz des Verfahrens und wirkt Manipulationen entgegen. Vielmehr muss das Vergabeverfahren Schritt für Schritt und in den einzelnen Stufen vorgehensgetreu und nachvollziehbar beschrieben werden. Die Vergabestelle ist an die Dokumentation gebunden. Der Auftraggeber kann sich im Nachhinein nicht auf andere Erwägungen berufen. Die Dokumentation muss so ausführlich geführt werden, dass ein fachkundiger Dritter das gesamte Verfahren einschließlich aller Entscheidungen und Ergebnisse nachvollziehen kann (Petersen in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VOL/A, 1. Aufl. 2013, § 20 Rn. 2, 7 ff.; Weiner in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, 2. Aufl. 2017, § 1 Rn. 37).

Der Auftraggeber erfüllt seine Dokumentationspflicht, wenn der förmliche Verfahrensablauf und der materielle Inhalt der im Laufe des Verfahrens getroffenen Entscheidungen nebst Begründung aus der Vergabeakte erkennbar sind.

Dabei ist die Dokumentation chronologisch („fortlaufend“) aufzubauen. Zum Zwecke der Beweissicherung sind die einzelnen relevanten Schritte mit einem Datum zu versehen, gegebenenfalls auch mit der Uhrzeit, soweit es darauf ankommt. Weiter sollte aus der Dokumentation auch erkennbar sein, welcher Entscheidungsträger gehandelt hat. Alle wesentlichen Verfahrensschritte von der Beschaffungsentscheidung über die Bekanntmachung bis hin zur Öffnung der Angebote und der Entscheidung über den Zuschlag sind in der Vergabeakte zu dokumentieren. Einzelheiten und Ergänzungen oder Erläuterungen zu den einzelnen Unterlagen sind dann Teil des Vergabevermerks (Langenbach in Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2 (Hrsg. Burgi/Dreher), 3. Auflage 2019, § 8 VgV Rn. 12 ff.).

Neben der Kommunikation mit den Bietern erfasst die Dokumentationspflicht auch interne Beratungen, um das Vergabeverfahren auf jeder Stufe nachvollziehbar und transparent zu machen (Hänsel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl. 2018, VgV § 8 Rn. 5 u. 9).

Wenn der Vergabevermerk Auslassungen enthält oder bestimmte Vorgänge nur ungenau dokumentiert, kann eine solche unvollständige Dokumentation zu Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugunsten des Bieters führen.

Enthalten die Vergabeakten etwa keinen Vermerk über einen Prüfungsvorgang, ist daher davon auszugehen, dass dieser Vorgang nicht stattgefunden hat (Hänsel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl. 2018, § VgV 8 Rn. 10). Liegen Dokumentationsmängel bzgl. des Mindestinhalts vor, können diese nach herkömmlicher Ansicht grundsätzlich nicht durch nachträgliche Erstellung eines Vergabevermerks behoben werden. Allerdings ist der Vortrag von Umständen und Gesichtspunkten, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung nachträglich verteidigt werden soll, möglich (Hänsel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl. 2018, § 8 VgV, Rn. 13).

Dokumentationspflichten sind kein Selbstzweck.

Wegen der besonderen Bedeutung der Dokumentation zur Gewährleistung von Transparenz, Gleichbehandlung und Wettbewerb im Vergabeverfahren sowie zur Korruptionsbekämpfung kommt eine Heilung von Dokumentationsmängeln grundsätzlich nicht in Betracht, soweit Entscheidungen überhaupt nicht dokumentiert worden sind. Dagegen ist eine Heilung von Dokumentationsmängeln im Einzelfall möglich, soweit es um das „Wie“ der Dokumentation geht. Gemeint ist die nachträgliche Ergänzung einer unzureichenden Begründung mit Umständen oder Gesichtspunkten, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung nachträglich verteidigt werden soll. In diesen Fällen ist abzuwägen zwischen dem Sinn und Zweck der Dokumentation, durch die zeitnahe Führung des Vergabevermerks die Transparenz des Vergabeverfahrens zu schützen und Manipulationsmöglichkeiten entgegenzuwirken, auf der einen Seite und dem vergaberechtlichen Beschleunigungsgrundsatz auf der anderen Seite (Schneider in Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, Teil A/B, 6. Aufl. 2017, § 8 VgV Rn. 7 ff.).

Zwar ist die Dokumentationspflicht kein Selbstzweck. Unter gewissen Umständen mag auch eine Heilung möglich sein.

Jedoch scheint zB ein völliges Unterbleiben der Dokumentation des Abweichens von einer Regelvergabe bzw. nur mit einer dürftigen Begründung in einem Satz äußerst fraglich.