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VergMan ® Entscheidungen im Volltext – OLG Düsseldorf: Soweit die der Schätzung zu Grunde gelegten Preise oder Preisbemessungsfaktoren im Zeitpunkt der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens nicht mehr aktuell sind und sich nicht unerheblich verändert haben, ist sie anzupassen
vorgestellt von Thomas Ax
Der Auftragswert ist grundsätzlich anhand der geschätzten Gesamtvergütung für die vorgesehene Leistung ohne Berücksichtigung der Umsatzsteuer zu schätzen. Dabei muss die Vergabestelle eine ernsthafte Prognose über den voraussichtlichen Auftragswert anstellen oder erstellen lassen. Der Auftraggeber hat eine seriöse Prognose des voraussichtlichen Gesamtauftragswerts anhand objektiver Kriterien vorzunehmen, dabei Umsicht und Sachkunde walten zu lassen und die wesentlichen Kostenfaktoren zu berücksichtigen. Die Prognose darf nicht auf erkennbar unrichtigen Daten beruhen. Soweit die der Schätzung zu Grunde gelegten Preise oder Preisbemessungsfaktoren im Zeitpunkt der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens nicht mehr aktuell sind und sich nicht unerheblich verändert haben, ist sie anzupassen.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.04.2022 – Verg 34/21
Tenor:
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird die Entscheidung der 2. Vergabekammer des Bundes vom 4. Juni 2021, VK 2-43/21, teilweise aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass der von der Antragsgegnerin an die Beigeladene vergebene Auftrag „Übernahme der Unternehmerverantwortung im Bereich der Elektrotechnik – Verantwortliche Elektrofachkraft (VEFK) – im Amts- und Verantwortungsbereich des WSA-Oberrhein“ von Anfang an unwirksam ist.
3. Der Antragsgegnerin wird bei fortbestehender Vergabeabsicht aufgegeben, den Auftrag nur nach vorheriger Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union und nach Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens nach den Vorschriften des 4.Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nach Maßgabe der Auffassung des Senats zu vergeben.
4. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
5. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
6. Die Antragsgegnerin hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und die Amtskosten des Verfahrens vor der Vergabekammer sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu jeweils 3/4, die Antragstellerin hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und die Amtskosten des Verfahrens vor der Vergabekammer sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin zu jeweils 1/4 zu tragen.
7. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis 19.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung vom 18. Januar 2021 für die Zeit vom 1. April 2021 bis zum 31. März 2023 die Übernahme der Unternehmerverantwortung im Bereich Elektrotechnik – Verantwortliche Elektrofachkraft (VEFK) – im Verantwortungsbereich des Wasser- und Schifffahrtsamts Oberrhein öffentlich nach der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) über die elektronische Vergabeplattform des Bundes aus (Geschäftszeichen: …). Zuschlagskriterium waren neben dem mit 75 Prozent gewichteten Preis die Referenzen beziehungsweise die Befähigung des Bieters (Ziffer 12. der Bekanntmachung).
Der Ausschreibung ging eine in der Vergabedokumentation vom 28. Dezember 2020 festgehaltene Schätzung des Auftragswerts auf 200.000,00 Euro netto voraus.
Zu diesem Zeitpunkt war die Antragstellerin die mit der Aufgabe betraute Dienstleisterin, die diese im Rahmen von Jahresverträgen seit 2016 erbrachte. Für das Jahr 2019 hatte sie vereinbarungsgemäß eine Vergütung von […] Euro netto bei 130 Arbeitstagen zu je acht Stunden erhalten. Im Jahr 2020, in dem die organisatorische Zusammenlegung der Ämter G. und N. erfolgt ist, erwies sich das veranschlagte Arbeitspensum von 130 Tagen als nicht ausreichend. Die Antragstellerin übermittelte der Antragsgegnerin unter dem 30. September 2020 ein Angebot für den Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 31. Dezember 2022, das anstelle einer Abrechnung auf der Basis tatsächlicher Arbeitstage eine pauschale Vergütung in Höhe von […] Euro netto im Jahr vorsah. Mit dieser Vergütung sollten auch – bezogen auf die Vertragslaufzeit von 24 Monate – der über 130 Tage hinausgehende Mehraufwand im Jahr 2020 abgegolten sein. Auf das als Anlage ASt 14 vorgelegte Angebot wird Bezug genommen. Der Vertrag kam nicht zustande. Für den Mehraufwand von 21,6 Arbeitstagen im Jahr 2020 wurde der Antragstellerin am 9. November 2020 ein Nachtrag in Höhe von […] Euro netto bewilligt.
Die Antragsgegnerin begründete ihre Schätzung des Auftragswerts auf 200.000,00 Euro netto für den ausgeschrieben Zweijahresvertrag mit den jährlichen Zahlungen in Höhe von […] Euro netto auf der Grundlage des aktuellen Vertrages – ohne Berücksichtigung des Nachtrags in Höhe von […] Euro netto im Jahr 2020. Die allgemeine Kostensteigerung werde durch die zweijährige Laufzeit kompensiert, da organisatorische Wiederholungen wie Bestellungen, Auswahl und Dokumente sowie dann vorhandene Unterlagen Einsparungen für den Bieter im zweiten Jahr begründeten, weshalb der Preis – bezogen auf ein Jahr – unter dem Preis für einen Einjahresvertrag liegen müsse. Auch habe die Antragstellerin die Fortsetzung zu den bestehenden Konditionen angeboten, wobei der Preis außerdem noch verhandelbar gewesen sei.
Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben jeweils Angebote ab. Die Angebotssummen beider Bieter lagen mehr als 30 Prozent über dem Schwellenwert von 214.000,00 Euro netto. Mit Schreiben vom 16. März 2021 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Erteilung des Auftrags an die Beigeladene mit, deren Angebot mit 937,50 Wertungspunkten vor dem der Antragstellerin mit 898,05 Wertungspunkten den ersten Platz belegt habe.
Nach erfolgloser Rüge vom 23. März 2021 beantragte die Antragstellerin am 9. April 2021 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Zu dessen Begründung führte sie aus, die Auftragsvergabe an die Beigeladene stelle sich als unzulässige De-facto-Vergabe dar. Die Ausschreibung hätte wegen Überschreitung des Schwellenwerts europaweit bekannt gemacht, die Wartepflicht nach § 134 GWB hätte eingehalten werden müssen. Bei der Besprechung am 30. September 2020 sei ein Aufwand von 130 bis 150 Arbeitstagen pro Jahr erörtert worden, für die ein Tageshonorar von 1.000,00 Euro anzusetzen sei. Darauf habe sie in ihrem Angebot, dem ein aufgrund der Pauschalvergütung reduzierter Zeit- und Dokumentationsaufwand zugrunde gelegen habe, für den Fall der Ausschreibung ausdrücklich hingewiesen. Zudem seien in den ausgeschriebenen Leistungsumfang noch Schulungen und Weiterbildungen zusätzlich aufgenommen worden. Die Beigeladene sei im Übrigen wegen Nichterfüllung der Eignungsanforderungen auszuschließen. Sie erfülle weder die geforderte zehnjährige Berufserfahrung, noch verfüge sie über die geforderten aktuellen Befähigungen wie VDS anerkannter Elektrosachverständiger und BDSH Elektro-Sachverständiger. Zudem seien Zuschlagskriterien und deren Gewichtung intransparent gewesen.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1. festzustellen, dass der von der Antragsgegnerin an die Beigeladene vergebene Auftrag „Übernahme der Unternehmerverantwortung im Bereich der Elektrotechnik – Verantwortliche Elektrofachkraft (VEFK) – im Amts- und Verantwortungsbereich des WSA-Oberrhein“ von Anfang an unwirksam ist,
2. der Antragsgegnerin aufzugeben, das Angebot der Beigeladenen auszuschließen und bei fortbestehender Vergabeabsicht den Zuschlag auf ihr Angebot zu erteilen,
3. hilfsweise der Antragsgegnerin bei fortbestehender Vergabeabsicht aufzugeben, den Auftrag nur nach vorheriger Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union und nach Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens nach den Vorschriften des 4.Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nach Maßgabe der Auffassung der Vergabekammer zu vergeben,
4. ihr Einsicht in die Vergabeakte zu gewähren,
5. die Hinzuziehung ihrer VerfahrensbevolImächtigten für notwendig zu erklären,
6. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten ihrer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
die Anträge als unzulässig zu verwerfen, jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen und der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, für ein Nachprüfungsverfahren nach dem 4. Teil des GWB sei kein Raum. Ihre Schätzung eines unterhalb des Schwellenwerts liegenden Auftragswerts sei ordnungsgemäß nach § 3 VgV erfolgt. Da es sich überwiegend um jährlich wiederkehrende Leistungen handele, habe sie sich auf die Kosten der bisherigen, jährlich nach der UVgO vergebenen Verträge gestützt. Die Leistungen seien zwar diesmal genauer spezifiziert, der Leistungsumfang habe sich aber nicht erhöht. Die allgemeine Preissteigerung werde durch die mit der Vergabe für zwei Jahre einhergehenden Synergieeffekte kompensiert. Der Nachtrag im Jahr 2020 beruhe auf der durch die Zusammenlegung der Ämter G. und N. verursachten Mehrarbeit und habe daher als einmalig außer Betracht zu bleiben gehabt. In ihrer Schätzung des Auftragswerts habe sie das Angebot der Antragstellerin, die Arbeiten auf Basis der jährlichen Vergütung von … Euro netto für weitere 24 Monate auszuführen, bestärkt.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 4. Juni 2021 verworfen. Der Antrag sei nicht statthaft, der Rechtsweg zu den Vergabekammern sei mangels Überschreitens des Schwellenwerts von 214.000,00 Euro nicht eröffnet. Die Auftragswertschätzung der Antragsgegnerin genüge den Vorgaben des § 3 VgV. Es sei sachgerecht gewesen, auf die Kosten des Vorauftrags abzustellen und eine Kompensation der Preissteigerung durch die Synergieeffekte anzunehmen. Dabei habe der Nachtrag im Jahr 2020 unberücksichtigt bleiben dürfen, weil es sich um einmalige Mehrarbeiten im Zuge der Zusammenlegung der Ämter G. und N. gehandelt habe, die schlichte, hinsichtlich des Grundes nicht spezifizierte Bewilligung zusätzlicher Stunden und Leistungen stehe diesem Vortrag nicht entgegen. Zudem habe sich die Antragsgegnerin auch auf das Angebot der Antragstellerin stützen können. Sie habe davon ausgehen können, dass das Angebot marktüblich sei, da auch die Antragstellerin wie jedes Unternehmen mit dem Erlös ihrer Arbeit wirtschaften müsse. Dass das Angebot auf einem deutlich reduzierten Leistungsumfang basiere, sei nicht ersichtlich. Der Leistungsumfang habe sich mit der Ausschreibung auch nicht gegenüber den früheren Aufträgen erhöht. Die Antragstellerin habe in ihrem Schriftsatz vom 26. Mai 2021 selbst eingeräumt, dass Seminare und Jahresunterweisungen bereits Teil ihres Verlängerungsangebots gewesen seien. Ein Hinausgehen der Schulungsmaßnahmen in Position 8 des Leistungsverzeichnisses über die in der Vergangenheit inkludierten Maßnahmen sei nicht ersichtlich, dies habe die Antragstellerin ebenfalls selbst in ihrer E-Mail vom 3. November 2020 eingeräumt. Im Übrigen sei die Antragstellerin aber auch wegen Fehlens einer Rüge präkludiert, der Ausschluss der Rügepflicht in § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB gelte nach der ratio legis nicht für am Unterschwellenvergabeverfahren beteiligte Unternehmen.
Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Unzutreffend sei bereits die Annahme, eine realistische Kostensteigerung von drei Prozent werde durch Synergieeffekte im zweiten Jahr kompensiert. Alle Dokumente wie Besuchsberichte, Gefährdungsbeurteilungen und Bestellungen seien einzelfallbezogen auszufertigen. Ihr Konzeptangebot vom 30. September 2020 werde nur selektiv im Vergabevermerk berücksichtigt. Aus dessen Seiten 1 bis 10 ergebe sich ein Neuaufbau und eine Straffung der Organisationsstruktur, die zu einer erheblichen Arbeitsreduktion geführt hätten, allein auf die Umsetzung dieser Maßnahmen habe sich ihr Angebot bezogen. Die Antragsgegnerin habe jedoch die von ihr als notwendig vorgeschlagenen Maßnahmen abgelehnt und sich hiermit nicht deckende Leistungen ausgeschrieben. Darauf habe sich ihr Angebot aber nicht bezogen. Sie habe auch in ihrer Mail vom 2. Oktober 2020 nicht 130 Tage im Jahr für hierfür ausreichend erachtet, sondern explizit „ohne Unterweisungen“ hinzugefügt, die von einem externen Anbieter aufgrund eines zusätzlichen Auftrags auszuführen seien. Eine dies inkludierende Leistung wie die ausgeschriebene, sei in 130 Arbeitstagen und für … Euro netto pro Jahr schlicht nicht zu erbringen, was sich im Jahr 2020 auch gezeigt habe. Die im Fehlen einer rechtskonformen Organisation im Bereich des ehemaligen Wasserschutzsamts G. erforderlichen Mehrarbeiten seien 2020 nicht abgeschlossen worden. Mehrarbeit falle auch noch 2021 und 2022 an, was der Antragsgegnerin aufgrund der Gespräche über den Nachtrag bekannt gewesen sei. Auch habe die Antragsgegnerin auf den gebotenen Sicherheitsaufschlag verzichtet. Ihrer Verpflichtung zu einer validen Kostenschätzung habe sie damit im Ansatz nicht genügt. Eine Rügepflicht bestehe bei De-facto-Vergaben nach dem klaren Wortlaut der Norm nicht. In der Sache sei die Beigeladene wegen Nichterfüllung der Eignungsanforderungen auszuschließen, zudem seien die Zuschlagskriterien intransparent gewesen.
Die Antragstellerin beantragt,
1. die Entscheidung der 2. Vergabekammer des Bundes vom 4. Juni 2021, VK 2-43/21 aufzuheben;
2. festzustellen, dass der von der Antragsgegnerin an die Beigeladene vergebene Auftrag „Übernahme der Unternehmerverantwortung im Bereich der Elektrotechnik – Verantwortliche Elektrofachkraft (VEFK) – im Amts- und Verantwortungsbereich des WSA-Oberrhein“ von Anfang an unwirksam ist;
3. der Antragsgegnerin aufzugeben, das Angebot der Beigeladenen auszuschließen und bei fortbestehender Vergabeabsicht den Zuschlag auf ihr Angebot zu erteilen;
4. hilfsweise der Antragsgegnerin bei fortbestehender Vergabeabsicht aufzugeben, den Auftrag nur nach vorheriger Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union und nach Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens nach den Vorschriften des 4.Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nach Maßgabe der Auffassung der Vergabekammer zu vergeben;
5. hilfsweise, die Vergabekammer zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des angerufenen Gerichts über Sache erneut zu entscheiden;
6. die Hinzuziehung ihrer Prozessbevollmächtigten für notwendig zu erklären;
7. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens sowie ihre zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Anträge der Antragstellerin zurückzuweisen und ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer. Ihre Schätzung basiere auf der Grundlage des bisherigen Vertrags, dessen Leistungssoll nicht erweitert worden sei. Die Spezifizierung sei lediglich aus Gründen einer besseren Angebots- und genaueren Abrechnungsgrundlage erfolgt. Vielmehr habe sich der Umfang reduziert, da etwa die Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen nur einmalig in jetzt zwei Jahren anfalle. So sei der in den Positionen 10 und 12 des Leistungsverzeichnisses erfasste Aufwand für zwei Jahre derselbe wie zuvor für ein Jahr. Der Nachtrag im Jahr 2020 sei bewusst nicht berücksichtigt worden, weil er auf dem einmaligen Aufwand der Zusammenführung der beiden Amtsstrukturen beruhe. Ihre Schätzung sei durch das Angebot der Antragstellerin bestätigt worden, dass sie nur als Fortsetzung der bisherigen Leistung zum gleichen Preis habe verstehen können.
II.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingereicht. Die erforderliche Beschwer der Antragstellerin ist nach § 171 Abs. 1 Satz 2 GWB gegeben, weil sie am Verfahren vor der Vergabekammer beteiligt war und die Vergabekammer ihren Nachprüfungsantrag verworfen hat.
2. Die Beschwerde hat auch in der Sache überwiegend Erfolg. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig und mit Ausnahme ihres Begehrens auf Zuschlagserteilung begründet. Die Antragsgegnerin hat den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet gewesen wäre.
a) Das Vergaberechtsregime einschließlich des Nachprüfungsverfahrens ist gemäß § 106 Abs. 1 GWB eröffnet, weil der zu schätzende Schwellenwert überschritten ist (Senatsbeschluss vom 30. Juli 2003 – Verg 5/03, BeckRS 2003, 17897).
Der jeweilige Schwellenwert für öffentliche Aufträge ergibt sich nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB aus Art. 4 lit. c der Vergaberichtlinie 2014/24/EU, der für Dienstleistungsaufträge, die von subzentralen öffentlichen Auftraggebern vergeben werden, im hier maßgeblichen Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2021 einen geschätzten Wert ohne Mehrwertsteuer in Höhe von 214.000,00 Euro vorsah.
aa) Der Auftragswert ist grundsätzlich anhand der geschätzten Gesamtvergütung für die vorgesehene Leistung ohne Berücksichtigung der Umsatzsteuer zu schätzen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 VgV). Dabei muss die Vergabestelle eine ernsthafte Prognose über den voraussichtlichen Auftragswert anstellen oder erstellen lassen. Diese Prognose hat zum Gegenstand, zu welchem Preis die in den Verdingungsunterlagen beschriebene Leistung voraussichtlich unter Wettbewerbsbedingungen beschafft werden kann (BGH, Urteil vom 27. November 2007, X ZR 18/07, BeckRS 2008, 1230 Rn. 45). Ein pflichtgemäß geschätzter Auftragswert ist jener Wert, den ein umsichtiger und sachkundiger öffentlicher Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung des relevanten Marktsegmentes und im Einklang mit den Erfordernissen betriebswirtschaftlicher Finanzplanung bei der Anschaffung der vergabegegenständlichen Sachen bzw. Leistungen veranschlagen würde (Senatsbeschluss vom 30. Juli 2003 – Verg 5/03, BeckRS 2003, 17897; OLG Celle, Beschluss vom 19. August 2009, 13 Verg 4/09; OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. Mai 2012, 11 Verg 2/12; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. November 2008, 15 Verg 4/08; OLG Naumburg, Beschluss vom 16. Oktober 2007, 1 Verg 6/07; OLG Brandenburg, Beschluss vom 29. Januar 2013, Verg W 8/12, BeckRS 2013, 3142).
Dem Auftraggeber steht bei der Ermittlung des Auftragswertes ein Beurteilungsspielraum zu, der im Nachprüfungsverfahren nur eingeschränkt überprüfbar ist (OLG München Beschluss vom 11. April 2013, Verg 3/13, BeckRS 2013, 7174). Die Kostenschätzung ist als ein der eigentlichen Ausschreibung vorgeschalteter Vorgang mit Unsicherheiten und Unwägbarkeiten behaftet; sie kann nicht an den gleichen Maßstäben wie das Angebot der Teilnehmer am Ausschreibungsverfahren gemessen werden. Ihrem Gegenstand nach bildet sie eine Prognose, die dann nicht zu beanstanden ist, wenn sie unter Berücksichtigung aller verfügbarer Daten in einer der Materie angemessenen und methodisch vertretbaren Weise erarbeitet wurde. Dem Charakter der Prognose entsprechend können dabei lediglich die bei ihrer Aufstellung vorliegenden Erkenntnisse berücksichtigt werden, nicht jedoch solche Umstände, die erst im Nachhinein bei einer rückschauenden Betrachtung erkennbar und in ihrer Bedeutung ersichtlich werden. Aus der Sicht der Beteiligten sind ihre Ergebnisse hinzunehmen, wenn die Prognose aufgrund der bei ihrer Aufstellung objektiv vorliegenden und erkennbaren Daten als vertretbar erscheint (BGH, Urteil vom 8. September 1998, X ZR 99/96, NJW 1998, 3640, 3642; Senatsbeschlüsse vom 29. August 2018 – Verg 14/17, und 13. März 2019 – Verg 42/18, BeckRS 2019, 14762 Rn. 24). Wurde der Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt, sachliche Erwägungen zugrunde gelegt, der Beurteilungsmaßstab zutreffend angewandt und das vorgeschriebene Verfahren eingehalten, ist im Nachprüfungsverfahren von der vorgenommenen Schätzung auszugehen (OLG München Beschluss vom 11. April 2013, Verg 3/13, BeckRS 2013, 7174).
Vom Auftraggeber ist allerdings zu verlangen, dass er eine seriöse Prognose des voraussichtlichen Gesamtauftragswertes anhand objektiver Kriterien vornimmt, dabei Umsicht und Sachkunde walten lässt und die wesentlichen Kostenfaktoren berücksichtigt (OLG München Beschluss vom 11. April 2013, Verg 3/13, BeckRS 2013, 7174). Die Prognose darf nicht auf erkennbar unrichtigen Daten beruhen, etwa, weil sie eine vorhersehbare Kostenentwicklung unberücksichtigt lässt oder ungeprüft und pauschal auf anderen Kalkulationsgrundlagen beruhende Werte übernimmt (BGH, Urteil vom 8. September 1998, X ZR 99/96, NJW 1998, 3640, 3642; Senatsbeschlüsse vom 29. August 2018 – Verg 14/17, und 13. März 2019 – Verg 42/18, BeckRS 2019, 14762 Rn. 24). Soweit die der Schätzung zugrunde gelegten Preise oder Preisbemessungsfaktoren im Zeitpunkt der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens nicht mehr aktuell sind und sich nicht unerheblich verändert haben, ist sie anzupassen (BGH, Urteil vom 20. November 2012, X ZR 108/10, NZBau 2013, 180 Rnrn. 19, 20; Senatsbeschluss vom 13. März 2019 – Verg 42/18, BeckRS 2019, 14762 Rn. 24). Ist der nunmehr ausgeschriebene Auftrag bereits zuvor vergeben worden, ist es sachgerecht, bei der Schätzung vom bisherigen Wertaufkommen auszugehen (Senatsbeschluss vom 2. November 2016 – Verg 21/16, BeckRS 2016, 119581 Rn. 13), wobei aktuelle Preisentwicklungen zu berücksichtigen sind (Senatsbeschluss vom 13. März 2019 – Verg 42/18, BeckRS 2019, 14762 Rn. 24). Eine Unterschreitung des bisherigen Wertaufkommens ist möglich, wenn nachvollziehbar konkrete organisatorische oder strukturelle Veränderungen im Einzelnen dargestellt worden, die eine hinreichende, zumindest vertretbar ermittelte Reduktion des Auftragswerts erwarten lassen (Senatsbeschluss vom 2. November 2016 – Verg 21/16, BeckRS 2016, 119581 Rn. 14). Abweichungen zwischen der Höhe des geschätzten Auftragswerts und des Wertes der tatsächlich eingereichten Angebote begründen allein noch keinen Vergabeverstoß, sie können jedoch eine gewisse Indizwirkung für eventuelle Fehler in der Schätzung haben (ebenso VK Baden-Württemberg Beschluss vom 31. Januar 2020, 1 VK 69/19, BeckRS 2020, 28573 Rn. 19).
Die Erwägungen der Vergabestelle sind nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 VgV im Vergabevermerk zu dokumentieren, wobei es ausreichend ist, die wesentlichen Aspekte niederzulegen. Weder muss die Vergabestelle jedes Detail ihrer Überlegungen festhalten, noch muss sie mit sachverständiger Hilfe vorab eine detaillierte Kostenschätzung in Form einer Preiskalkulation für alle Einzelpositionen der Leistungsbeschreibung vornehmen. Eine solche Anforderung würde den zumutbaren Rahmen eines Vergabeverfahrens sprengen (OLG München Beschluss vom 11. April 2013, Verg 3/13, BeckRS 2013, 7174). Verbleibende Dokumentationsmängel sind heilbar und können durch nachgeschobenen Vortrag der Antragsgegnerin im Verfahren geheilt werden (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2015 – Verg 28/14, BeckRS 2015, 18210 Rn. 175). Es kann der Vergabestelle nicht unter dem Gesichtspunkt fehlender Dokumentation verwehrt werden, weitere Umstände oder Gesichtspunkte vorzutragen, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung außerdem nachträglich verteidigt werden soll (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011, X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 Rn. 73 – Abellio Rail).
bb) Diesen Anforderungen genügt die Schätzung der Antragsgegnerin nicht. Ihre Prognose fußt auf einer bei Erstellung des Vergabevermerks am 28. Dezember 2020 bereits nicht mehr aktuellen und daher unrichtigen Datengrundlage. Nach dem Vergabevermerk basiert die Kostenschätzung auf dem aktuellen Vertrag unter Berücksichtigung der allgemeinen Kostensteigerung. Bereits am 9. November 2020 hatte die Antragsgegnerin jedoch der Antragstellerin für einen Mehraufwand von 21,6 Arbeitstagen einen Nachtrag in Höhe von […] Euro netto bewilligt, der zu der bereits bestehenden Vergütung in Höhe von [..] Euro netto hinzutrat. Das aktuelle Wertaufkommen für 2020 belief sich folglich auf […] Euro. Schon ohne Berücksichtigung jährlicher Kostensteigerungen wäre daher eine Kostenschätzung von […] Euro und unter Berücksichtigung jährlicher Kostensteigerungen von drei Prozent eine von […] Euro für den ausgeschriebenen Zwei-Jahres-Vertrag folgerichtig gewesen.
Zwar kann auch eine hinter dem bisherigen Wertaufkommen zurückbleibende Kostenschätzung vertretbar sein. Dann bedarf es jedoch einer nachvollziehbaren Darstellung konkreter organisatorischer oder struktureller Veränderungen im Einzelnen, die eine hinreichende Reduktion des Auftragswerts erwarten lassen. Daran fehlt es jedoch. Der Vergabevermerk selbst nennt zwar einen unbezifferten Nachtrag wegen zusätzlicher Aufgaben, jedoch ohne diese zu benennen und die Nichtberücksichtigung zu begründen.
Dieser Dokumentationsmangel ist auch nicht durch nachgeschobenen Vortrag geheilt worden. Der Vortrag der Antragsgegnerin zur Nichtberücksichtigung des Nachtrags erschöpft sich in der pauschalen Behauptung, dieser decke lediglich einmaligen Mehraufwand aufgrund der Zusammenlegungen der Ämter G. und N. ab. Dies genügt den an eine Unterschreitung des bisherigen Wertaufkommens zu stellenden Anforderungen nicht, bei der die organisatorischen oder strukturellen Veränderungen im Einzelnen darzustellen sind, die die Wertreduktion erwarten lassen. Verlässt der öffentliche Auftraggeber die valide Basis einer Kostenschätzung auf Grundlage des bisherigen tatsächlichen Wertaufkommens im Zeitpunkt der Bekanntmachung – unter Berücksichtigung der allgemeinen Kostensteigerung -, erhöht sich der von ihm zu fordernde Begründungsaufwand, da für eine Verringerung des Wertaufkommens bei Folgeaufträgen in Anbetracht der allgemeinen Preisentwicklung zunächst einmal nichts spricht. Es hätte daher einer vollständigen Zuordnung der der Nachtragsbewilligung zugrunde liegenden 21,6 Arbeitstage zu konkreten Maßnahmen im Zuge der Zusammenlegung bedurft, die auch die Beendigung dieser Maßnahmen vor dem 1. April 2021 erkennen lässt.
Auf die E-Mail der Antragstellerin vom 2. Oktober 2020 kann sich die Antragsgegnerin bei ihrer pauschalen Behauptung eines einmaligen Mehraufwands nicht stützen. Abgesehen davon, dass es Sache des öffentlichen Auftraggebers ist, die Gründe für eine Schätzung unterhalb des bisherigen Auftragswertes im Einzelnen darzulegen, hat die Antragstellerin ihre Einschätzung eines künftigen jährlichen Arbeitsaufwands von 130 Arbeitstagen ausdrücklich mit dem Zusatz „ohne Unterweisungen“ versehen, diese sollten gesondert beauftragt werden.
Soweit die Antragsgegnerin eine Kompensation der normalen Kostensteigerungen durch Synergieeffekte im zweiten Jahr angenommen hat, genügt auch dies den Anforderungen an eine seriöse Kostenschätzung nicht. Auch hier gilt, dass sich der vom öffentlichen Auftraggeber zu fordernde Begründungsaufwand erhöht, wenn er die valide Basis einer Kostenschätzung auf Grundlage des bisherigen tatsächlichen Wertaufkommens im Zeitpunkt der Bekanntmachung unter Berücksichtigung der allgemeinen Kostensteigerung verlässt. Zwar sind derartige Synergieeffekte möglich, zwingend sind sie jedoch nicht. Nach dem Vortrag der Antragstellerin sollen alle Dokumente wie Besuchsberichte, Gefährdungsbeurteilungen und Bestellungen einzelfallbezogen auszufertigen sein. Dem ist die Antragsgegnerin nur pauschal entgegengetreten, ohne etwa konkrete Gefährdungsbeurteilungen zu benennen, die bei einer zweijährigen Auftragsvergabe in der Vergangenheit weggefallen wären. Zudem bestand vorliegend die Besonderheit, dass die Antragstellerin bereits seit 2016 Auftragnehmerin war und folglich bei ihren Angeboten in 2019 und 2020 die ihr intern entstehenden Synergieeffekte aufgrund der Vorjahrestätigkeit bereits einpreisen konnte und im Interesse einer Bezuschlagung auch eingepreist haben wird. Vor diesem Hintergrund hätte es der Darlegung gleichwohl konkret zu erwartender weiterer Synergien und ihrer Bewertung bedurft.
Mit dem Angebot der Antragstellerin vom 30. September 2020 konnte die Antragsgegnerin eine Auftragswertschätzung auf 200.000,00 Euro nicht begründen. So genügt das Abstellen auf eine nicht offengelegte Kalkulation eines insoweit auch nicht vom öffentlichen Auftraggeber beauftragten Dritten schon nicht dem Erfordernis einer eigenen Kostenschätzung des öffentlichen Auftraggebers, die denknotwendig Voraussetzung für die Ausübung seines Beurteilungsspielraums ist. Ein solches Vorgehen liefe in formaler Hinsicht auf eine vom Gesetz nicht vorgesehene Übertragung des Beurteilungsspielraums auf den Dritten hinaus.
Im Übrigen war das Angebot der Antragstellerin weder mit der seinerzeit nach Ausschreibung vergebenen noch mit der vorliegend ausgeschriebenen Leistung identisch. So sah das Angebot beispielsweise eine pauschale Vergütung anstelle der ausgeschriebenen Vergütung nach dokumentiertem Arbeitsaufwand vor, was für die Antragstellerin wegen des damit einhergehenden Wegfalls von Dokumentations- und Nachweisaufwand Vorteile gehabt hätte. Auch inhaltlich hat die Antragsgegnerin eine vollständige Identität der angebotenen mit der ausgeschriebenen Leistung nicht dargetan.
Die prognostischen Fehler der Antragsgegnerin spiegeln sich auch in den beiden abgegebenen Angeboten, ohne dass es nach dem vorstehend Ausgeführten noch deren Indizwirkung für fehlerhafte Schätzung ankäme. Selbst das Angebot der Beigeladenen liegt um mehr als 30 Prozent über dem Schwellenwert.
cc) Fehlt es an einer vertretbaren Prognose des Auftragswerts ist der Vergabesenat mangels vorliegender Einschätzung des Auftraggebers zwecks Bestimmung seiner Zuständigkeit zur eigenständigen Wertermittlung verpflichtet und berechtigt (OLG Brandenburg, Beschluss vom 29. Januar 2013, Verg W 8/12, BeckRS 2013, 3142). Danach ist der Auftragswert nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 VgV auf der Grundlage des tatsächlichen Wertes des Auftrags aus dem vergangenen Vergabezeitraum zu schätzen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 29. Januar 2013, Verg W 8/12, BeckRS 2013, 3142), wobei auch hier – wie ausgeführt – die gewöhnlichen Kostensteigerungen zu berücksichtigen sind. Auch den tatsächlich eingereichten Angeboten kann eine gewisse Indizwirkung zukommen (VK Baden-Württemberg Beschluss vom 31. Januar 2020, 1 VK 69/19, BeckRS 2020, 28573 Rn. 19).
Wie bereits ausgeführt, belief sich Wertaufkommen für 2020 auf […] Euro, so dass unter Berücksichtigung jährlicher Kostensteigerungen von drei Prozent eine Kostenschätzung auf […] Euro sachgerecht erscheint; ein Wert, der im Übrigen immer noch deutlich unter den beiden Angebotssummen liegt.
b) Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist auch im Übrigen statthaft und zulässig. Der bereits erfolgte Vertragsschluss mit der Beigeladenen steht dem Nachprüfungsantrag nicht entgegen, einer vorherigen Rüge bedurfte es nicht.
aa) Zwar ist ein Nachprüfungsantrag gemäß § 160 Abs. 1 GWB grundsätzlich nur solange der statthafte Rechtsbehelf, wie ein Vergabeverfahren noch nicht durch einen wirksamen Zuschlag abgeschlossen ist. Das ergibt sich aus der Gesetzessystematik. Der vergaberechtliche Primärrechtsschutz hat nach § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB das Ziel, eine Rechtsverletzung im noch nicht abgeschlossenen Vergabeverfahren zu beseitigen. Ist es – infolge eines wirksamen Zuschlags – zu einer definitiven Rechtsverletzung im Vergabeverfahren gekommen, so sind gemäß § 13 GVG für die sich daraus ergebenden Rechtsstreitigkeiten unmittelbar die ordentlichen Gerichte zuständig (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000, X ZB 14/00, NJW 2001, 1492 f.). Ist der Zuschlag einmal wirksam erteilt, ohne dass zuvor ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eingeleitet worden ist, kann eine Zuständigkeit der Vergabekammern nicht mehr begründet werden. Das zeigt auch § 168 Abs. 2 GWB, insbesondere sein Satz 2, wonach aus Gründen der Prozessökonomie nur dann eine Zuständigkeit der Vergabekammer (fort) besteht, eine Rechtsverletzung trotz Zuschlags festzustellen, wenn das Nachprüfungsverfahren zum Zeitpunkt des Zuschlags bereits eingeleitet war (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000, X ZB 14/00, NJW 2001, 1492 f; Senatsbeschluss vom 19. April 2017 – Verg 38/16, BeckRS 2017, 116312 Rn. 18).
Allerdings gilt eine Ausnahme von diesem Grundsatz in den beiden in § 135 Abs. 1 GWB genannten Fällen. In diesen führt der Zuschlag zunächst nur zu einem schwebend wirksamen Vertrag. Binnen der in § 135 Abs. 2 GWB genannten Fristen kann deshalb noch vor der Vergabekammer ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden mit dem Ziel, dass einer der beiden im Gesetz genannten Vergaberechtsverstöße festgestellt wird. In dem Fall, dass ein Verstoß festgestellt wird, ist der mit dem Zuschlag zunächst schwebend wirksame Vertrag von Anfang an unwirksam. § 135 GWB regelt damit den Spezialfall der Statthaftigkeit eines Nachprüfungsantrags trotz eines bereits erteilten Zuschlags (Senatsbeschluss vom 19. April 2017 – Verg 38/16, BeckRS 2017, 116312 Rn. 19).
Für die Frage der Statthaftigkeit des auf § 160 Abs. 1 i.V.m. § 135 GWB gestützten Nachprüfungsantrags kommt es nicht darauf an, ob einer der in § 135 Abs. 1 GWB aufgeführten Vergaberechtsverstöße im Ergebnis zu bejahen ist. Die Frage eines Verstoßes gegen § 135 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 GWB betrifft sowohl die Statthaftigkeit als auch die Begründetheit des Nachprüfungsantrags (sog. doppelrelevante Tatsache). In solchen Fällen ist eine rechtliche Argumentation, nach der ein Verstoß gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 GWB zu bejahen ist, nicht schon im Rahmen der Statthaftigkeit des Rechtsbehelfs, sondern erst im Rahmen der Begründetheit zu überprüfen (Senatsbeschluss vom 19. April 2017 – Verg 38/16, BeckRS 2017, 116312 Rn. 19; OLG Celle, Beschluss vom 24. Oktober 2019, 13 Verg 9/19, NZBau 2020, 535 Rn. 17). Dementsprechend ist vom Vortrag der Antragstellerin auszugehen, die sich auf einen Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GWB beruft und dafür geltend macht, dass die Antragsgegnerin den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union und auch ohne Information nach § 134 GWB vergeben habe, obwohl der maßgebliche Schwellenwert überschritten sei.
bb) Der Nachprüfungsantrag ist fristgerecht eingereicht. Die in § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB formulierte Frist für die Geltendmachung der Unwirksamkeit ist gewahrt. Nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB muss die Unwirksamkeit innerhalb von 30 Kalendertagen ab Information des betroffenen Bieters durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrages geltend gemacht werden. Vorliegend hat die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Schreiben vom 16. März 2021 über die Vergabe des Auftrags an die Beigeladene informiert, die Antragstellerin hat den Nachprüfungsantrag am 9. April 2021 gestellt.
cc) Die Antragstellerin ist und auch nicht nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB präkludiert, denn gemäß § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB gilt die Rügeobliegenheit nach Satz 1 nicht bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit eines ohne die gebotene Ausschreibung vergebenen Vertrages nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB.
Soweit der Senat in einer Entscheidung zur Vorgängervorschrift § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB a. F. die Auffassung vertreten hat, für das am Vergabeverfahren beteiligte Unternehmen gelte § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB a. F. i.V.m. § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB a.F. nicht, weil der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, dass demjenigen, der infolge Nichtveröffentlichung und Nichtbeteiligung an dem Vergabeverfahren von dem Verfahren keine Kenntnis erlangt hat, eine Rüge nicht zugemutet werden könne, was auf ein Unternehmen, das am Vergabeverfahren beteiligt wurde, nicht zutreffe (Senatsbeschluss vom 11. Januar 2012 – Verg 67/11, BeckRS 2012, 6486), hält er daran nicht fest.
Der Gesetzgeber hat in Kenntnis dieser zu § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB ergangenen Rechtsprechung eine diesbezügliche Einschränkung im Rahmen von § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB bei gleichzeitiger Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht vorgenommen. Im Gegensatz zum Wortlaut des § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB a.F. knüpft die Rechtsfolge der Unwirksamkeit des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht mehr an die fehlende Beteiligung anderer Unternehmen an der Auftragsvergabe an, sondern ausschließlich an der unterlassenen Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union. Daher muss auch ein Unternehmen, das die Möglichkeit hatte, sich an der Ausschreibung zu beteiligen, auf Grund der klaren gesetzlichen Regelung des § 160 Abs. 3 S. 2 GWB nicht vorab die unterlassene europaweite Bekanntmachung bei einer de-facto Vergabe rügen.
Der Zugang zu den gesetzlich vorgesehenen Rechtschutzmöglichkeiten darf nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht unangemessen und nicht ohne gesetzliche Grundlage erschwert werden (vgl. Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 19 Rn. 49 f., 75 sowie Art. 20 Rn. 72). Insbesondere darf ein dem gerichtlichen Verfahren vorgelagertes Verwaltungsverfahren nicht so angelegt sein, dass der gerichtliche Rechtsschutz unzumutbar erschwert wird; verfahrensrechtliche Vorschriften sind grundsätzlich rechtsschutzfreundlich auszulegen (BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1982, 2 BvR 1187/80, NJW 1982, 2173, 2175/76). Eine analoge Anwendung von gesetzlichen Regelungen, die der Beschränkung des Zugangs zu grundsätzlich eröffnetem Rechtsschutz dienen, verbietet sich hiernach, zumal es angesichts der unveränderten Übernahme der Regelung in § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB an einer unbeabsichtigten Regelungslücke und damit an den allgemeinen Voraussetzungen für eine zulässige Analogie fehlt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. November 2013, 15 Verg 5/13, NZBau 2014, 378, 379).
Vor diesem Hintergrund ist auch für einen auf Treu und Glauben, § 242 BGB, gestützten Einwand unzulässiger Rechtsausübung in Gestalt selbstwidersprüchlichen Verhaltens kein Raum. Eine vom Gesetzgeber bewusst unterlassene Differenzierung kann nicht über eine Anwendung von Treu und Glauben korrigiert werden, dem steht auch der Grundsatz von der Rechtswegklarheit entgegen. Für die Annahme einer Unzulässigkeit der Rechtsausübung bedürfte es weiterer, über den Regelfall der Beteiligung am Unterschwellenvergabeverfahren hinausgehender Umstände, die vorliegend nicht ersichtlich sind.
c) Auch das Schadenserfordernis ist erfüllt. Gemäß § 160 Abs. 2 GWB sind nur solche Unternehmen antragsbefugt, denen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Da das Nachprüfungsverfahren kein abstraktes Instrument zur Fehlerkontrolle ist, sondern dem Individualrechtsschutz dient, kann ein Nachprüfungsantrag eines am Auftrag interessierten Marktteilnehmers nur dann erfolgreich sein, wenn Vergabefehler eine Beeinträchtigung seiner Bieterechte nach sich ziehen (OLG Thüringen, Beschluss vom 12. April 2012, 2 Verg 2/12, Rn. 116; OLG München, Beschluss vom 11. April 2013, Verg 3/13, BeckRS 2013, 7174).
Ein Schaden droht, wenn der Antragsteller im Fall eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte (BGH, Beschluss vom 10. November 2009, X ZB 8/09, NZBau 2010, 124 Rn. 32), wenn also die Aussichten dieses Bieters auf die Erteilung des Auftrags zumindest verschlechtert worden sein können (BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2004, 2 BvR 2248/03, NZBau 2004, 564, 565; Senatsbeschluss vom 10. Februar 2021, Verg 23/20, BeckRS 2021, 21311 Rn. 26). Das ist regelmäßig der Fall, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren nicht ohne Weiteres durch Zuschlag beendet werden darf, und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt (BGH a. a. O.). An die Darlegung des entstandenen oder drohenden Schadens sind deshalb keine sehr hohen Anforderungen zu stellen (Senatsbeschlüsse vom 10. Februar 2021, Verg 23/20, BeckRS 2021, 21311 Rn. 26, und vom 30. September 2020 – Verg 15/20).
Erst wenn eine Verschlechterung der Zuschlagschancen durch den geltend gemachten Vergaberechtsverstoß offensichtlich ausgeschlossen ist, ist der Nachprüfungsantrag mangels Antragsbefugnis unzulässig (Senatsbeschlüsse vom 10. Februar 2021, Verg 23/20, BeckRS 2021, 21311 Rn. 26, und vom 30. September 2020 – Verg 15/20). So kann der Umstand, dass die Absicht der Vergabe des Auftrags nicht europaweit, sondern nur national ausgeschrieben wurde, dann unbeachtlich sein, wenn der Antragsteller sich am Verfahren beteiligten konnte (OLG München, Beschluss vom 11. April 2013, Verg 3/13, BeckRS 2013, 7174) und sein Angebot gegenüber dem der Beigeladenen schon aus anderen Gründen chancenlos war, weil seine Auftragschancen durch den gerügten Vergabeverstoß dann nicht geschmälert wurden (Senatsbeschluss vom 1. August 2012 – Verg 10/12, BeckRS 2012, 18205).
Eine solche Ausnahme ist vorliegend nicht gegeben. Zwar konnte und hat sich die Antragstellerin am Vergabeverfahren beteiligt, auch war das Angebot der Beigeladenen das wirtschaftlichere. Die Antragstellerin macht jedoch geltend, dass sie bei ordnungsgemäßen Vergabeverfahren innerhalb der vorliegend nicht gewahrten Wartefrist nach § 134 Abs. 2 GWB die beabsichtigte Bezuschlagung der Beigeladenen erfolgreich gerügte hätte, weil diese wegen Nichterfüllung der Eignungsanforderungen auszuschließen gewesen sei, da sie ausweislich ihres eigenen Internetauftritts weder über die geforderte zehnjährige Berufserfahrung, noch über die geforderten aktuellen Befähigungen wie VDS anerkannter Elektrosachverständiger und BDSH Elektro-Sachverständiger verfüge. Zudem seien Zuschlagskriterien und deren Gewichtung intransparent gewesen.
d) Der Nachprüfungsantrag ist auch überwiegend begründet. Der Vertrag der Antragsgegnerin mit Beigeladenen ist nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam. Der Auftrag ist ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben worden, obwohl die allein in Rede stehende gesetzliche Voraussetzung für ein Absehen von einer EU-weiten Ausschreibung, eine Unterschreitung des Schwellenwerts, nicht gegeben war. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen unter 2.a) verwiesen werden.
Allerdings kommt eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Ausschluss des Angebots der Beigeladenen und Bezuschlagung des Angebots der Antragstellerin nicht in Betracht. Da ein Kontrahierungszwang der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers zuwiderlaufen würde, kann er grundsätzlich nicht zur Erteilung des Zuschlags gezwungen werden (BGH, Beschluss vom 20. März 2014, X ZB 18/13; Senatsbeschluss vom 17. April 2019 – Verg 36/18). Nur in Ausnahmefällen, in denen unter Beachtung aller Beurteilungsspielräume die Erteilung des Zuschlags an den Antragsteller die einzige rechtmäßige Entscheidung ist, kann die Anweisung an die Vergabestelle in Betracht kommen, dem Antragsteller den Zuschlag zu erteilen (Senatsbeschluss vom 17. April 2019 – Verg 36/18). Letzteres scheitert vorliegend schon deswegen, weil es an einer vergaberechtskonformen Ausschreibung fehlt.
Die Antragsgegnerin ist daher auch bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur gemäß dem Hilfsantrag der Antragstellerin zur ordnungsgemäßen Neuausschreibung verpflichtet.
III.
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens auf § 175 Abs. 2 i.V.m. § 71 S. 1 GWB. Die Antragsgegnerin hat aus Gründen der Billigkeit die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu 3/4 zu tragen, weil die Antragstellerin ihr Prozessziel überwiegend erreicht hat (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2015 – Verg 28/14, NZBau 2016, 235 Rn. 178). Allerdings hat diese die von ihr begehrte Bezuschlagung ihres Angebots nicht erlangt, weshalb es billig ist, ihr 1/4 der Kosten aufzuerlegen. Die Antragsgegnerin hat als überwiegend Unterlegene gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB, Abs. 4 S. 1 GWB ebenfalls die im Verfahren vor der Vergabekammer entstandenen Kosten und notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu 3/4 tragen, während das verbleibende 1/4 sowie 1/4 notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin auch insoweit der Antragstellerin zur Last fällt. Es entspricht jeweils der Billigkeit, dass die Beigeladene, die sich weder am Verfahren vor der Vergabekammer noch am Beschwerdeverfahren aktiv beteiligt hat, ihre Kosten selbst trägt.
Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer war im Sinne von § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 VwVfG notwendig, weil die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht hinreichend schwierig war.
Die Entscheidung über die Festsetzung des Werts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Demnach beträgt der Gegenstandswert fünf Prozent des Bruttoauftragswerts des Angebots der Antragstellerin (Senatsbeschluss vom 10. Februar 2021 – Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn. 56).