Ax Projects GmbH

Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Angebotsabgabe statt Aufhebung als bessere weil verhältnismäßige Lösung

 

von Thomas Ax

Regeln über die Zurückversetzung des Verfahrens durch den Auftraggeber finden sich weder im GWB noch in sonstigen einschlägigen Vergabeverordnungen. Unstreitig – wenn auch gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt – kann bei einer Vergabe im Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts die Vergabekammer oder der Vergabesenat im Falle der Feststellung eines Vergabefehlers das Verfahren – ggf, unter Aufhebung des Beschlusses der Vergabekammer – in den Zeitpunkt vor der Vergaberechtsverletzung zurückversetzen (vgl. etwas Damaske in: Müller-Wrede, GWB, § 178 Rn. 32).

Der Auftraggeber selbst ist grundsätzlich – insbesondere im Hinblick auf seine Privatautonomie – zur Aufhebung eines Vergabeverfahrens befugt; die Frage der Rechtmäßigkeit der Aufhebung ist von dieser Befugnis getrennt zu betrachten.

Die Zurückversetzung eines Vergabeverfahrens stellt sich unter dem im Vergaberecht allgemein zu beachtenden
Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit – normiert nunmehr in § 97 Abs. 1 GWB – als geringeren Eingriff in die Bieterrechte dar als eine Aufhebung. Demnach beinhaltet die dem Auftraggeber zukommende Befugnis zur Aufhebung eines Vergabeverfahrens auch die Befugnis, von dem milderen Mittel der Zurückversetzung eines Vergabeverfahrens Gebrauch zu machen. Die Zurückversetzung eines Verfahrens ist damit Ihrem Wesen nach einer Teilaufhebung des Verfahrens vergleichbar (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschluss /1- vom 12.1.2015 – VII-Verg 29/14; Portz in: Kulartz ebenda § 17 Rn. 16).

Ist die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens einer Teilaufhebung vergleichbar, sind die Grundsätze über die Aufhebung entsprechend anzuwenden. Ausgehend hiervon ist die Entscheidung, das Verfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, vorliegend wirksam. Entsprechend den Grundsätzen des § 17 VOB/A ist eine Aufhebung/ Zurückversetzung wirksam und rechtmäßig, sofern einer der aufgeführten Gründe vorliegt. Selbst eine nicht § 17 VOB/A unterfallende Aufhebung/ Zurückversetzung ist grundsätzlich wirksam, wenn auch rechtswidrig, sofern sie auf einen sachlichen Grund gestützt wird (Vergabekammer Bund, Beschluss vom 04.07.2012 – VK 1 – 64/12 Rn. 69; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2010 – Verg 50/10; Portz in: Kulartz ebenda § 17 Rn. 33, letzter Spiegelstrich).

Die Zurückversetzung des Verfahrens ist selbst bei Fehlen eines Grundes nach § 17 VOB/A wirksam. Entsprechend den Grundsätzen der Aufhebung ist eine nicht von § 17 VOB/A gedeckte Zurückversetzung des Verfahrens zwar rechtswidrig, trotzdem aber grundsätzlich wirksam, sofern sie auf vernünftige, sachliche und nicht diskriminierende Gründe gestützt wird (vgl. ausf. zur Aufhebung OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.11.2010 – Verg 28/10; OLG München, Beschluss vom 4.4.2013 – Verg 4/13; Vergabekammer Bund, Beschluss vom 04.07.2012 – VK 1 – 64/12 Rn. 67; Portz in: Kulartz, Marx, Portz, Prieß, VOB/A, 2.Aufl., § 17 Rn. 4; Kadenbach in: Müller-Wrede, GWB, § 168 Rn. 29). Maßgeblich ist primär, ob der Auftraggeber sachliche Gründe angibt, d.h. die Sichtweise des öffentlichen Auftraggebers (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2010 – Verg 50/10).

Grundlage dieser Rechtsprechung ist die zu achtende Privatautonomie des Auftraggebers. Er ist nicht verpflichtet, ein einmal begonnenes Vergabeverfahren mit einem Zuschlag zu Ende zu führen. Dies gilt auch im Bereich der Unterschwellenvergabe (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.11.2010 ebenda). Die Wirksamkeit einer gegebenenfalls rechtswidrigen, aber wirksamen (Teil)aufhebung ist dabei auch nicht an den – hier nicht gegebenen – Wegfall der Beschaffungsabsicht gebunden. Die (Teil-)Aufhebung einer Ausschreibung kommt vielmehr auch bei fortbestehender Beschaffungsabsicht in Betracht. So kann ein Verfahren aufgehoben werden, wenn das Vergabeverfahren fehlerbehaftet ist und deshalb ohnehin zurückversetzt werden müsste (vgl. Vergabekammer Bund, Beschluss vom 4.7.2012 – VK 1-64/12; auch Portz in: Kulartz ebenda § 17 Rn. 4; offengelassen vom OLG München, Beschluss vom 4.4.2013 – Verg 4/13).

Dass die fortbestehende Beschaffungsabsicht jedenfalls einer Aufhebung nicht entgegensteht, ergibt sich auch unmittelbar aus den Aufhebungsgründen in § 17 VOB/A. Sowohl das Fehlen eines ausschreibungsbedingungsgemäßen Angebots nach § 17 Nr. 1 VOB/A als auch die notwendige Änderung von Vergabeunterlagen gemäß § 17 Nr. 2 VOB/A beziehen sich auf Konstellationen, in denen die Beschaffungsabsicht an sich uneingeschränkt fortbestehen kann. Grenze der Wirksamkeitsentscheidung einer Aufhebung – entsprechend auch einer Teilaufhebung – ist lediglich eine Situation, in welcher der Vergabewille des Auftraggebers unverändert fortbesteht und die Fortsetzung des Verfahrens mit der Erteilung des Zuschlags durch die Vergabestelle an einen Bieter die einzige rechtmäßige Entscheidung wäre (vgl. Portz ebenda § 17 Rn. 6). Dies kann der Fall sein, wenn die Aufhebung nur zum Schein erfolgte, um andere Bieter zu diskriminieren, oder aber der Auftraggeber für die Aufhebung überhaupt keinen sachlichen gerechtfertigten Grund angibt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.11.2010 ebenda; Portz ebenda § 17 Rn. 6, 8).

Gegen die Wirksamkeit der Zurückversetzung spricht auch nicht der Grundsatz des Geheimwettbewerbs. Grundsätzlich gilt, dass öffentliche Aufträge im Rahmen des Wettbewerbs zu beschaffen sind und die Kenntnis von Preisen und Mitbietern die Kräfte des freien Wettbewerbs einschränken können (OLG Celle, Beschluss vom 11.06.2015 – 13 Verg 4/15 Rn. 108). Der Geheimwettbewerb ist gestört, wenn ein Bieter in Kenntnis des Angebots oder Teilen des Angebotes eines anderen Bieters sein Angebot abgibt, weil er insoweit sein eigenes Angebot an diesem Angebot ausrichten kann.

Formal verstößt die zweite Angebotsrunde bereits deshalb nicht gegen diesen Grundsatz, da den Bietern bei Abgabe ihres zweiten Angebots weder bekannt war, welche Bieter des ersten Verfahrens auch an der zweiten Runde teilnehmen, noch zu welchen konkreten Angebotspreisen sie sich an dem Verfahren beteiligen (insoweit abweichend von der Entscheidung des OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.02.2013 – VII Verg 31/12, in welcher konkrete Absprachen für die aktuelle Vergaberunde zu beurteilen waren).

Soweit den an der zweiten Angebotsrunde teilnehmenden Bietern die früheren Bieter und deren konkrete Angebotspreise bekannt waren, dürften allerdings diese Parameter bei Abgabe des zweiten Angebots Bedeutung erlangt und insoweit faktisch den Grundsatz des Geheimwettbewerbs eingeschränkt haben. Diese Einschränkung ist jedoch grundsätzlich mit der Bieteröffentlichkeit der Submission gemäß § 14 Abs. 1 VOB/A verbunden (vergleiche OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.02.2013 – VII Verg 31/12). Ein Vergabeverfahren kann auch nach ordnungsgemäßer Durchführung des Submissionstermins im Falle des Vorliegens anderer Vergabefehler in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen sein; auch in diesem Fall kommt es faktisch zu einer Einschränkung des Grundsatzes des Geheimwettbewerbs. Unter Abwägung des Grundsatzes der Transparenz einerseits und des Geheimwettbewerbs andererseits beinhaltet, die Regelung in § 14 Abs. 1 VOB/A folglich eine hinzunehmende Einschränkung des Grundsatzes des Geheimwettbewerbs, wenn sich nach Durchführung der Submission Vergabefehler herausstellen, die eine Zurückversetzung des Verfahrens zur Folge haben.