Ax Projects GmbH

 

von Thomas Ax

Nach der Dokumentationsverpflichtung des § 6 Abs. 1 UVgO ist das Vergabeverfahren von Anbeginn fortlaufend in Textform nach § 126b BGB zu dokumentieren, so dass Einzelstufen des Verfahrens, die einzelnen Maßnahmen sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen festgehalten werden.

Es handelt sich dabei um die sogenannte ex-post Transparenz, die eine nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens ermöglicht und aus diesem Grunde für die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes essentiell ist. Alle Fakten, Umstände und Überlegungen, auf deren Grundlage die Zuschlagsentscheidung getroffen wurde, sind vollständig und wahrheitsgemäß in der Dokumentation aufzuführen. In zeitlicher Hinsicht stellt die Formulierung „von Anbeginn“ klar, dass die Dokumentation bereits auf der ersten Stufe mit der Bekanntmachung zu beginnen hat. Die Verpflichtung zur fortlaufenden Dokumentation setzt überdies voraus, dass der Auftraggeber vor und nach jeder relevanten Entscheidung bzw. Stufe entsprechende Feststellungen zu den Akten bringt, die den Verlauf des Verfahrens nachvollziehbar und überprüfbar machen. Die Dokumentation hat zeitnah zur entsprechenden Entscheidung zu erfolgen.

Die Erstellung einer Dokumentation bei Abschluss des Vergabeverfahrens genügt nicht.

Denn gerade die zeitnahe Führung des Vergabevermerks sichert die notwendige Transparenz des Verfahrens und wirkt Manipulationen entgegen. Vielmehr muss das Vergabeverfahren Schritt für Schritt und in den einzelnen Stufen vorgehensgetreu und nachvollziehbar beschrieben werden. Die Vergabestelle ist an die Dokumentation gebunden. Der Auftraggeber kann sich im Nachhinein nicht auf andere Erwägungen berufen. Die Dokumentation muss so ausführlich geführt werden, dass ein fachkundiger Dritter das gesamte Verfahren einschließlich aller Entscheidungen und Ergebnisse nachvollziehen kann (Petersen in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VOL/A, 1. Aufl. 2013, § 20 Rn. 2, 7 ff.; Weiner in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, 2. Aufl. 2017, § 1 Rn. 37).

Der Auftraggeber erfüllt seine Dokumentationspflicht, wenn der förmliche Verfahrensablauf und der materielle Inhalt der im Laufe des Verfahrens getroffenen Entscheidungen nebst Begründung aus der Vergabeakte erkennbar sind.

Dabei ist die Dokumentation chronologisch („fortlaufend“) aufzubauen. Zum Zwecke der Beweissicherung sind die einzelnen relevanten Schritte mit einem Datum zu versehen, gegebenenfalls auch mit der Uhrzeit, soweit es darauf ankommt. Weiter sollte aus der Dokumentation auch erkennbar sein, welcher Entscheidungsträger gehandelt hat. Alle wesentlichen Verfahrensschritte von der Beschaffungsentscheidung über die Bekanntmachung bis hin zur Öffnung der Angebote und der Entscheidung über den Zuschlag sind in der Vergabeakte zu dokumentieren. Einzelheiten und Ergänzungen oder Erläuterungen zu den einzelnen Unterlagen sind dann Teil des Vergabevermerks (Langenbach in Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2 (Hrsg. Burgi/Dreher), 3. Auflage 2019, § 8 VgV Rn. 12 ff.).

Neben der Kommunikation mit den Bietern erfasst die Dokumentationspflicht auch interne Beratungen, um das Vergabeverfahren auf jeder Stufe nachvollziehbar und transparent zu machen (Hänsel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl. 2018, VgV § 8 Rn. 5 u. 9).

Wenn der Vergabevermerk Auslassungen enthält oder bestimmte Vorgänge nur ungenau dokumentiert, kann eine solche unvollständige Dokumentation zu Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugunsten des Bieters führen.

Enthalten die Vergabeakten etwa keinen Vermerk über einen Prüfungsvorgang, ist daher davon auszugehen, dass dieser Vorgang nicht stattgefunden hat (Hänsel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl. 2018, § VgV 8 Rn. 10). Liegen Dokumentationsmängel bzgl. des Mindestinhalts vor, können diese nach herkömmlicher Ansicht grundsätzlich nicht durch nachträgliche Erstellung eines Vergabevermerks behoben werden. Allerdings ist der Vortrag von Umständen und Gesichtspunkten, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung nachträglich verteidigt werden soll, möglich (Hänsel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl. 2018, § 8 VgV, Rn. 13).

Dokumentationspflichten sind kein Selbstzweck.

Wegen der besonderen Bedeutung der Dokumentation zur Gewährleistung von Transparenz, Gleichbehandlung und Wettbewerb im Vergabeverfahren sowie zur Korruptionsbekämpfung kommt eine Heilung von Dokumentationsmängeln grundsätzlich nicht in Betracht, soweit Entscheidungen überhaupt nicht dokumentiert worden sind. Dagegen ist eine Heilung von Dokumentationsmängeln im Einzelfall möglich, soweit es um das „Wie“ der Dokumentation geht. Gemeint ist die nachträgliche Ergänzung einer unzureichenden Begründung mit Umständen oder Gesichtspunkten, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung nachträglich verteidigt werden soll. In diesen Fällen ist abzuwägen zwischen dem Sinn und Zweck der Dokumentation, durch die zeitnahe Führung des Vergabevermerks die Transparenz des Vergabeverfahrens zu schützen und Manipulationsmöglichkeiten entgegenzuwirken, auf der einen Seite und dem vergaberechtlichen Beschleunigungsgrundsatz auf der anderen Seite (Schneider in Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, Teil A/B, 6. Aufl. 2017, § 8 VgV Rn. 7 ff.).

Zwar ist die Dokumentationspflicht kein Selbstzweck. Unter gewissen Umständen mag auch eine Heilung möglich sein.

Jedoch scheint zB ein völliges Unterbleiben der Dokumentation des Abweichens von einer Regelvergabe bzw. nur mit einer dürftigen Begründung in einem Satz äußerst fraglich.

 


Nachgefragt bei … (4): Kann von der Pflicht zur Losaufteilung nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB abgesehen werden?

 

Gemäß § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB sind Leistungen in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Unter dem Begriff „Fachlos“ sind Leistungen zu verstehen, die von einem bestimmten Handwerks- oder Gewerbebetrieb ausgeführt werden, d. h. einem bestimmten Fachgebiet zuzuordnen sind. Für die Frage, ob die Bildung eines eigenständigen Fachloses geboten ist, kommt es darauf an, ob für die spezielle Leistung ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen seit längerem besteht oder sich gerade herausgebildet hat. Entscheidend ist mithin eine hinreichende Abgrenzbarkeit (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29. April 2022, 15 Verg 2/22; OLG München, Beschl. v. 9. April 2015, Verg 1/15; OLG Naumburg, Beschl. v. 14. Mär 2013, 2 Verg 8/12; Knauff in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, GWB § 97 Rn. 24; Kus in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 97 Rn. 197).

Besteht nach § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB grundsätzlich eine Pflicht zur Losaufteilung, kann hiervon nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB abgesehen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern.

Bsp.:

Eine Pflicht zur Bildung von Fachlosen „Projektsteuerung allgemein / Teilprojekt Bau“ und „Projektsteuerung Teilprojekt Ausstellungen“ besteht nach § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB nicht.

Eine Aufteilung in Fachlose grundsätzlich zu erfolgen, wenn sich für die konkrete Leistung ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen herausgebildet hat. Ein derartiger Anbietermarkt für Projektsteuerungsleistungen für die Neugestaltung von Ausstellungen ist jedoch nicht ersichtlich. Wenn die Fachplanung für die Teilprojekte Bau und Ausstellungen unstreitig getrennt vergeben wurde, lässt das nicht den Schluss darauf zu, es bestünden auch im Bereich der Projektsteuerung entsprechende spezialisierte Anbietermärkte. Die Tatsache, dass der Antragsteller zwar über Referenzen im Bereich der Projektsteuerung Bau, aber nicht über Referenzen für die Projektsteuerung Ausstellungen verfügt, bedeutet ebenfalls nicht zwingend, dass es sich insoweit um einen getrennten Markt für entsprechende Projektsteuerungsleistungen handelt.

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Nachgefragt bei … (3): Wann ist ein Vergabeverstoß erkennbar?

 

Die Erkennbarkeit des Verstoßes gegen eine Vergabevorschrift setzt einerseits die Erkennbarkeit der maßgeblichen Tatsachen, andererseits die Erkennbarkeit des Rechtsverstoßes voraus (OLG Frankfurt, Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG München, Beschl. v. 22. Oktober 2015, Verg 5/15; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 20. Aufl. 2020, GWB § 160 Rn. 48). Dabei muss der Verstoß so deutlich zutage treten, dass er einem verständigen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebots beziehungsweise seiner Bewerbung auffallen muss; übersteigerte tatsächliche und rechtliche Anforderungen dürfen diesbezüglich nicht an einen Bieter gestellt werden (OLG München, Beschl. v. 24. März 2021, Verg 12/20; vgl. auch OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 27. Oktober 2022, 54 Verg 7/22; OLG Frankfurt, Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. September 2018, Verg 37/17).

Maßstab ist ein durchschnittlich fachkundiger Bieter, der die übliche Sorgfalt anwendet. Ob für die Erkennbarkeit des Vergabeverstoßes ein objektiver, auf den durchschnittlichen verständigen Bewerber oder ein subjektiver, auf die individuellen Verhältnisse des Bieters abstellender Maßstab anzuwenden ist, wurde und wird kontrovers diskutiert (für einen objektiven Maßstab: OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 27. Oktober 2022, 54 Verg 7/22; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7. September 2022, 15 Verg 8/22, NZBau 2022, 615; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Rostock, Beschl. v. 21. Januar 2019, 17 Verg 8/18; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. September 2018, Verg 37/17, NZBau 2019, 390; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, GWB § 160 Rn. 51; Summa in jurisPK-Vergaberecht, Stand 31. Mai 2023, § 160 Rn. 305; Wiese in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 160 Rn. 126; für einen Vergabeverstoß bezüglich der Zuschlagskriterien auch EuGH, Beschl. v. 12. März 2015, C-538/13, NZBau 2015, 306 Rn. 52 ff.; für einen subjektiven Maßstab: Horn/Hoffmann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 160 Rn. 53 mit Zitaten aus der älteren Rechtsprechung; offengelassen: OLG München, Beschl. v. 24. März 2021, Verg 12/20; Beschl. v. 2. Juni 2016, Verg 15/15; OLG Celle, Beschl. v. 8. September 2011, 13 Verg 4/11).

Richtig ist die erste, inzwischen herrschende Meinung. Für diese spricht insbesondere die Übereinstimmung mit den Grundsätzen zur Auslegung der Vergabeunterlagen. Insoweit kommt es nicht auf das Verständnis des individuellen, konkreten Bewerbers an, sondern auf den objektiven Empfängerhorizont eines potenziellen Bieters (BGH, Beschl. v. 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31; BGH, Beschl. v. 3. April 2012, X ZR 130/10 Rn. 10; BayObLG, Beschl. v. 26. Mai 2023, Verg 2/23); maßgeblich ist, wie ein verständiger, sachkundiger und mit derartigen Beschaffungsvorgängen vertrauter Bieter die Vergabeunterlagen verstehen muss (BayObLG, Beschl. v. 3. Juni 2022, Verg 7/22; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 5. November 2019, 11 Verg 4/19). Es liegt nahe, nach denselben Grundsätzen auch die Erkennbarkeit von Vergabeverstößen aus den Vergabeunterlagen zu bewerten. Der objektive Maßstab steht ferner im Einklang mit dem Wortlaut des § 160 Abs. 3 GWB. Während der Rügetatbestand in Ziffer 1 explizit auf den Erkenntnisstand des konkreten Bieters abstellt, wird die individuelle Ausprägung in den Ziffern 2 und 3 nicht wiederholt, also keine Erkennbarkeit „für den Antragsteller“, sondern nur die (generelle) Erkennbarkeit anhand der Bekanntmachung beziehungsweise der Vergabeunterlagen gefordert (so auch Dicks, a. a. O. Rn. 50).

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BayObLG zu der Frage der Zulässigkeit von besonders hohen Anforderungen an die Eignung

 

vorgestellt von Thomas Ax

Im Rahmen des § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB können besonders hohe Anforderungen unangemessen sein, wenn sie wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten und diese nicht mehr durch gewichtige Gründe gerechtfertigt ist. Grundsätzlich steht dem Auftraggeber bei der Auswahl der Eignungskriterien ein Beurteilungsspielraum zu, der seine Grenzen in § 122 Abs. 4 GWB findet (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. Juni 2018, Verg 4/18). Es dürfen nur Eignungskriterien aufgestellt werden, die mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu ihm in einem angemessenen Verhältnis stehen. Die Eignungskriterien müssen geeignet und erforderlich sein, um die Leistungsfähigkeit in Bezug auf den ausgeschriebenen Auftragsgegenstand nachzuweisen. Dabei sind unter anderem die Komplexität des Auftrags und das Gewicht, das die ordnungsgemäße Auftragserfüllung für den Auftraggeber hat, in den Blick zu nehmen. Je komplexer der Auftragsgegenstand, desto höhere Eignungsanforderungen können gestellt werden (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21; Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. Juni 2018, Verg 4/18). In die Angemessenheitsprüfung einzubeziehen sind aber auch die Auswirkungen auf den Wettbewerb. Der Auftraggeber hat abzuwägen zwischen einer möglichst großen Auswahl an Angeboten und der Gefahr nicht ordnungsgemäßer Ausführung. Besonders hohe Anforderungen können unangemessen sein, wenn sie wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten, weil nur ein oder wenige Unternehmen sie erfüllen. In einem solchen Fall ist es nötig, dass die Anforderungen durch gewichtige Gründe gerechtfertigt sind. Je einschneidender der Wettbewerb beschränkt wird, desto höher sind die Anforderungen an die gewichtigen Gründe (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. Juni 2018, Verg 4/18).

BayObLG, Beschluss vom 06.09.2023 – Verg 5/22
vorhergehend:
VK Südbayern, 30.03.2022 – 3194.Z3-3_01-21-60


Gründe:

I.

Im Rahmen der Sanierung des D. Museums beabsichtigt die Antragsgegnerin die Vergabe von Projektsteuerungsleistungen für den Realisierungsabschnitt 2 im offenen Verfahren. Beauftragt werden soll ausweislich der europaweiten Bekanntmachung vom 24. August 2021 die Projektsteuerung mit Schnittstellenmanagement für das Gesamtprojekt sowie für das Teilprojekt Bau und das Teilprojekt Ausstellungen, das die Neugestaltung von fünf Einzelausstellungen umfasst. Die Bekanntmachung führte unter Ziffer II 1.6) aus:

„Aufteilung des Auftrags in Lose: nein“.

Unter Ziffer III. 1.3) „Technische und berufliche Leistungsfähigkeit“ forderte die Antragsgegnerin als „Mindeststandards“ mindestens zwei Referenzen über Projektsteuerungsleistungen bei Bauvorhaben mit Baukosten jeweils über mindestens 100 Millionen Euro und einer Leistungszeit von mindestens fünf Jahren. Eines dieser zwei Referenzprojekte musste ein Sanierungsprojekt sein. Zusätzlich war mindestens eine Referenz zu benennen, die die Projektsteuerung der Planung und Ausführung der Neugestaltung von wenigstens drei Einzelausstellungen (Dauerausstellungen) im Rahmen der Sanierung / eines Umbaus eines Gebäudes einschließlich der Betreuung von Schnittstellen zum Bauprojekt und dem Aus- und Einzug der Ausstellungsprojekte zum Gegenstand hatte. Die Projektstufe 4 musste bei den Referenzprojekten innerhalb der letzten zehn Jahre abgeschlossen worden sein. Als weiterer Mindeststandard wurde die Beschäftigung von mindestens 80 Mitarbeitern, davon mindestens 50 Architekten und Bauingenieuren, gefordert.

Schlusstermin für die Angebotsabgabe war der 30. September 2021.

Mit Schreiben vom 7. September 2021 rügte der Antragsteller, die Forderung einer Referenz über die Projektsteuerung der Neugestaltung von Ausstellungen verstoße gegen § 75 Abs. 4 VgV, da unzulässig eine Realisierung von Objekten gleicher Nutzungsart gefordert werde. Auch die weiteren Anforderungen, drei Dauerstellungen mit Schnittstellenbetreuung sowie Umzugsmanagement seien überzogen. Eine sachliche Rechtfertigung dafür sei nicht ersichtlich. Da die Anforderungen exakt dem Beauftragungsumfang des bisher – im Realisierungsabschnitt 1 – tätigen Projektsteuerers entsprächen, dränge sich der Verdacht auf, dass eine Beschränkung des Teilnehmerkreises beabsichtigt sei.

Die Antragsgegnerin erklärte im Schreiben vom 16. September 2021, der Rüge (nur) teilweise abzuhelfen, und veröffentlichte am 21. September 2021 eine berichtigte Bekanntmachung. Danach musste eines der als Mindeststandard geforderten Referenzprojekte die Projektsteuerung der Planung und Ausführung der Neugestaltung von wenigstens drei Einzelausstellungen (Dauerausstellungen) im Rahmen des Neubaus, der Sanierung oder eines Umbaus eines Gebäudes einschließlich der Betreuung der Schnittstelle zum Bauprojekt zum Gegenstand haben. Auf die Betreuung der Schnittstelle zum Aus- und Einzug der Ausstellungsobjekte wurde verzichtet.

Mit Schreiben vom 30. September 2021 hat der Antragsteller ohne vorherige Einreichung eines Angebots die Durchführung des Nachprüfungsverfahrens beantragt. Der Nachprüfungsantrag sei zulässig. Da der Antragsteller keine Referenz für die Projektsteuerung von Ausstellungen im Museumsbereich habe, sei er an der Teilnahme am Verfahren gehindert. Die Referenzanforderung verstoße gegen § 122 Abs. 4 GWB. Es fehle am Auftragsbezug, da es für die Leistung der Projektsteuerung nicht auf die konkrete Nutzung des Gebäudes ankomme. Außerdem seien die Anforderungen unverhältnismäßig. Die Anforderungen könnten praktisch nur vom Projektsteuerer des Realisierungsabschnitts 1 erfüllt werden, so dass ein Wettbewerb praktisch ausgeschlossen sei. Die Projektsteuerung für das fragliche Projekt unterscheide sich nicht wesentlich von der Projektsteuerung für komplexe Bauvorhaben, interdisziplinäre OP- und Diagnostikraumvorhaben oder Tierhäusern für Forschungszwecke, wie sie der Antragsteller bereits erbracht habe. Die Dokumentation leide an erheblichen Mängeln. Ferner hat der Antragsteller im Schriftsatz vom 11. November 2021 vorgetragen, die Antragsgegnerin hätte über eine Trennung der Leistungen für die Steuerung der Ausstellung einerseits und des Teilprojekts Bau andererseits zumindest nachdenken müssen, um nicht durch die Verknüpfung der Leistungen den Bietermarkt unnötig einzuschränken.

Der Antragsteller hat beantragt:

1. Das Vergabeverfahren wird aufgehoben.

2. Die Antragsgegnerin wird bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht und bei Einleitung eines neuen Vergabeverfahrens zur Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer verpflichtet.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin hält die Referenzanforderungen für zulässig und angemessen. Mit der Rüge mangelnden Auftragsbezugs sei der Antragsteller schon präkludiert. Zudem bestehe ein berechtigtes Interesse, dass der Projektsteuerer vorliegend Erfahrungen mit der konkreten Nutzungsart habe, da es sich um ganz spezifische Steuerungsleistungen handle. Das Projekt beinhalte aufgrund der besonderen Nutzerstruktur und der Steuerung der inhaltlichen Entwicklungsprozesse für die Ausstellungen sehr spezifische, hoch komplexe Aufgaben. Die Nutzervorgaben müssten in einem Parallelprozess mit den Ausstellungen entwickelt und anschließend ins Gebäude integriert werden, was das Projekt ganz wesentlich von einem klassischen Bauprojekt unterscheide. Aufgrund des Projektplans bleibe keine Zeit, dass sich der Bieter die Kenntnisse für eine derartige Projektsteuerung erst während des Projekts aneigne. Eine wissenschaftliche Definition, was „eine“ Ausstellung sei, kenne sie nicht, das definiere jedes Museum selbst. Sie habe mit den Referenzanforderungen hohe Hürden gesetzt. Die Anforderungen seien aber nicht spezifisch auf den Projektsteuerer des Realisierungsabschnitts 1 zugeschnitten. Es sei allgemein bekannt, dass in den letzten 10 Jahren eine Vielzahl von Projekten verwirklicht worden sei, so dass es einige Projektsteuerer geben müsse, die die Anforderungen erfüllen könnten. Die Dokumentation sei ordnungsgemäß.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Der Antragsteller sei mit der Rüge der unterbliebenen Losaufteilung nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB präkludiert. Dass die Antragsgegnerin keine Losaufteilung vorgenommen habe, sei aus der Bekanntmachung und den Vergabeunterlagen ersichtlich gewesen. Der Präklusion stehe nicht entgegen, dass dem Antragsteller nicht bekannt gewesen sei, aus welchen Gründen gemäß § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB die Antragsgegnerin eine gemeinsame Vergabe vorgenommen habe. Im Übrigen hält die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag für unbegründet. § 75 Abs. 5 Satz 3 VgV sei nicht anwendbar. Die Eignungsanforderungen stünden gemäß § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB in einem angemessenen Verhältnis zum Auftragsgegenstand. Die Notwendigkeit einer Projektsteuerungsreferenz für die Neugestaltung von mindestens drei Einzelausstellungen als Dauerausstellungen sei nicht als besonders hohe Anforderung anzusehen. Eine Einschränkung hinsichtlich der Thematik oder Größe der Ausstellung, des Schwerpunkts oder der Besucherzahl des Gebäudes sowie der Anzahl oder Beschaffenheit der Exponate werde nicht vorgenommen. Die Antragsgegnerin habe vorgetragen, dass es in den letzten Jahren eine Vielzahl an Neukonzeptionen von Ausstellungen im Zusammenhang mit dem Neubau, Umbau oder einer Sanierung von Gebäuden gegeben habe. Die Vergabekammer gehe davon aus, dass die Eignungskriterien nur einen geringen Einfluss auf den Wettbewerb hätten. Auch habe der Antragsteller nicht dargelegt, inwieweit es aufgrund einer eingeschränkten Wettbewerbssituation nicht möglich gewesen sei, Nachunternehmer zur Eignungsleihe oder andere Projektsteuerer für eine Bietergemeinschaft zu finden. Es sei auch keine unangemessene Forderung, dass der Projektsteuerer bereits Erfahrung mit der Steuerung und Koordinierung von Ausstellungsprojekten vorweisen müsse. Die Leistungen insoweit unterschieden sich signifikant von den üblichen Projektsteuerungsleistungen bei Bauprojekten.

Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde, mit der er seinen Vortrag vertieft. Die Eignungsanforderungen verstießen gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB. Entgegen der Ansicht der Vergabekammer handele es nicht nur um geringe Anforderungen. Da mindestens drei Einzelausstellungen und Schnittstellen zum Bauprojekt gefordert seien, müsse ein entsprechend großvolumiges Projekt im Raum stehen. Zudem habe die Antragsgegnerin nicht vorab definiert, wann eine Referenz von ihr als tauglich angesehen werde. Wenn die Neugestaltung jeder Art von Ausstellungen, z. B. auch in einem „ländlichen Bauernmuseum“, genügen solle, stehe das in Widerspruch zur dokumentierten Erwägung, dass die Bewältigung von Projekten mit hoher Komplexität nachzuweisen sei. Ferner fehle eine taugliche Dokumentation. Die Antragsgegnerin habe die Referenzanforderungen ohne ausreichende Kenntnis der Marktlage und sachliche Basis festgelegt. Auch fehle eine ergebnisoffene Abwägung des Für und Wider der Anforderungen. Der Auftrag hätte in ein Los zur klassischen Projektsteuerung und die besondere Projektsteuerungsleistung „Ausstellung“ aufgeteilt werden müssen. Diese Rüge sei nicht präkludiert, da sich die Gründe für das Unterbleiben der Losaufteilung nicht aus den Unterlagen ergeben hätten. Zudem sei davon auszugehen, dass eine erneute Frist zur Einreichung der Teilnahmeanträge gesetzt werde, wenn nach dem Ende des Nachprüfungsverfahrens die Aussetzung des Vergabeverfahrens aufgehoben werde.

Der Antragsteller beantragt daher:

1. Der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 30. März 2022 wird aufgehoben.

2. Auf den Nachprüfungsantrag des Antragstellers hin wird das Vergabeverfahren aufgehoben.

3. Hilfsweise zu 2: Die Antragsgegnerin wird bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht zur Gestaltung der Vergabeunterlagen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Vergabesenats verpflichtet.

Die Antragsgegnerin beantragt:

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin verteidigt den Beschluss der Vergabekammer und vertieft ihren Vortrag. Die Eignungskriterien seien angemessen. Die Steuerung von Ausstellungsprojekten beinhalte sehr spezielle Aufgabenstellungen wegen der besonderen Nutzerstruktur, der Steuerung der inhaltlichen Entwicklungsprozesse und deren Synchronisation mit den Planungsabläufen. Bei der Inhaltsproduktion gebe es spezielle Prozesse und Vorgehensweisen zwischen Kuratoren und Gestaltern. Zudem müssten die konservatorischen Vorgaben bekannt sein. Schließlich seien die Prozesse zur Erstellung der Begleitmedien (Vermittlung der Inhalte) sehr speziell. Die Herausforderung bestehe darin, die Prozesse der unterschiedlichen Ausstellungen mit den unterschiedlichen Anforderungen an die Exponate richtig einzuordnen, abzustimmen und die Vielzahl der fachlich Beteiligten zielgerichtet zu organisieren und zu steuern. Die Steuerung von Ausstellungsprojekten unterscheide sich daher wesentlich von der klassischen Bauprojektsteuerung. Die Forderung nach einer Referenz bezogen auf Dauerausstellungen sei gerechtfertigt, da die inhaltliche Entwicklung von Dauerausstellungen ganz andere Anforderungen stelle als die von temporären Ausstellungen. Ein Referenzprojekt mit drei Einzelausstellungen sei nötig, da unterschiedliche Ausstellungsgegenstände (z. B. Großexponate, klimasensible Exponate etc.) unterschiedliche Schwerpunkte in den einzelnen Prozessen verlangten und diese im Rahmen eines Gesamtkonzepts aufeinander abzustimmen seien. Es handle sich bei der geforderten Referenz nicht um eine unnötige Wettbewerbsbeschränkung, zumal der Einsatz von Nachunternehmern nicht ausgeschlossen werde. Eine Losaufteilung sei nicht möglich gewesen. Auf die einheitliche Verantwortung eines Projektsteuerers könne wegen der mannigfaltigen Schnittstellen und der notwendigen Synchronisation der Planungsabläufe nicht verzichtet werden. Ohnehin sei die Antragstellerin mit der Rüge präkludiert. Dem einschlägigen Bieterkreis müssten die Grundsätze der Losaufteilung bekannt sein. Aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis folge, dass ein Bieter nicht einfach annehmen dürfe, der Auftraggeber werde schon einen validen Grund für die Gesamtvergabe haben.

Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26. Juli 2023 verwiesen.

II.

Die gemäß § 172 GWB zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg. Die Antragsgegnerin hat bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht das Verfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats in den Stand vor der Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen.

1. Der Nachprüfungsantrag ist insgesamt zulässig.

a) Der Antragsteller ist antragsbefugt, § 160 Abs. 2 GWB, auch wenn er kein Angebot abgegeben hat. Er trägt unbestritten vor, er habe keine Referenz für die Projektsteuerung einer Neugestaltung von Ausstellungen in Museen und sei daher an einer Angebotsabgabe gehindert. In einem derartigen Fall ist das nötige Interesse am Auftrag in ausreichender Weise durch eine Rüge nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB und die nachfolgende Stellung eines Nachprüfungsantrags dokumentiert (Horn/Hofmann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB, 4. Aufl. 2022, § 160 Rn. 28). Der Antragsteller rügt im Nachprüfungsverfahren gerade die Forderung dieser Referenz als unverhältnismäßig gemäß § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB sowie die fehlende Aufteilung in ein Los zur Projektsteuerung allgemein einerseits und ein Los zur Projektsteuerung Ausstellung andererseits und die fehlende bzw. mangelhafte Dokumentation insoweit. Diese stellen auch mögliche Rechtsverletzungen gemäß § 97 Abs. 6, § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB dar (zum bieterschützenden Charakter des § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB OLG Rostock, Beschl. v. 9. Dezember 2020, 17 Verg 4/20; Kus in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 97 Rn. 223). Ferner erscheint es jedenfalls möglich, dass der Antragsteller ohne die Mindestanforderung bzw. im Fall einer Losaufteilung ein möglicherweise erfolgversprechendes Angebot hätte abgeben können, und ihm daher infolge der gerügten Rechtsverletzungen ein Schaden entstanden ist, § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB.

b) Der Antragsteller ist mit seinen Rügen nicht präkludiert, § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB.

aa) Bezüglich der Mindestanforderung einer Referenz über die Projektsteuerung der Neugestaltung von drei Ausstellungen (Dauerausstellungen) samt Schnittstellenmanagement liegt im Schreiben vom 7. September 2021 eine ausreichende und nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB rechtzeitige Rüge, die auch den im Nachprüfungsverfahren ebenfalls bemängelten fehlenden Auftragsbezug der Referenz abdeckt. Ein Verstoß gegen § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB liegt ebenfalls nicht vor.

bb) Soweit der Antragsteller nunmehr die fehlende Losaufteilung nach § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB beanstandet, ist er damit ebenfalls nicht präkludiert. Zwar hat der Antragsteller die fehlende Losaufteilung weder im Rügeschreiben vom 7. September 2021 noch im Nachprüfungsantrag vom 30. September 2023 erwähnt.

(1) Ein aufgrund der Bekanntmachung oder der Vergabeunterlagen erkennbarer Verstoß im Sinn des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 GWB liegt aber nicht vor.

Die Erkennbarkeit des Verstoßes gegen eine Vergabevorschrift setzt einerseits die Erkennbarkeit der maßgeblichen Tatsachen, andererseits die Erkennbarkeit des Rechtsverstoßes voraus (OLG Frankfurt, Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG München, Beschl. v. 22. Oktober 2015, Verg 5/15; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 20. Aufl. 2020, GWB § 160 Rn. 48). Dabei muss der Verstoß so deutlich zutage treten, dass er einem verständigen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebots beziehungsweise seiner Bewerbung auffallen muss; übersteigerte tatsächliche und rechtliche Anforderungen dürfen diesbezüglich nicht an einen Bieter gestellt werden (OLG München, Beschl. v. 24. März 2021, Verg 12/20; vgl. auch OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 27. Oktober 2022, 54 Verg 7/22; OLG Frankfurt, Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. September 2018, Verg 37/17).

Maßstab ist nach Ansicht des Senats ein durchschnittlich fachkundiger Bieter, der die übliche Sorgfalt anwendet. Ob für die Erkennbarkeit des Vergabeverstoßes ein objektiver, auf den durchschnittlichen verständigen Bewerber oder ein subjektiver, auf die individuellen Verhältnisse des Bieters abstellender Maßstab anzuwenden ist, wurde und wird kontrovers diskutiert (für einen objektiven Maßstab: OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 27. Oktober 2022, 54 Verg 7/22; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7. September 2022, 15 Verg 8/22, NZBau 2022, 615; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Rostock, Beschl. v. 21. Januar 2019, 17 Verg 8/18; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. September 2018, Verg 37/17, NZBau 2019, 390; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, GWB § 160 Rn. 51; Summa in jurisPK-Vergaberecht, Stand 31. Mai 2023, § 160 Rn. 305; Wiese in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 160 Rn. 126; für einen Vergabeverstoß bezüglich der Zuschlagskriterien auch EuGH, Beschl. v. 12. März 2015, C-538/13, NZBau 2015, 306 Rn. 52 ff.; für einen subjektiven Maßstab: Horn/Hoffmann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 160 Rn. 53 mit Zitaten aus der älteren Rechtsprechung; offengelassen: OLG München, Beschl. v. 24. März 2021, Verg 12/20; Beschl. v. 2. Juni 2016, Verg 15/15; OLG Celle, Beschl. v. 8. September 2011, 13 Verg 4/11). Der Senat schließt sich der ersten, inzwischen herrschenden Meinung an. Für diese spricht insbesondere die Übereinstimmung mit den Grundsätzen zur Auslegung der Vergabeunterlagen. Insoweit kommt es nicht auf das Verständnis des individuellen, konkreten Bewerbers an, sondern auf den objektiven Empfängerhorizont eines potenziellen Bieters (BGH, Beschl. v. 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31; BGH, Beschl. v. 3. April 2012, X ZR 130/10 Rn. 10; BayObLG, Beschl. v. 26. Mai 2023, Verg 2/23); maßgeblich ist, wie ein verständiger, sachkundiger und mit derartigen Beschaffungsvorgängen vertrauter Bieter die Vergabeunterlagen verstehen muss (BayObLG, Beschl. v. 3. Juni 2022, Verg 7/22; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 5. November 2019, 11 Verg 4/19). Es liegt nahe, nach denselben Grundsätzen auch die Erkennbarkeit von Vergabeverstößen aus den Vergabeunterlagen zu bewerten. Der objektive Maßstab steht ferner im Einklang mit dem Wortlaut des § 160 Abs. 3 GWB. Während der Rügetatbestand in Ziffer 1 explizit auf den Erkenntnisstand des konkreten Bieters abstellt, wird die individuelle Ausprägung in den Ziffern 2 und 3 nicht wiederholt, also keine Erkennbarkeit „für den Antragsteller“, sondern nur die (generelle) Erkennbarkeit anhand der Bekanntmachung beziehungsweise der Vergabeunterlagen gefordert (so auch Dicks, a. a. O. Rn. 50).

Gemäß § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB sind Leistungen in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Unter dem Begriff „Fachlos“ sind Leistungen zu verstehen, die von einem bestimmten Handwerks- oder Gewerbebetrieb ausgeführt werden, d. h. einem bestimmten Fachgebiet zuzuordnen sind. Für die Frage, ob die Bildung eines eigenständigen Fachloses geboten ist, kommt es darauf an, ob für die spezielle Leistung ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen seit längerem besteht oder sich gerade herausgebildet hat. Entscheidend ist mithin eine hinreichende Abgrenzbarkeit (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29. April 2022, 15 Verg 2/22; OLG München, Beschl. v. 9. April 2015, Verg 1/15; OLG Naumburg, Beschl. v. 14. Mär 2013, 2 Verg 8/12; Knauff in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, GWB § 97 Rn. 24; Kus in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 97 Rn. 197).

Unter Anwendung dieser Grundsätze bestand vorliegend jedenfalls keine Rügepflicht des Antragstellers. Zwar war aus der Auftragsbekanntmachung ohne Weiteres ersichtlich, dass die Antragsgegnerin keine Losaufteilung vorgesehen hatte. Unter Ziffer II 1.6) ist ausdrücklich angeführt:

„Aufteilung des Auftrags in Lose: nein“.

Indessen hätte für den Antragsteller nur dann eine Rügepflicht nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB bestanden, wenn auch erkennbar gewesen wäre, dass eine Pflicht zur Bildung eines Fachloses „Projektsteuerung Teilprojekt Ausstellungen“ bestand. Dabei kann unterstellt werden, dass einem durchschnittlichen Bieter die grundsätzliche, in § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB verankerte Pflicht zur Bildung von Fachlosen bekannt ist. Indessen genügt dies nicht. Eine Rügepflicht setzt ferner voraus, dass ein durchschnittlich fachkundiger Bieter unter Anwendung der üblichen Sorgfalt auch erkennen kann, dass es einen eigenständigen Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen im Bereich Projektsteuerung Ausstellungen gibt (vgl. OLG München, Beschl. v. 25. März 2019, Verg 10/18). Das Bestehen eines derartigen Markts kann in einzelnen Bereichen, wie etwa der Glasreinigung (vgl. Kus, a. a. O., Rn. 197; OLG München, Beschl. v. 25. März 2019, Verg 10/18) ohne Weiteres erkennbar sein. Vorliegend ist das Bestehen eines derart spezialisierten Markts aber weder nach dem Vortrag der Parteien noch sonst offensichtlich. Insbesondere war auch ein durchschnittlich fachkundiger Bieter unter Anwendung der üblichen Sorgfalt nicht verpflichtet, zunächst selbst eine Markterkundung durchzuführen, um sich Klarheit über das Bestehen eines speziellen Anbietermarkts und damit verbunden die Pflicht zur Fachlosbildung zu verschaffen. Allein aus der Tatsache, dass ein Bieter – wie vorliegend der Antragsteller – selbst über keine entsprechende Referenz verfügt, konnte und musste er auch noch nicht auf das Bestehen eines eigenen Anbietermarkts zur Projektsteuerung im Bereich Ausstellungen schließen.

Nur ergänzend sei auf Folgendes hingewiesen: Besteht nach § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB grundsätzlich eine Pflicht zur Losaufteilung, kann hiervon nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB abgesehen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Ob eine Rügepflicht nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 bzw. 3 GWB nur dann besteht, wenn auch die Gründe des Auftraggebers, von der Losbildung abzusehen, für den Bieter erkennbar waren, erscheint fraglich (abstellend auf die Erkennbarkeit der Gründe OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 14. Mai 2018, 11 Verg 4/18; Summa in jurisPK-Vergaberecht, 6. Aufl. Stand 31. Mai 2023, § 160 GWB Rn. 317 ff.; letztlich offengelassen von OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8. März 2017, Verg 39/16; nur auf die Erkennbarkeit der fehlenden Losaufteilung stellen ab OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 27. Oktober 2022, 54 Verg 7/22; Beschl. v. 13. Juni 2019, 54 Verg 2/19; OLG Celle, Beschl. v. 8. September 2011, 13 Verg 4/11). Dagegen spricht, dass bei Bestehen eines spezialisierten Marktes die Fachlosbildung den Regelfall und das Absehen davon die für den Auftraggeber begründungsbedürftige Ausnahme darstellt, so dass nach den Umständen ein Vergabeverstoß naheliegt. Mit Sinn und Zweck der Rügepflicht erscheint es nur schwer zu vereinbaren, wenn der Bieter in einer derartigen Situation sich die Rüge des – naheliegenden – Vergabeverstoßes für den Fall vorbehalten kann, dass sein Angebot nicht zum Zuge kommen soll. Letztlich würde die Rügepflicht in erheblichem Umfang leerlaufen, wenn der Bieter erst nach Erkennbarkeit der Gründe des Auftraggebers, also häufig erst nach Einsicht in den Vergabevermerk, zur Rüge verpflichtet sein könnte. Vorliegend bedarf dies aber keiner Entscheidung.

(2) Der Antragsteller ist mit der Rüge entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB präkludiert. Der Einwand der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe nicht innerhalb von 10 Tagen nach Inanspruchnahme von Rechtsrat die fehlende Losaufteilung gerügt, überzeugt nicht. Eine Beratung durch eine Syndikusanwältin ist ebenso wie die Beauftragung einer externen Rechtsanwaltskanzlei nicht automatisch gleichzusetzen mit der Kenntnis sämtlicher denkbarer Verstöße gegen Vergabevorschriften.

(3) Mangels Präklusion kommt es weder auf die vom Antragsteller aufgeworfene Frage an, ob der Verstoß gegen die Losaufteilungspflicht von Amts wegen aufzugreifen ist, noch darauf, ob der Antragsgegner nach Beendigung der Aussetzung des Vergabeverfahrens nochmals eine Frist zur Angebotsabgabe zu setzen hat.

2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet. Zwar bestand keine Pflicht zur Fachlosbildung (dazu unten a]), jedoch verstößt die Forderung einer Referenz zur Projektsteuerung der Planung und Ausführung der Neugestaltung von wenigstens drei Dauerausstellungen im Rahmen des Neubaus, der Sanierung oder des Umbaus eines Museums gegen § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB (dazu unten b]).

a) Eine Pflicht zur Bildung von Fachlosen „Projektsteuerung allgemein / Teilprojekt Bau“ und „Projektsteuerung Teilprojekt Ausstellungen“ bestand nach § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB nicht. Wie bereits ausgeführt (siehe oben Ziffer 1 b] bb] [1]) hat eine Aufteilung in Fachlose grundsätzlich zu erfolgen, wenn sich für die konkrete Leistung ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen herausgebildet hat. Ein derartiger Anbietermarkt für Projektsteuerungsleistungen für die Neugestaltung von Ausstellungen ist jedoch nicht ersichtlich. Weder dem schriftsätzlichen Vortrag der Beteiligten noch den vorgelegten Unterlagen lässt sich entnehmen, dass ein solcher spezialisierter Anbietermarkt vorhanden wäre. Dass die Fachplanung für die Teilprojekte Bau und Ausstellungen unstreitig getrennt vergeben wurde, lässt nicht den Schluss darauf zu, es bestünden auch im Bereich der Projektsteuerung entsprechende spezialisierte Anbietermärkte. Die Tatsache, dass der Antragsteller zwar über Referenzen im Bereich der Projektsteuerung Bau, aber nicht über Referenzen für die Projektsteuerung Ausstellungen verfügt, bedeutet ebenfalls nicht zwingend, dass es sich insoweit um einen getrennten Markt für entsprechende Projektsteuerungsleistungen handelt. Ferner konnten in der mündlichen Verhandlung vom 26. Juli 2023 auf Nachfrage des Senats weder der Antragsteller noch die Antragsgegnerin bestätigen, dass ein entsprechender Spezialmarkt existiert.

Ob ausreichende wirtschaftliche und technische Gründe für eine Gesamtvergabe nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB vorlagen und ob diese dokumentiert wurden, bedarf daher keiner Entscheidung mehr.

b) Die von der Antragsgegnerin auch nach der Teilabhilfe noch als Mindeststandard geforderte Referenz einer „Projektsteuerung der Planung und Ausführung der Neugestaltung von wenigstens drei Einzelausstellungen (Dauerausstellungen) im Rahmen des Neubaus / der Sanierung / eines Umbaus eines Gebäudes einschließlich der Betreuung der Schnittstelle zum Bauprojekt“ verstößt gegen § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB.

aa) Die als Mindeststandard für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit geforderte Referenz ist an § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB zu messen. Wenn eine Referenz gefordert wurde ohne Rückbezug zu eigenständig aufgestellten Eignungskriterien, definiert die Referenz konkludent auch die materiellen Eignungskriterien (BayObLG, Beschl. v. 29. Juli 2022, Verg 16/21; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. Juni 2018, Verg 4/18).

bb) Grundsätzlich steht dem Auftraggeber bei der Auswahl der Eignungskriterien ein Beurteilungsspielraum zu, der seine Grenzen in § 122 Abs. 4 GWB findet (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. Juni 2018, Verg 4/18). Es dürfen nur Eignungskriterien aufgestellt werden, die mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu ihm in einem angemessenen Verhältnis stehen. Die Eignungskriterien müssen geeignet und erforderlich sein, um die Leistungsfähigkeit in Bezug auf den ausgeschriebenen Auftragsgegenstand nachzuweisen. Dabei sind unter anderem die Komplexität des Auftrags und das Gewicht, das die ordnungsgemäße Auftragserfüllung für den Auftraggeber hat, in den Blick zu nehmen. Je komplexer der Auftragsgegenstand, desto höhere Eignungsanforderungen können gestellt werden (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21; Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. Juni 2018, Verg 4/18). In die Angemessenheitsprüfung einzubeziehen sind aber auch die Auswirkungen auf den Wettbewerb. Der Auftraggeber hat abzuwägen zwischen einer möglichst großen Auswahl an Angeboten und der Gefahr nicht ordnungsgemäßer Ausführung. Besonders hohe Anforderungen können unangemessen sein, wenn sie wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten, weil nur ein oder wenige Unternehmen sie erfüllen. In einem solchen Fall ist es nötig, dass die Anforderungen durch gewichtige Gründe gerechtfertigt sind. Je einschneidender der Wettbewerb beschränkt wird, desto höher sind die Anforderungen an die gewichtigen Gründe (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. Juni 2018, Verg 4/18).

cc) Unter Anwendung dieser Grundsätze genügt die geforderte Referenz nicht mehr den Anforderungen des § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB. Zwar kann die geforderte Referenz nach Ansicht des Senats zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit als – noch – geeignet angesehen werden (dazu unten [1]). Jedoch sind die Anforderungen, soweit der Nachweis von Projektsteuerungsleistungen bezüglich dreier Dauerausstellungen gefordert wird, unter Berücksichtigung der damit notwendigerweise verbundenen Wettbewerbsbeschränkung unangemessen hoch (dazu unten [2]). Bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht obliegt es der Antragsgegnerin, im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats jedenfalls die gerügte Mindestreferenz neu zu fassen, sowie die Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Referenz zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit für die ausgeschriebene Projektsteuerungsleistung konkret und unter Berücksichtigung etwaiger wettbewerbsbeschränkender Wirkungen zu dokumentieren. Gegebenenfalls wäre auch klarzustellen, in welchem Umfang Nachunternehmer eingesetzt werden können und für welche konkreten Projektsteuerungsleistungen (z. B. in Bezug auf Teilprojekte oder das Gesamtprojekt) es der Referenz bedarf (vgl. dazu unten [2] [ee]).

(1) Die geforderte Referenz ist zwar auftragsbezogen, da sie gerade einen Teilbereich genau der Leistungen umfasst, die ausgeschrieben sind. Zugunsten der Antragsgegnerin kann auch angenommen werden, dass sie zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit geeignet ist, obwohl dies bereits gewissen Bedenken begegnet.

Zum einen bleibt mangels konkreter Definition schon unklar, wann aus Sicht der Antragsgegnerin „eine“ Ausstellung und wann daher „drei“ Ausstellungen vorliegen. Vorgaben zur Größe und zu den Themen der drei Ausstellungen finden sich ebenfalls nicht. Ob die Projektsteuerung der Neugestaltung von drei kleinen Einzelausstellungen beispielsweise eines Bauernhofmuseums tatsächlich den Rückschluss auf die Eignung für die Projektsteuerung im vorliegenden Großprojekt zulässt, mag zweifelhaft erscheinen, ist aber noch vom Beurteilungsspielraum gedeckt.

Zum anderen begründet die Antragsgegnerin das Erfordernis der drei Ausstellungen damit, dass Objekte mit unterschiedlichen konservatorischen Anforderungen, Klimaempfindlichkeit oder Transportgewicht wie etwa Flugzeuge oder Eisenbahnen einerseits und optische Geräte andererseits, auch zu unterschiedlichen Prozessen im Rahmen der Ausstellungsneugestaltung führten. Diese unterschiedlichen Prozesse müssten auch dem Projektsteuerer bekannt sein. Zweifelhaft erscheint indessen, ob zum Nachweis hierfür die konkret geforderte Referenz geeignet ist. Denn diese verlangt zwar die Neugestaltung von drei Ausstellungen, lässt aber offen, ob es sich tatsächlich um Ausstellungen mit deutlich unterschiedlichen Exponaten handelt. Von der Referenzanforderung gedeckt wären auch drei Ausstellungen mit Exponaten, bei denen sich z. B. die konservatorischen Anforderungen, Klimaempfindlichkeit und Transportgewicht kaum unterscheiden. Dennoch erscheint auch dies als noch vom Beurteilungsspielraum der Auftraggeberin gedeckt, zumal bei einer größeren Zahl an Ausstellungen sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es sich um Ausstellungen mit deutlich unterschiedlichen Arten von Exponaten handelt. Ferner würden weitergehende Vorgaben zu den geforderten Ausstellungen den Wettbewerb noch weiter einschränken (dazu noch unten [2]).

(2) Indessen stellt die Mindestreferenz zum Nachweis der Leistungsfähigkeit unangemessen hohe Anforderungen, insbesondere unter Berücksichtigung der damit notwendigerweise verbundenen Wettbewerbsbeschränkung.

(a) Nachvollziehbar und im Grundsatz nicht zu beanstanden ist die Vorgabe der Antragsgegnerin, dass der Bieter Erfahrungen mit der Steuerung und Koordinierung der Neugestaltung gerade von Ausstellungen in Museen vorweisen müsse.

Insoweit hat die Antragsgegnerin darauf verwiesen, dass vorliegend die konkreten Neugestaltungen der Ausstellungen in einem Parallelprozess entwickelt würden. Dazu gehörten auch die Prozesse zur Erstellung der Begleitmedien und zur Entwicklung der didaktischen Inhaltsvermittlung. Der Auftrag umfasse daher gerade auch die Organisation und Steuerung der inhaltlichen Entwicklungsprozesse in allen fünf vom Realisierungsabschnitt 2 betroffenen Ausstellungen. Hierbei seien eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Projektbeteiligter (Kuratoren, Grafikverantwortliche, Ausstellungsarchitekten, Textplaner, Ausstellungsplaner, Medienplaner, technische Planer, museumsinterne Planungs- und Ausführungsbeteiligte) mit den von ihnen verantworteten Prozessen zielgerichtet zu organisieren und zu steuern. Zudem müsse der Umgang mit konservatorischen Vorgaben bekannt sein, um eine entsprechende Organisation aufzubauen und gegebenenfalls korrigierend eingreifen zu können. Es gehe um die Synchronisierung der gesamten inhaltlichen Entwicklungsprozesse mit den übrigen Planungsabläufen und die Integration in das Bauprojekt und Gebäude.

Diese Erwägungen sind jedenfalls nachvollziehbar. Dabei verkennt der Senat nicht, dass Auftragsgegenstand nicht die Planung, sondern die Projektsteuerung ist, und dass auch im Rahmen von reinen Bauprojekten unter Umständen umfangreiche und schwierige Prozesse etwa betreffend Innenausbau einerseits und Außenaufbau andererseits zu koordinieren sind. Auch verweist der Antragsteller zutreffend darauf, dass es hochkomplexe Bauvorhaben mit ganz speziellen, sensiblen Nutzeranforderungen gibt wie etwa den Krankenhausbau, OP- und Diagnostikraumausstattungen, Tierforschungshäuser oder Museumsbau mit besonderen gestalterischen Anforderungen, bei denen ebenfalls eine Vielzahl verschiedener Projektbeteiligter samt der maßgeblichen Prozesse zu steuern sind. Indessen unterscheiden sich derartige Projekte von dem vorliegenden insoweit, als die vom Antragsteller angeführten, zu beachtenden (Nutzer-) Vorgaben wie Hygiene- oder Tierschutzvorschriften, raumklimatische, Beleuchtungs- und Akkustikanforderungen regelmäßig bereits bei Beginn des Projekts weitgehend absehbar sind oder sogar feststehen. Dagegen sind im hiesigen Projekt die Nutzervorgaben aufgrund der gleichzeitig mit der Gebäudesanierung laufenden Neugestaltung von Ausstellungen vorab nicht bekannt, sondern werden in Parallelprozessen erst entwickelt. Dadurch ist mit einer Vielzahl höchst unterschiedlicher Beteiligter und parallel ablaufenden, komplexen Prozessen zu rechnen. Dass sich daraus weitergehende Anforderungen auch an die Projektsteuerung, die Koordinierung der Prozesse und Termine, die Einhaltung von Qualitätsvorgaben und Kostenrahmen ergeben, erscheint jedenfalls nachvollziehbar.

Ferner handelt es sich um ein äußerst umfangreiches Projekt mit der gleichzeitigen Neugestaltung nicht einer, sondern von fünf Ausstellungen. Es ist aus Sicht des Senats daher per se nicht zu beanstanden, wenn als Mindestanforderung eine Referenz mit Erfahrung in der Projektsteuerung der Neugestaltung von Ausstellungen gefordert wird.

(b) Allerdings sind in der Gesamtschau die von der Antragsgegnerin geforderten Mindeststandards unverhältnismäßig hoch und geeignet, den Wettbewerb in einer Weise zu beschränken, die sich auch mit der ganz erheblichen Bedeutung des Projekts nicht mehr rechtfertigen lässt.

(aa) Die Zahl möglicher als Referenz in Betracht kommender Projekte wird bereits dadurch deutlich eingeschränkt, dass es sich um die Neugestaltung von Dauerausstellungen handeln muss. Die Projektsteuerung in Bezug auf die Neugestaltung von temporären oder Wanderausstellungen genügt hingegen nicht. Weshalb die Neugestaltung einer Dauerausstellung erforderlich sein soll, erschließt sich nicht. Die Antragsgegnerin trägt dazu vor, es gebe einen grundlegenden Unterschied zwischen temporären und Dauerausstellungen in Bezug auf die Programmatik, die Dauerhaftigkeit und Qualität, die Komplexität der technischen Anlagen, die Planungen für spätere Aktualisierungsmöglichkeiten und die konservatorischen Anforderungen. Auch würden nur bei Dauerausstellungen sogenannte „Mock-Ups“ (insbesondere zum Test der Haltbarkeit) erstellt. Zwar erscheinen die angeführten Unterschiede nachvollziehbar. Jedoch vermag der Senat nicht zu erkennen, dass die dargestellten Differenzen nicht nur die Planung und Gestaltung der Ausstellung, sondern auch die Projektsteuerung signifikant beeinflussen. Dass sich auf der Ebene der Projektsteuerung spürbare Unterschiede zwischen der Neugestaltung von temporären und von Dauerstellungen ergeben, hat die Antragsgegnerin auch unter Berücksichtigung ihrer ergänzenden Erläuterung in der mündlichen Verhandlung (insbesondere zu den Mock-Ups) nicht hinreichend darzustellen vermocht.

(bb) Eine weitere erhebliche Einschränkung in Bezug auf mögliche Referenzen folgt daraus, dass diese sich auf die Neugestaltung von drei Dauerausstellungen beziehen müssen. Insoweit hat die Antragsgegnerin insbesondere darauf verwiesen, dass unterschiedliche Ausstellungsgegenstände wie etwa große Maschinen oder Fahrzeuge einerseits oder klimasensible Exponate wie optische Geräte andererseits auch verschiedene Schwerpunkte in den jeweils zu koordinierenden Prozessen bedingten. Aufgabe des Projektsteuerer sei es, ganz unterschiedliche Prozesse zu verschiedenen Zeiten anzustoßen. In der mündlichen Verhandlung hat die Antragsgegnerin hierzu ergänzt, bei der Forderung nach einer Referenz mit drei Dauerausstellungen sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich um Exponate mit unterschiedlichen Anforderungen gehandelt habe. Man habe aber auch keine zu spezifischen Anforderungen an den Ausstellungsinhalt festlegen wollen. Auch wenn es daher keine Vorgaben bezüglich des Inhalts der drei Dauerausstellungen (und auch nicht bezüglich der Größe und Themen) gibt, handelt es sich um hohe Anforderungen, wie die Antragsgegnerin selbst eingeräumt hat. Die Vorgabe der drei Dauerstellungen ist jedenfalls geeignet, den möglichen Bewerberkreis erheblich einzuschränken. Es mag, wie die Antragsgegnerin ausgeführt hat, eine Vielzahl an Museen geben, die innerhalb der letzten zehn Jahre Umbauten und eine Neugestaltung ihrer Ausstellungen vorgenommen und dabei Projektsteuerer beschäftigt haben. Die Eignung als Referenz erfordert aber, dass es sich um Museen handelte, die über mindestens drei Dauerausstellungen verfügten und diese gleichzeitig mit Neubau-, Umbau- oder Sanierungsmaßnahmen neu gestalteten. Erschwerend kommt hinzu, dass es auch nach dem Vortrag der Antragsgegnerin keine einheitliche Definition gibt, was überhaupt unter „einer“ Ausstellung zu verstehen ist. Sofern daher ein Museum seine gesamten Exponate als eine einheitliche Sammlung und Dauerausstellung versteht, könnte ein mit der Neugestaltung beauftragter Projektsteuerer dies dennoch nicht als taugliche Referenz für die hiesige Ausschreibung angeben, selbst wenn es sich um ein großes Museum mit einer Vielzahl unterschiedlichster Arten von Exponaten handelte. Unter diesem Aspekt erscheint ferner fraglich, ob zum Nachweis der Erfahrung im Umgang mit unterschiedlichsten Exponaten es tatsächlich erforderlich ist, dass eine Referenz bezogen auf drei Dauerausstellungen nachgewiesen wird.

(cc) Die dargestellten hohen Referenzanforderungen sind schon an sich geeignet, den Wettbewerb erheblich einzuschränken. Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin als weitere Mindestanforderung zwei Referenzen über eine Projektsteuerung bei Bauvorhaben mit Baukosten über mindestens 100 Millionen Euro brutto und einer Mindestlaufzeit von fünf Jahren fordert. Weitere Mindestvoraussetzung ist eine Beschäftigung von mindestens 80 Mitarbeitern, davon mindestens 50 Architekten und Bauingenieure. Der Senat verkennt nicht, dass diese Mindestanforderungen vom Antragsteller nicht gerügt wurden. Indessen können bei der Prüfung, in welchem Umfang die (gerügte) Mindestanforderung einer Ausstellungsreferenz wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfaltet, die weiteren Mindestanforderungen nicht gänzlich außer Betracht bleiben. Dass es überhaupt eine nennenswerte Anzahl von Projektsteuerungsbüros dieser Größe gibt, die zudem über die geforderten Referenzen in Bezug auf die Neugestaltung dreier Dauerausstellungen verfügen, hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt. Die Behauptung, bei Internetrecherchen fänden sich allein in Berlin mindestens fünf große Museumsprojekte aus den Jahren 2010 bis 2020, die von unterschiedlichen Projektsteuerungsbüros als Referenzen angeführt würden, genügt nicht. Die Antragsgegnerin hat schon nicht dargetan, dass die Projekte in Berlin jeweils die Neugestaltung von mindestens drei Dauerausstellungen umfasst hätten. Auch ist von ihr weder ausgeführt noch sonst ersichtlich, dass die recherchierten Projektsteuerungsbüros die geforderte Zahl an Mitarbeitern, Architekten und Bauingenieuren hätten.

(dd) Etwas anderes lässt sich auch nicht aus dem tatsächlichen Verlauf des Vergabeverfahrens ableiten. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin ist nur ein Angebot (des P.) eingegangen. Dies stellt allenfalls ein Indiz für, aber nicht gegen eine erhebliche wettbewerbsbeschränkende Wirkung der Referenzanforderungen dar. Dass sich fünf bis sechs Unternehmen für die Ausschreibung interessiert hätten, wie die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung weiter ausgeführt hat, ändert hieran nichts. Wenn ein Interessent nach Einblick in die Auftragsbekanntmachung von der Abgabe eines Angebots absieht, spricht dies eher dafür, dass die gestellten Anforderungen (zu) hoch waren. Jedenfalls lässt sich aus dem bloßen Interesse der Unternehmen nicht folgern, der Wettbewerb sei durch die Referenzanforderungen nicht übermäßig beschränkt worden.

(ee) Zu keinem anderen Ergebnis führt es, dass den Bietern der Einsatz von Nachunternehmern oder die Bildung von Bietergemeinschaften offen gestanden hätte. Zwar ergibt sich aus dem „Formblatt Referenzen“, dass die Referenzangaben sich auch auf das jeweilige Mitglied der Bietergemeinschaft oder den Nachunternehmer beziehen können. Auch ist in der Auftragsbekanntmachung unter III. 1.3) zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit vorgesehen, dass die Anteile des Auftrags, die an Unterauftragnehmer vergeben werden sollen und der Name des jeweiligen Unterauftragnehmers samt gesonderter Eigenerklärung anzugeben sei. Ob es sich aus den Unterlagen hinreichend klar ergibt, dass – wie von der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung dargestellt – nur der Teilprojektleiter Ausstellungen, nicht aber der Gesamtprojektleiter von dem Büro gestellt werden muss, das über die Ausstellungsreferenz verfügt, mag fraglich erscheinen, kann aber vorliegend zugunsten der Antragsgegnerin unterstellt werden. Denn auch dies ändert nichts daran, dass selbst bei Einsatz eines Nachunternehmers für die Steuerung des Teilprojekts Ausstellungen jedenfalls dieser die dargestellten hohen Referenzanforderungen (Projektsteuerung der Neugestaltung von drei Dauerausstellungen im Rahmen des Neubaus, des Umbaus oder der Sanierung eines Museums samt Betreuung der Schnittstellen zum Bauprojekt) zu erfüllen hätte. Im Übrigen wurde, wie ausgeführt, tatsächlich nur ein Angebot abgegeben. Dass die Möglichkeit, Nachunternehmer einzusetzen, die wettbewerbsbeschränkende Wirkung der hohen Referenzanforderungen signifikant abgemildert hätte, erschließt sich daher nicht.

(ff) Der Senat verkennt nicht, dass es sich vorliegend um ein äußerst umfangreiches und komplexes Projekt handelt, das erhebliche Herausforderungen auch für die Projektsteuerung mit sich bringt und von großer Bedeutung für die Antragsgegnerin ist. Auch dies vermag jedoch die streitgegenständliche Mindestanforderung nicht mehr zu rechtfertigen.

c) Ob die Vergabedokumentation den Vorgaben des § 8 VgV genügte und in welchem Umfang etwaige Defizite durch die Erläuterungen in den Schriftsätzen und in den mündlichen Verhandlungen geheilt wurden, bedarf keiner Entscheidung.

d) Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist der Nachprüfungsantrag nicht deshalb unbegründet, weil es an einer (zumindest nicht ausschließbaren) Beeinträchtigung der Chance des Antragstellers auf den Zuschlag fehlte.

Wurde ein Bieter in seinem Recht auf Einhaltung der Vergabevorschriften verletzt, bleibt sein Nachprüfungsantrag dennoch ohne Erfolg, wenn ihm tatsächlich weder ein Schaden entstanden noch ein solcher wahrscheinlich ist. Die Vergabekammer und der Vergabesenat sind keine allgemeinen Kontrollinstanzen, die abstrakt für die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der objektiven Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens sorgen (BayObLG, Beschl. v. 11. Januar 2023, Verg 2/21; Beschl. v. 29. Juli 2022, Verg 13/21; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20. Dezember 2019, Verg 18/19).

Vorliegend hat der Antragsteller zwar unstreitig keine eigene Referenz für die Projektsteuerung Ausstellungen vorzuweisen, auch nicht bezogen auf nur eine temporäre oder eine Dauerausstellung. Indessen bedeutet dies nicht, dass im Fall einer Rückversetzung und Neugestaltung der Auftragsbekanntmachung in Bezug auf die Mindestanforderungen der Antragsteller keinerlei Aussichten auf den Zuschlag hätte. Dem Antragsteller stünde gegebenenfalls die Möglichkeit offen, sich eines Nachunternehmers zu bedienen oder eine Bietergemeinschaft zu bilden. Zudem kommt der Antragsgegnerin ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu, wie sie die Mindestanforderung neu fassen möchte. Zwar hat sie die Rechtsauffassung des Senats zu beachten; dies schließt aber eine deutlich umfassendere Neugestaltung nicht aus. Insbesondere ist die vorliegende Situation gerade nicht mit der Fallkonstellation vergleichbar, in der zwar eine Rechtsverletzung festzustellen ist, das Angebot des Antragstellers aber aus anderen Gründen ohnehin vom Vergabeverfahren auszuschließen wäre und somit keinerlei Chancen auf den Zuschlag hätte.

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VergMan ® Breaking – News: Auftragswertberechnung geändert

 

Architektenleistungen sollten stets im Leistungswettbewerb vergeben werden, da sie im Vorhinein nicht eindeutig beschrieben werden können. Nur so lässt sich verhindern, dass sich ein Auftraggeber durch die Auswahl des billigsten Angebots schlechte Planung einkauft. Das gilt ganz besonders nach der Neufassung der HOAI zum 1.1.2021.

Eine Anpassung des Vergaberechts an die Einführung neuer elektronischer Standardformulare („eForms“) für EU-Bekanntmachungen und an weitere europarechtliche Anforderungen ist am 24. August 2023, in Kraft getreten.

Ebenfalls wurde die Auftragswertberechnung geändert: Durch Streichung von § 3 Absatz 7 Satz 2 VgV haben sich die bisherigen Regelungen zur Auftragswertberechnung bei (gleichartigen) Planungsleistungen geändert. Unter Berücksichtigung, dass das zugrundeliegende Vertragsverletzungsverfahren noch nicht beendet ist, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen klarstellende Erläuterungen veröffentlicht:

die Streichung von § 3 Absatz 7 Satz 2 VgV, § 2 Absatz 7 Satz 2 SektVO und § 3 Absatz 7 Satz 3 VSVgV in der Verordnung zur Anpassung des Vergaberechts an die Einführung neuer elektronischer Standardformulare („e-Forms“) für EU-Bekanntmachungen und an weitere europarechtliche Anforderungen (eForms-VO, BGBl. 2023 I Nr. 222) war europarechtlich geboten. Diese Sonderregelung („gleichartige Planungsleistungen“) ist in der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe und in der  Richtlinie 2014/25/EU über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeberim Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste vom 26. Februar 2014 nicht enthalten.

Die Regelungen in § 3 Absatz 7 Satz 2 VgV, § 2 Absatz 7 Satz 2 SektVO wurden daher aufgehoben. Für § 3 Absatz 7 Satz 3 VSVgV war eine entsprechende Streichung als Folgeänderung ebenfalls erforderlich. Damit ist klargestellt, dass bei der Auftragswertberechnung nach § 3 Absatz 7 VgV, § 2 Absatz 7 SektVO und § 3 Absatz 7 VSVgV bei Planungsleistungen nicht nur Lose über gleichartige Leistungen zusammenzurechnen sind und dass für Planungsleistungen grundsätzlich dieselben Regeln zur Auftragswertberechnung wie für sonstige Dienstleistungen gelten.

Ergänzend zu den bereits in der Begründung zu der Verordnung zur Anpassung des Vergaberechts an die Einführung neuer elektronischer Standardformulare („eForms“) für EU-Bekanntmachungen und an weitere europarechtliche Anforderungen gegebenen Hinweisen (vgl. S. 26 ff. der Bundestagsdrucksache 20/6118) werden in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen folgende klarstellenden Erläuterungen zur Verfügung gestellt. Sie sollen einer rechtssicheren, unionsrechtskonformen Anwendung der maßgeblichen Normen dienen, können einer Prüfung im Einzelfall durch die jeweilige Vergabestelle und einer etwaigen Auslegung durch die Spruchpraxis der Vergabekammern und der Oberlandesgerichte aber nicht vorgreifen:

1.

Die maßgeblichen Methoden zur Berechnung des geschätzten Auftragswerts ergeben sich aus Art. 5 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. Art. 16 der Richtlinie 2014/25/EU. Zu beachten ist insbesondere jeweils Absatz 3, wonach die Wahl der Methode zur Berechnung des geschätzten Auftragswerts nicht in der Absicht erfolgen darf, die Anwendung dieser Richtlinie zu umgehen. Eine Auftragsvergabe darf nicht so unterteilt werden, dass sie nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, es sei denn, es liegen objektive Gründe dafür vor (keine willkürliche Aufteilung). Umgesetzt wurde dies in § 3 Absatz 2 VgV und § 2 Absatz 2 SektVO, eine vergleichbare Regelung enthält § 3 Absatz 2 VSVgV.

2.

Für die Auftragswertberechnung ist – unabhängig von einer etwaigen Losbildung – zunächst zu bestimmen, inwieweit ein einheitlicher Auftrag vorliegt. Hierbei ist eine „funktionale Betrachtung“ heranzuziehen. Diese hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 05.10.2000, Kommission/Frankreich, C-16/98, für Bauaufträge entwickelt. Im Urteil vom 15.03.2012, Autalhalle, C-574/10, hat der EuGH diese funktionale Betrachtung auch auf Dienstleistungsaufträge angewandt. Ein einheitlicher Gesamtauftrag liegt demnach vor, sofern dessen Teilleistungen in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht eine innere Kohärenz und eine funktionelle Kontinuität aufweisen. Beide Entscheidungen liegen vor den heute maßgeblich geltenden Vergaberichtlinien. Die Europäische Kommission geht dabei davon aus, dass eine „andere Natur von Dienstleistungsaufträgen“ nicht als Begründung herangezogen werden kann, um von einer funktionalen Betrachtungsweise abzusehen. Ob Planungsleistungen, die in ihrer Art auf unterschiedliche Weise erbracht werden, in funktionalem Zusammenhang stehen und zusammenzurechnen sind, ist daher im Einzelfall von der jeweiligen Vergabestelle zu prüfen und zu dokumentieren. In Betracht kommt diese Prüfung insbesondere z.B. bei Bodengutachten oder Machbarkeitsstudien in einer frühen Vorplanungsphase.

3.

Ausweislich Erwägungsgrund 8 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. Erwägungsgrund 10 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2014/25/EU sollen die öffentlichen Auftraggeber sowohl die getrennte als auch die gemeinsame Vergabe von Aufträgen für die Planung und die Ausführung von Bauleistungen vorsehen können. Die Richtlinien bezwecken nicht, eine gemeinsame oder getrennte Vergabe für die Planung und die Ausführung von Bauleistungen vorzuschreiben. Im nationalen Recht sind öffentliche Bauaufträge definiert in § 103 Absatz 3 GWB, die Vergabe öffentlicher Bauaufträge richtet sich nach § 2 VgV. Für die Auslegung von Begriffen sind außerdem die Begriffsbestimmungen der Richtlinie 2014/24/EU in Art. 2 maßgeblich. Zu beachten ist, dass danach „öffentliche Bauaufträge“ öffentliche Aufträge mit einem der folgenden Ziele sind: a) Ausführung oder sowohl die Planung als auch die Ausführung von Bauleistungen im Zusammenhang mit einer der in Anhang II der Richtlinie genannten Tätigkeiten; b) Ausführung oder sowohl die Planung als auch die Ausführung eines Bauvorhabens; c) Erbringung einer Bauleistung durch Dritte — gleichgültig mit welchen Mitteln — gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber, der  einen entscheidenden Einfluss auf die Art und die Planung des Vorhabens hat, genannten Erfordernissen.

4.

Ungeachtet von Art. 5 Absätze 8 und 9 können nach Art. 5 Absatz 10 der Richtlinie 2014/24/EU (bzw. der entsprechenden Regelungen in den Richtlinien 2014/25/EU und 2009/81/EG) öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe einzelner Lose von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichen, wenn der geschätzte Wert des betreffenden Loses ohne MwSt. bei Lieferungen oder Dienstleistungen unter 80 000 EUR und bei Bauleistungen unter 1 000 000 EUR liegt (vgl. § 3 Absatz 9 VgV). Allerdings darf der kumulierte Wert der in Abweichung von dieser Richtlinie vergebenen Lose 20 Prozent des kumulierten Werts sämtlicher Lose, in die das Bauvorhaben, der vorgesehene Erwerb gleichartiger Lieferungen oder die vorgesehene Erbringung von Dienstleistungen unterteilt wurde, nicht überschreiten, vgl. Art. 5 Absatz 10 RL 2014/24/EU (sowie Art 16 Absatz 10 RL 2014/25/EU bzw. Art. 9 Absatz 5 RL 2009/81/EG).

5.

Mittelständische Interessen sind – unter Beachtung der unionsrechtlichen Regelungen zur öffentlichen Auftragsvergabe – in Ausschreibungen für Planungsleistungen weiterhin zu wahren (vgl. § 97 Absatz 4 GWB).

Diese sollen Orientierung und Unterstützung bieten. Sie können jedoch nicht eine Prüfung durch die jeweilige Vergabestelle, die Rechtsanwendung oder Rechtsberatung im Einzelfall oder die Rechtsauslegung durch die Vergabekammern und Oberlandesgerichte vorwegnehmen oder ersetzen.

Sprechen Sie uns gerne an.

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Schätzung des Auftragswerts

 

vorgestellt von Thomas Ax

Das Gesetz enthält keine konkreten Kriterien für die Art und Weise, in der die Schätzung des Auftragswertes zu erfolgen hat. Vielmehr gilt nur die allgemeine Vorgabe, dass die Schätzung nicht in der Absicht erfolgen darf, den Auftrag dem Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts zu entziehen. Um dies sicherzustellen, bedarf es einer sorgfältigen und nachvollziehbaren Prognose anhand objektiver Kriterien. Maßstab für die sachangemessene Schätzung des Auftragswertes ist, wie sich ein umsichtiger und sachkundiger Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung des relevanten Marktsegments und auf dem Boden einer betriebswirtschaftlichen Finanzplanung verhalten würde.

Die diesbezüglichen Anforderungen sind umso größer, je enger die voraussichtliche Auftragssumme sich im Grenzbereich des maßgeblichen Schwellenwertes (215.000€ netto) bewegt. Ist dieser ganz eindeutig unter- oder überschritten, sind an die Schätzung vergleichsweise niedrige Anforderungen zu stellen. Ist das hingegen zweifelhaft, steigen die entsprechenden Anforderungen. Dies gilt insbesondere, aber nicht nur dann, wenn die Vergabestelle beabsichtigt, von einer EU-weiten Ausschreibung abzusehen.

Bei dem ermittelten Wert sind neben praktischen Erfahrungen z.B. einschlägige Honorarordnungen, einschlägige Indexreihen für Baukosten u. ä. heranzuziehen. Ist der Auftraggeber alleine nicht in der Lage, eine hinreichend sorgfältige Schätzung vorzunehmen, muss er sich ggf. externer Beratung bedienen.

Ebenfalls besteht die Möglichkeit, Marktteilnehmer nach ihrer Einschätzung in Bezug auf den betreffenden Auftragswert oder Teile der auszuschreibenden Leistungen zu befragen und dies in die eigene Schätzung der Vergabestelle einzubeziehen. Hingegen wäre es nicht ausreichend, sich allein auf die Aussage eines einzelnen Marktteilnehmers zu verlassen.

Ebenso werden die vorgenannten Kriterien an eine sachangemessene Schätzung nicht erfüllt, wenn die Kostenschätzung auf veralteten Daten (älter als 1 Jahr) beruht, wichtige Elemente der Kostenkalkulation schlicht außer Acht lässt oder wenn Kalkulationsgrundlagen Dritter pauschal und ungeprüft übernommen werden.

Die der Schätzung zu Grunde gelegten Kriterien und deren Ergebnisse sind in der Vergabeakte hinreichend zu dokumentieren und die Angaben zur Schätzung sind im Regelfall auch notwendiger Bestandteil des Vergabevermerks. Eine mangelhafte Dokumentation begründet einen Vergaberechtsverstoß, der dann, wenn sich die Schätzung im Ergebnis als fehlerhaft erweist, auch bei einer beabsichtigten Vergabe unterhalb der Schwellenwerte einer vergaberechtlichen Nachprüfung zugänglich ist, sofern der richtig geschätzte Auftragswert den maßgeblichen Schwellenwert erreicht oder überschreitet.

Zudem dient der geschätzte Auftragswert der haushaltsrechtlichen Mittel-/Budgetreservierung. Dies ist insbesondere relevant im Hinblick auf die Aufhebung eines Vergabeverfahrens mit Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit.

Der Schätzwert sollte einer genäherten Bestimmung des Auftragswertes entsprechen, die Schätzung muss jedoch nicht die aktuellen Marktpreise exakt widerspiegeln.

Schätzungsgrundlagen können z.B. sein

– zurückliegende Beschaffungen (max. 1 Jahr)
– Internetrecherche (Screenshots reichen)
– Angebote von Firmen (es sollte aber nicht der Eindruck erweckt werden, dass es sich um ein laufendes Vergabeverfahren handelt)
– externe Berater (wenn Fachwissen fehlt).

Beispiele für die Schätzung des Auftragswertes

1. Es liegen 2 Angebote vor

Angebot 1: 60.000€ inkl. MwSt.
Angebot 2: 55.000€ inkl. MwSt.

-> geschätzter Auftragswert= (60.000+55.000)/2 = 57.500€ inkl. MwSt.

2. Es liegen 3 Angebote vor

Angebot 1: 60.000€ inkl. MwSt.
Angebot 2: 57.000€ inkl. MwSt.
Angebot 3: 50.000€ inkl. MwSt.

-> geschätzter Auftragswert= mittleres Angebot = 57.000€ inkl. MwSt.

3. Es liegen 4 Angebote vor

Angebot 1: 60.000€ inkl. MwSt.
Angebot 2: 57.000€ inkl. MwSt.
Angebot 3: 50.000€ inkl. MwSt.
Angebot 4: 45.000€ inkl. MwSt.

-> geschätzter Auftragswert = (50.000+57.000)/2 = 53.500€ inkl. MwSt.

Bei mehr als 4 und einer ungeraden Anzahl an Angeboten errechnet sich der Schätzwert aus der Summe der Angebote geteilt durch die Anzahl der Angebote, während bei einer geraden Anzahl an Angeboten eine Rangfolge gebildet wird und der Median der beiden mittleren Angebote als geschätzter Auftragswert herangezogen wird.

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VergMan ®: Wir verwenden Kreative und sichere Bewertungssysteme (2): VK Rheinland zu der Frage, ob der Bieter Unschärfen eines abstrakten Wertungssystems hinnehmen muss

 

vorgestellt von Thomas Ax

1. Eine Antragsbefugnis wegen einer fehlerhaften Vorabinformation gem. § 134 GWB entfällt regelmäßig, wenn der Antragsteller fristgerecht einen Nachprüfungsantrag stellen konnte. In diesem Fall ist ein Schaden in der Regel nicht denkbar, da der Inhalt der Vorabinformation keine Auswirkungen auf die Zuschlagschancen eines Bieters hat und der Zweck der Vorabinformation mit der rechtzeitigen Antragstellung erfüllt ist.

2. Enthält eine Bewertungsmatrix für eine Konzeptbewertung alle Angaben dazu, was die einzelnen Konzepte beinhalten sollen und welcher Inhalt zu welcher Bewertung führt, müssen Unklarheiten im Zusammenhang mit den Angaben der Bewertungsmatrix bei Anwendung der üblichen Sorgfalt bereits bei der Angebotserstellung auffallen und daher auch bis zur Angebotsabgabe gerügt werden. Erfolgt die Rüge nach Ablauf der Angebotsfrist tritt Präklusion gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB ein.

3. Der öffentliche Auftraggeber erteilt den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot auf der Grundlage einer Bewertung anhand der vorgegebenen Zuschlagskriterien. Für den öffentlichen Auftraggeber besteht ein von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum. Keinesfalls darf die Vergabekammer die Wertung des öffentlichen Auftraggebers durch eine eigene Wertung ersetzen.

4. Nutzt der öffentliche Auftraggeber für eine Konzeptbewertung ein abstraktes Wertungssystem, steht es einer vergaberechtskonformen Auftragsvergabe nicht entgegen, wenn der Auftraggeber für die Erfüllung qualitativer Wertungskriterien Noten mit zugeordneten Punktwerten vergibt, ohne dass die Vergabeunterlagen weitere konkretisierende Angaben dazu enthalten, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl abhängen soll.

5. Einem abstrakten Wertungssystem ist eine gewisse Unschärfe immanent, die im Einzelfall, je nach Bewerter, unterschiedliche „Noten“ als richtig erscheinen lassen und bei deren Bewertung subjektive Komponenten im Sinne von Einschätzungen eine wesentliche Rolle spielen.

VK Rheinland, Beschluss vom 12.05.2022 – VK 51/21

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VergMan ®: Wir verwenden Kreative und sichere Bewertungssysteme (1): VK Bund zur der Frage, ob und wie qualitative Zuschlagskriterien im Rahmen eines Konzeptwettbewerbs zu bewerten sind und auch nur bewertet werden können

 

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Angebotswertung muss anhand der aufgestellten Zuschlagskriterien vertretbar, in sich konsistent und nachvollziehbar sein. Dies gilt insbesondere auch bei der Bewertung qualitativer Zuschlagskriterien im Rahmen eines Konzeptwettbewerbs.

2. Bei einem Konzeptwettbewerb wird den Bietern ein kreativer Freiraum zum Wettbewerb um bestmögliche Lösungsansätze eröffnet. Zur Gewährleistung vergleichbarer Angebote bedarf es hinreichend konkreter Zielsetzungen, die vom Auftraggeber im Rahmen einer funktionalen Leistungsbeschreibung vorzusehen sind und die bei der Angebotswertung im Rahmen einer Gesamtschau der Zuschlagskriterien und der übrigen Vergabeunterlagen zu berücksichtigen sind.

3. Der Auftraggeber kann nicht sämtliche denkbaren konzeptionellen Lösungsansätze der Bieter vorhersehen und abstrakt vorab bewerten. Entsprechend sind das Wertungssystem bzw. die Vorgaben, unter welchen konkreten Bedingungen ein Konzept mit welcher Note zu bewerten ist, systemimmanent nicht abschließend bestimmbar und daher kann ein Bieter auch seine Benotung nicht konkret vorhersagen.

4. Aufgrund dieser einem Konzeptwettbewerb immanenten Offenheit für die konzeptionellen Angebote der Bieter ist es auch nicht zu beanstanden, sondern geboten, dass eine relativ vergleichende Bewertung der von den Bietern eingereichten Konzepte nach den bekannt gemachten Bewertungsmaßstäben gleichmäßig vorgenommen wird.

5. Voraussetzung für einen Konzeptwettbewerb mit einer Bewertung anhand eines abstrakt formulierten, offenen Bewertungsmaßstab ähnlich Schulnoten ist, dass die Bieter anhand der Vorgaben der Vergabeunterlagen, insbesondere der Leistungsbeschreibung, erkennen können, worauf der Auftraggeber Wert legt

VK Bund, Beschluss vom 04.04.2022 – VK 2-24/22

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VK Hessen: Reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen (sog. Rüge ins Blaue hinein) erfüllen nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge

 

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Anforderungen an die Darlegung einer Vergaberechtsverletzung bzw. an die Rüge gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber dürfen nicht zu hoch angesetzt werden. Ein Mindestmaß an Substanziierung ist jedoch einzuhalten. Reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen (sog. Rüge ins Blaue hinein) reichen nicht aus.
2. Die bloße Behauptung eines Mitbewerbers, der Bestbieter erfülle die Anforderungen der Ausschreibung nicht und sei daher auszuschließen, ohne Anhaltspunkte oder Indizien darzulegen, aus denen er diese Erkenntnis nimmt, erfüllt nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge.
VK Hessen, Beschluss vom 26.06.2023 – 96 e 01.02/23-2023
nachfolgend:
OLG Frankfurt, 20.07.2023 – 11 Verg 3/23

Gründe:

I.

Die Vergabestelle schrieb im offenen Verfahren die Durchführung der Unterhaltsreinigung sowie von Sonderreinigungsarbeiten für die ### Hochschule ###, Gebäude 1 und Gästehäuser 3 und 5 aus (###).

Die Antragstellerin bewarb sich mit einem Angebot vom 23. Februar 2023 auf die o.g. Ausschreibung. Mit Schreiben vom 12. Mai 2023 teilte die Vergabestelle der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot aus preislichen Gründen nicht berücksichtigt werden könne.

Hiergegen wendete sich die Antragstellerin mit Schreiben an die Vergabestelle vom 16.05.2023, in der sie erläutert, dass sie die Anforderungen der Ausschreibung erfüllt habe, der Bestbieter die Vorgaben jedoch „ganz offensichtlich nicht erfüllt“habe. Dies müsse dazu führen, dass das Angebot des Bestbieters ausgeschlossen wird.

Hierauf erwiderte die Vergabestelle mit Schreiben vom 16. Juni 2023, in dem sie der Antragstellerin mitteilte, dass sie der Rüge nicht abhelfen werde. Die Ausführungen der Antragstellerin seien nicht geeignet, ihre Rüge ausreichend substantiiert zu begründen, da sie einer tatsächlichen Grundlage entbehrten. Der Vortrag der Antragstellerin sei als Rüge ins Blaue hinein unbeachtlich. Die Antragstellerin müsse vielmehr tatsächliche Anhaltspunkte oder Indizien vortragen, welche einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß zu begründen.

Hierauf legte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 22. Juni 2023 Nachprüfungsantrag ein. In ihrem Antrag erläutert die Antragstellerin, dass der Vortrag der Vergabestelle, es handele sich bei den Ausführungen der Antragstellerin in ihrem Schreiben vom 16. Juni 2023 um eine Rüge ins Blaue, unzutreffend sein. Sie erläuterte weiter, dass die Antragstellerin keinerlei Wissens- und Informationsstand bezüglich des Angebots der Bestbieterin habe, da sie dies schlichtweg nicht kenne. Ihr stünden auch keine weiteren Erkenntnisquellen zur Verfügung.

II.

Der Antrag ist nicht gemäß § 163Abs. 2 Satz 3 GWB an die Vergabestelle zu übermitteln. Er ist offensichtlich unzulässig gem. § 163 Abs. 2 Satz 3 Var. 1 GWB.

1. Der Antrag ist offensichtlich unzulässig. Die Antragstellerin ist bereits nicht antragsbefugt gemäß § 160 Abs. 2 GWB.

Antragsbefugt ist jedes Unternehmen, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag oder der Konzession hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Absatz 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Dabei ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

Die Antragstellerin genügt ihrer hieraus resultierenden Darlegungspflicht nicht. Sowohl in ihre Rüge vom 16. Juli 2023 als auch in ihrem Nachprüfungsantrag stellt die Antragstellerin schlichtweg die Behauptung auf, die Bestbieterin erfülle die Anforderungen der Ausschreibung nicht und sei daher auszuschließen. Anhaltspunkte oder Indizien, aus denen sie diese Erkenntnis nimmt, legt die Antragstellerin hingegen nicht dar.

Der Antragstellerin ist zwar insoweit zuzugestehen, dass sie selbstverständlich keinen Einblick in das Angebot der Bestbieterin sowie insbesondere in dessen Preiskalkulation haben kann. Insoweit können die Anforderungen an die Darlegung eine Vergaberechtsverletzung bzw. einen die Rüge gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber nicht zu hoch angesetzt werden (vgl hierzu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.04.2020 – Verg 30/19NZBau 2020, 739 Rn. 41, beck-online m.w.N.).

Ein Mindestmaß an Substanziierung ist jedoch einzuhalten; reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen reichen nicht aus (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.04.2020 – Verg 30/19, a.a.O., beck-online m.w.N.).

Die Antragstellerin versäumt es vollständig, darzulegen, wie sie zu ihrer Schlussfolgerung, die Angebotskalkulation der Bestbieterin sei fehlerhaft, kommt. Sie stellt lediglich die Behauptung in den Raum, dass die Bestbieterin die Anforderungen hinsichtlich des Objektleiters – im Gegensatz zur Antragstellerin selbst- nicht erfüllt habe. Auch wenn die Antragstellerin die Kalkulation der Bestbieterin nicht kennen kann, schließt sie lediglich aus der Tatsache, dass das Angebot der Bestbieterin offenbar preisgünstiger ist, den Rückschluss, dass diese die Angaben hinsichtlich des Objektleiters nicht erfüllt.

Ungeachtet dieser Behauptung, die jegliche tatsächliche Anhaltspunkte vermissen lässt, erläutert die Vergabestelle in ihrer Erwiderung vom 16. Juni 2023 nicht nur, dass die Bestbieterin die Anforderungen hinsichtlich des Objektleiters eben doch erfüllte, sie unternahm daraufhin eine Aufklärung hinsichtlich der in der Rüge aufgestellten Behauptung und kam zu dem Ergebnis, dass keine Zweifel an der Erfüllung der Anforderungen der Ausschreibung durch die Bestbieterin bestünden.

Selbst daraufhin unterlässt es die Antragstellerin, ihre Behauptung, die Bestbieterin habe die Anforderungen hinsichtlich des Objektleiters nicht erfüllt, substantiiert darzulegen. Sie wiederholt in ihrem Nachprüfungsantrag die Vorwürfe aus ihrem Rügeschreiben, geht ansonsten auf die Ausführungen der Vergabestelle, die Bestbieterin habe die Anforderungen erfüllt, kurz ein und stellt wiederum eine unsubstantiierte Behauptung auf, dass die Bestbieterin den Zuschlag „ganz offensichtlich“ mit 0% beziffert habe.

Dieser Vortrag der Antragstellerin erfüllt die Anforderungen an die Darlegung eines Vergaberechtsverstoßes offensichtlich nicht.

2. Gemäß § 182 Abs. 1 GWB werden für Amtshandlungen der Vergabekammer Gebühren erhoben.

Die Gebühren auslösende Amtshandlung ist hier schon mit der Prüfung des Antrages gemäß § 163 Abs. 2 Satz 1 GWB durch die Vergabekammer gegeben (Losch in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, GWB § 182 GWB Rn. 5).

Die Festsetzung der Gebühr bestimmt sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens, wobei vorrangig vom Wert des Verfahrensgegenstandes auszugehen ist (BGH Beschluss vom 25.10.2011 – X ZB 5/10BeckRS 2012, 2820; OLG Hamburg Beschluss vom 3.11.2008 – 1 Verg 3/08BeckRS 2010, 26820).

Der Aufwand der Vergabekammer ergibt sich hier aus der Prüfung des Nachprüfungsantrages gemäß § 163 Abs. 2 Satz 1 GWB. Gemäß § 182 Abs. 2 GWB beträgt die Gebühr mindestens 2.500 Euro.

a. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles hält die Vergabekammer ein teilweises Absehen von der Erhebung der Gebühren gemäß § 182 Abs. 3 Satz 6 GWB für angebracht. Die Gebühr wird daher aus Gründen der Billigkeit auf 500,- Euro reduziert. Für eine Reduktion um 2.000,- Euro spricht die Tatsache, dass der zeitliche und personelle Aufwand der Vergabekammer angesichts der Nichtübermittlung des Antrages im Vergleich zu einem Weiterführen des Nachprüfungsverfahrens wesentlich geringer war.

b. Nach § 182 Abs. 3 Satz 5 GWB erfolgt die Entscheidung, wer die Kosten zu tragen hat, nach billigem Ermessen, d.h. die Regelung folgt nicht streng dem Unterliegensprinzip. Es sind vielmehr alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (OLG München, Beschluss vom 10. April 2019 – Verg 8/18 -).

Unter Berücksichtigung der im konkreten Fall zu bewertenden Umstände hält die Vergabekammer es für angemessen, der Antragstellerin die Kosten aufzuerlegen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Antragstellerin einen offensichtlich unzulässigen Antrag vorgelegt hat.

Rechtsmittelbelehrung

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OVG Hamburg: Überlassung eines Grundstücks durch den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags, der an die Bedingung geknüpft ist, den Bau und die Trägerschaft einer Kindertagesstätte zu übernehmen, kann eine Maßnahme der Jugendhilfe darstellen

 

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Überlassung eines Grundstücks durch den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags, der an die Bedingung geknüpft ist, den Bau und die Trägerschaft einer Kindertagesstätte zu übernehmen, kann eine Maßnahme der Jugendhilfe darstellen.
2. Ein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe kann im Einzelfall einen Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses eines Erbbaurechtsvertrags durch einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit einer Eigengesellschaft dieses Trägers geltend machen, wenn er selbst auf dem streitgegenständlichen Grundstück eine geeignete Einrichtung zu errichten und zu betreiben in der Lage ist.
3. Ist dem Abschluss eines mit der Bereitschaft zum Bau und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags ein „Auswahlverfahren“ vorgeschaltet, an dem sich mehrere anerkannte Träger der freien Jugendhilfe beteiligt haben, so besteht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein Anspruch auf Unterlassen des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit einem Dritten nur dann, wenn der Antragsteller zudem glaubhaft machen kann, dass seine Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint.
OVG Hamburg, Beschluss vom 09.05.2023 – 4 Bs 157/22
vorhergehend:
VG Hamburg, 11.10.2022 – 20 E 1200/22

Zum Sachverhalt

Die Ast. begehrte im Wege der Beschwerde vorläufigen Rechtsschutz gegen den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags zwischen der Ag. und der Beigel. oder Dritten.

Die Ast. ist eine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe und betreibt, ebenso wie die Beigel., in Hamburg unter anderem mehrere Kindertagesstätten. Die Beigel. verfügt nicht über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII, sie ist in der Form einer gGmbH organisiert und die Ag. ist ihre alleinige Gesellschafterin. Laut Gesellschaftsvertrag bestimmt der Senat der Ag. sechs von neun Mitgliedern des Aufsichtsrats. Die Ag. ist örtliche und überörtliche Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe nach § 69 I SGB VIII iVm § 1 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe vom 25.6.1997, HmbGVBl 1997, 273 (AGSGB VIII).

Die Ag. stellte in einer Bedarfsanalyse fest, dass in dem Stadtteil ### eine unzureichende Versorgung mit Kindertagesstätten-Plätzen besteht. Sie forderte daraufhin in einer als „Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO“ bezeichneten Mitteilung unter dem Aktenzeichen ÖB 008/2021/FS 34 interessierte Bewerber auf, bis zum 31.8.2021 eine Interessenbekundung zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags für das Grundstück G. einschließlich der Bereitschaft zum Bau und zur Trägerschaft einer Kindertagesstätte abzugeben.

Beabsichtigt ist, dass die Ag. zu einem jährlichen Erbbauzins iHv 7.960 EUR mit dem erfolgreichen Bewerber einen Erbbaurechtsvertrag abschließt. Das Auswahlverfahren ist in den Punkten 4 bis 8 der Mitteilung näher ausgeführt und setzt unter anderem die Vorlage eines Trägerkonzepts, eines Finanzierungsnachweises sowie das Ausfüllen eines Bewerbungsformulars voraus. Zudem wird festgelegt, dass die Ausführungen in dem Bewerbungsformular mit Punkten bewertet werden und der Erbbaurechtsvertrag mit dem Bewerber mit den meisten Punkten abgeschlossen wird, bei Punktgleichstand mehrerer Bewerber entscheidet das Los. Das Ausschreibungsverfahren sieht weiter vor, dass, sofern mit dem bestbewerteten Bewerber kein Erbbaurechtsvertrag geschlossen wird, der Nächstplatzierte im Bewerbungsverfahren nachrückt. Die Ast. bewarb sich ebenso wie die Beigel. und weitere Bewerber (insgesamt zwölf Bewerbungen erfüllten die Zugangsvoraussetzungen) um den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags.

Mit Mitteilung vom 1.3.2022 teilte die Ag. der Ast. mit, dass deren Bewerbung nicht die höchste Punktzahl erreicht habe und die Auswahlentscheidung auf einen anderen Bewerber gefallen sei. Hiergegen erhob die Ast. am 3.3.2022 Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist. Ausgewählt wurde das Angebot der Beigel., welches den Höchstwert von 83 von 100 möglichen Punkten erhielt. Das Angebot der Ast. erhielt ausweislich der Bewertungsergebnisse der „Bewertungskonferenz IBV G.“ im Februar 2022 78 Punkte, ebenso wie das Angebot des „KJSH (Verbund für Kinder- Jugend- und Soziale Hilfen“), das Angebot der „Küstenkinder“ erhielt ebenso wie das von „Pedia“ 80 Punkte. Das Angebot von „Wabe“ (Wohnen arbeiten betreuen entwickeln) erhielt 83 Punkte. Das Angebot der Ast. war demnach das gemeinsam mit dem Angebot des KJSH fünftplatzierte Angebot.

Am 14.3.2022 hat die Ast. beim VG um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Sie sei als Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 4 II SGB VIII vorrangig gegenüber der Beigel., die Teil der öffentlichen Jugendhilfe sei, auszuwählen. Zudem liege eine Verletzung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs aus den Art. 12I, Art. 3 I GG vor, weil ihre Bewerbung inhaltlich besser sei als diejenige der Beigel. und sie daher hätte ausgewählt werden müssen.

Das VG Hamburg (Beschl. v. 11.10.2022 – 20 E 1200/22) hat den Antrag abgelehnt. Die Beschwerde der Ast. hatte Erfolg. Der Beschluss des VG Hamburg wurde geändert; der Ag. wurde im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, auf Grundlage des Interessenbekundungsverfahrens mit der Beigel. oder einem Dritten einen Erbbaurechtsvertrag betreffend das betroffene Flurstück abzuschließen und/oder dieses Flurstück der Beigel. oder einem Dritten anderweitig für die Planung, die Errichtung und/oder den Betrieb einer Kindertagesstätte zu überlassen, bis über die Bewerbung der Ast. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.

Aus den Gründen

(…)

Die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe erschüttern die tragenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses des VG (hierzu unter 1); nach der daraus folgenden, nicht mehr gem. § 146 IV VwGO beschränkten Prüfung durch das BeschwGer. ist die Entscheidung zu ändern (hierzu unter 2).

1. Die Ag. hat mit ihrer Beschwerdebegründung, auf die gem. § 146 IV 3 und 6 VwGO abzustellen ist, die Richtigkeit der entscheidungstragenden Erwägungen des VG erschüttert.

Dieses hat ausgeführt, dass sich der streitgegenständliche Anspruch vorliegend nicht aus § 4 II SGB VIII ergeben könne, weil es um die Schaffung einer neuen Einrichtung gehe, um den bestehenden Bedarf an Einrichtungen der Jugendhilfe überhaupt erst decken zu können und weil das Interessenbekundungsverfahren nur der Anbahnung einer Jugendhilfeleistung diene. Daher sei das Subsidiaritätsgebot aus § 4 II SGB VIII vorliegend nicht tangiert.

Diese tragende Erwägung hat die Ast. vorliegend mit ihren Ausführungen ernsthaft in Zweifel gezogen, weil bereits der Gesetzestext des § 4 II SGB VIII ausdrücklich darauf abstellt, dass die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Leistungen absehen soll, wenn geeignete Dienste, Einrichtungen oder Veranstaltungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können und somit ausdrücklich auch, wie vorliegend, erst künftig zu schaffende Einrichtungen in den Blick nimmt. Zudem ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt, dass das als Interessenbekundungsverfahren zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags mit der gleichzeitigen Verpflichtung zur Errichtung und der Übernahme der Trägerschaft für eine Kindertagesstätte bezeichnete Verfahren kein (bloßes) Interessenbekundungsverfahren ist, sondern bereits ein Auswahlverfahren darstellt, dessen Gewinner die ausgeschriebene Leistung, hier den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags und die Errichtung einer Kindertagesstätte mit 120 Plätzen, erhält (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

2. Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das BeschwGer. führt zu einer Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Nach dem wohlverstandenen Interesse der Ast. ist ihr Antrag gem. §§ 88122 I VwGO dahingehend auszulegen, dass sie auch die erneute Entscheidung über ihre Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt. Denn die bloße Untersagung der Überlassung des Grundstücks an die Beigel. oder einen Dritten ohne eine erneute Auswahlentscheidung der Ag., bei der die Auswahl der Ast. zumindest möglich ist, dürfte von ihr unter Berücksichtigung ihrer Ausführungen im Schriftsatz vom 10.11.2022 nicht begehrt werden und ein Rechtsschutzbedürfnis dürfte insoweit auch nicht bestehen (s. unten).

Der so verstandene Antrag hat Erfolg. Nach § 123 I 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Ast. vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 III VwGO iVm § 920 II, § 294 ZPO hat die Ast. glaubhaft zu machen, dass ihr der streitige Anspruch in der Hauptsache zusteht (sog. Anordnungsanspruch) und dessen vorläufige Sicherung nötig erscheint (sog. Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

a) Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es der Ast. unter Berücksichtigung ihrer Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dies ist vorliegend der Fall, weil durch den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. oder einem Dritten bereits ein endgültiger Zustand eintreten und der Ast. die Übernahme der Kitaträgerschaft am beabsichtigten Standort unmöglich gemacht würde (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; 17.3.2008 – 4 Bs 214/07, BeckRS 2008, 149104; vgl. auch VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Rn. 2?ff.; allg. zu einem Anordnungsgrund im Vorfeld des Abschlusses eines öffentlich-rechtlichen Vertrags mit einem Dritten OVG Berlin-Brandenburg NVwZ-RR 2011, 293 Rn. 8). Anders als in der Konstellation, die der Entscheidung des Senats im Verfahren 4 Bs 286/21 zugrunde lag, ist ein Anordnungsgrund vorliegend auch im Hinblick auf die Untersagung einer Zurverfügungstellung des Grundstücks an Dritte gegeben, da aus den nachfolgend genannten Gründen eine Vergabe des Grundstücks an die Beigel. im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes rechtlichen Bedenken begegnet und nach der Ausschreibung dann, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit dem ausgewählten Bewerber nicht abgeschlossen werden kann, der Nächstplatzierte nachrücken soll und somit konkrete Anhaltspunkte für eine Vergabe an die im Auswahlverfahren besser platzierten Bewerber als die Ast. bestehen.

b) Die Ast. hat vorliegend glaubhaft gemacht, dass ihr aus § 4 II SGB VIII ein Abwehrrecht und somit ein Anordnungsanspruch gegen eine Überlassung des Grundstücks an die Beigel. zur Errichtung einer Kindertagesstätte zukommt (hierzu unter aa) und dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint (hierzu unter bb).

aa) Ein Anordnungsanspruch folgt vorliegend nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angezeigten summarischen Prüfung aus § 4 II SGB VIII. Die Vorschrift des § 4 II SGB VIII findet vorliegend Anwendung, da sie ein tragendes Strukturprinzip der Jugendhilfe normiert, das in allen Handlungsfeldern der Jugendhilfe anzuwenden ist, unabhängig davon, ob auch die weiteren Vorschriften des SGB VIII, etwa § 74 SGB VIII, Anwendung finden oder der Vorrang des Landesrechts nach § 74a SGB VIII greift. Denn das Landesrecht vermag die Strukturprinzipien des bundesgesetzlich geregelten Jugendhilferechts nicht abzubedingen (vgl. BVerwGE 135, 150 = NVwZ-RR 2010, 148; OVG Münster 12.1.2021 – 21 A 3824/18BeckRS 2021, 190 Rn. 52; jurisPK-SGB VIII/Luthe, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 7). Der Anwendung des in § 4 II SGB VIII normierten bedingten Vorrangs der freien Träger der Jugendhilfe steht auch vorliegend, anders als durch das VG ausgeführt, nicht entgegen, dass das als „Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO“ bezeichnete Verfahren nur der Erforschung der Marktsituation dienen würde und noch keine Jugendhilfe im Sinne des SGB VIII darstelle. Vielmehr handelt es sich bei dem vorliegenden Verfahren gerade nicht um ein „bloßes“ Interessenbekundungsverfahren, sondern um das eigentliche Auswahlverfahren zum Abschluss eines untrennbar mit der Errichtung und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

19Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften erfüllt sein (hierzu unter aaa) und in der Rechtsfolge der Ast. ein Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. zukommen (hierzu unter bbb).

aaa) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften vorliegend erfüllt sein. § 4 II SGB VIII lautet:

„Soweit geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden oder rechtzeitig geschaffen werden können, soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen.“

Die Ast. ist unstreitig eine anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 75 I, II SGB VIII. Bei der zu errichtenden Kindertagesstätte handelt es sich zudem um eine Einrichtung iSd § 4 II SGB VIII. Unter dem Begriff der Einrichtungen versteht man die Erfüllung von Aufgaben unter Einsatz besonderer Sachmittel, insbesondere Gebäude, sächliche Ausstattung sowie personeller Mittel, dies umfasst unter anderem die Errichtung einer Kindertagesstätte (vgl. nur LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer, 8. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 38).

Die durch die Ast. geplante Kindertagesstätte dürfte zudem eine geeignete Einrichtung sein, die rechtzeitig geschaffen werden kann. Dass das Projekt der Ast. eine längere Realisierungsdauer hätte als die Projekte der Mitbewerber, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, so dass die Einrichtung durch die Ast. „rechtzeitig“ iSd § 4 II SGB VIII geschaffen werden kann. Geeignet nach dieser Vorschrift ist eine Einrichtung dann, wenn sie sowohl fachlichen (Mindest-)Standards als auch den Wünschen und Bedürfnissen der potenziellen Nutzer entspricht (vgl. Wiesner/Wapler/Wapler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 22; LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 4 Rn. 40; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (447 mwN). Die Ast. erfüllt als Trägerin mehrerer Kindertagesstätten in Hamburg die geltenden und über den Abschluss entsprechender Vereinbarungen nach § 15 KibeG abgesicherten fachlichen Standards. Sie hat in ihrer Bewerbung für den Standort G., in der unter anderem Ausführungen zu der Nachfrage von Plätzen durch die Bewohner der nahegelegen Wohnunterkunft und somit nach den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer sowie die Partizipation von Eltern und Kindern zu machen waren, 78 von 100 Punkten erreicht und nur fünf Punkte weniger als die ausgewählte Bewerberin. Dass die durch die Ast. geplante Einrichtung nicht geeignet wäre, die künftigen Interessen der Nutzer abzubilden, ist daher nicht ersichtlich.

bbb) Die Ast. dürfte vorliegend einen Anspruch auf Unterlassung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. gegen die Ag. herleiten können. § 4 II SGB VIII kann Trägern der freien Jugendhilfe, die über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII verfügen, bei Vorliegen seiner tatbestandlichen Voraussetzungen ein subjektives Abwehrrecht gegen ein Tätigwerden des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe vermitteln, sofern dieser gegen das dann aus der Norm folgende bedingte Subsidiaritätsgebot verstößt (vgl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 68 ff. unter Bezugnahme auf BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII sind vorliegend wie zuvor dargestellt erfüllt, zudem sind die Voraussetzungen des „bedingten“ Vorrangs des Trägers der freien Jugendhilfe – also der Ast. – gegeben.

Nach § 4 II SGB VIII „soll“ der Träger der öffentlichen Jugendhilfe unter anderem von eigenen Maßnahmen absehen, wenn geeignete Einrichtungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können. Anders als die Vorgängervorschrift des § 5 III 2 JWG, die vorsah, dass von eigenen Maßnahmen abzusehen „ist“, hat sich der Gesetzgeber bei Normierung des § 4 II SGB VIII ausdrücklich für den „bedingten“ Vorrang der freien Träger der Jugendhilfe entschieden, dies allerdings unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen Vorgaben des BVerfG im oben genannten Urteil vom 18.7.1967. Danach ist der „bedingte“ Vorrang der anerkannten Träger der freien Jugendhilfe dergestalt zu verstehen, dass das Jugendamt nur dann selbst Einrichtungen schaffen und Veranstaltungen vorsehen soll, wenn seine Anregungen und Förderungsmaßnahmen bei den Trägern der freien Jugendhilfe nicht zum Ziel führen, etwa weil der freie Träger keine angemessene Eigenleistung aufbringen kann. Ein Vorrang der Träger der freien Jugendhilfe umfasst beispielsweise auch nicht das Gebot für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, bestehende Angebote zugunsten der Träger der freien Jugendhilfe zu schließen, vielmehr soll ein sinnvoller Einsatz privater und öffentlicher wirtschaftlicher Mittel gewährleistet werden (vgl. BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795).

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so besteht ein gerichtlich durchsetzbarer Unterlassungsanspruch des anerkannten Trägers der freien Jugendhilfe gegen den Träger der örtlichen Jugendhilfe dann, wenn ein konkretes „Konkurrenzverhältnis“ besteht (vgl. grdl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 81 mwN; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (449)).

So liegt es hier. Die Überlassung des streitgegenständlichen Grundstücks zur Errichtung einer Kindertagesstätte durch die Ag. an die Beigel. ist eine „eigene“ Maßnahme iSd § 4 II SGB VIII. Die Beigel. ist zwar privatrechtlich organisiert, sie dürfte aber der Ast. als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe zuzurechnen sein (vgl. zur Abgrenzung von öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21 Rn. 84?ff.; vgl. hierzu auch OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05; 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172; BeckOGK/Janda, 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 11; jurisPK-SGB VIII/Trésoret, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 75 Rn. 37). Die Beigel. ist keine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe. Sie dürfte auch nicht zu den freien Trägern der Jugendhilfe gehören. Das SGB VIII sieht eine Definition des freien Trägers der Jugendhilfe nicht vor. Aus den Vorschriften lässt sich aber ableiten, dass grundsätzlich als Träger der freien Jugendhilfe jede Personengruppe, Initiative und Personenvereinigung sowie jede juristische Person in Betracht kommt, die auf dem Gebiet der Jugendhilfe ohne gesetzliche Verpflichtung aufgrund eigener freier Entscheidung tätig wird (vgl. LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 3 Rn. 16; BeckOK SozR/Winkler, 68. Ed. 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 1). Dies dürfte vorliegend bei der Beigel. nicht gegeben sein, da sie nicht aufgrund eigener freier Entscheidung Leistungen der Jugendhilfe erbringt, sondern sich die Ag. ihrer bedient, um ihre gesetzlichen Verpflichtungen unter anderem aus § 79 SGB VIII zu erfüllen. Denn die Beigel. ist als Eigenbetrieb der Ag. in Form einer gGmbH organisiert. Alleinige Gesellschafterin der Beigel. ist die Ag., diese hat auch das gesamte Stammkapital in Form einer Stammeinlage iHv 35 Mio. EUR übernommen. Gemäß § 7 des Gesellschaftsvertrags besteht der Aufsichtsrat aus neun Personen, von denen sechs durch den Senat der Ag. bestimmt werden und die unter anderem über die Ein- und Abberufung der Geschäftsführer bestimmen und deren Tätigkeit überwachen. Zudem unterliegen gem. § 8 des Gesellschaftsvertrags eine Vielzahl von Geschäften, unter anderem auch der Abschluss von bestimmten Miet- und Pachtverträgen, der Zustimmungspflicht des Aufsichtsrates und kann nach § 16 des Gesellschaftsvertrags die zuständige Behörde der Ag. die Recht- und Zweckmäßigkeit des „Geschäftsgebarens“ der Beigel. überprüfen. Allein dadurch, dass ein öffentlicher Träger der Jugendhilfe durch eine privatrechtlich organisierte Eigengesellschaft tätig wird, kann diese aber nicht zum freien Träger im Sinne des SGB VIII werden, sofern die wesentlichen Entscheidungen für die Einrichtung bei dem öffentlichen Träger verbleiben und sie diese über ihre Stellung als maßgebliche Gesellschafterin herbeiführen kann, wovon nach den vorherigen Ausführungen in Bezug auf die Beigel. auszugehen ist (vgl. OVG Weimar 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172 Ls. 1 u. Rn. 18; OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05 Rn. 54).

Es liegt auch ein konkretes Konkurrenzverhältnis vor, da nach den Bedingungen des Auswahlverfahrens der Abschluss des Erbbaurechtsvertrags untrennbar mit der Übernahme der Trägerschaft für die Kindertagesstätte verbunden ist. Es sind zudem keine Besonderheiten des Einzelfalls erkennbar, warum vorliegend die Kindertagesstätte am G. durch eine eigene Maßnahme der Ag. erschaffen werden müsste. Hiergegen spricht schon die Durchführung des „Interessenbekundungsverfahrens“ unter grundsätzlich gleichrangiger Beteiligung der freien Träger der Jugendhilfe. Nach den Planungen der Ag. besteht ein grundsätzlicher Bedarf für die Errichtung einer neuen Kindertagesstätte, weil im Stadtteil ### das bestehende Angebot nicht ausreichend ist und soweit ersichtlich auch nicht durch die Ausweitung bestehender Einrichtungen mit weniger wirtschaftlichem Aufwand gedeckt werden kann. Nach den im Auswahlverfahren eingereichten Finanzierungsplänen sollen die Kosten für den Bau der Kindertagesstätte durch den jeweiligen Träger aufgewendet werden, so dass ebenfalls nicht ersichtlich ist, dass die Durchführung der Maßnahme durch einen Träger der freien Jugendhilfe für den öffentlichen Träger wirtschaftlich belastender wäre als eine eigene Maßnahme. Wie oben dargestellt, ist auch nicht ersichtlich, dass das Angebot der Ast. den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer nicht genügen würde oder ein anderer Grund vorliegen würde, ausnahmsweise von einem Vorrang der öffentlichen Jugendhilfe im streitgegenständlichen Fall auszugehen. Die Pluralität des Angebots würde schließlich weder durch die Errichtung einer weiteren Einrichtung der Beigel. noch der Ast. erhöht, da beide bereits eine Vielzahl von Einrichtungen im Stadtgebiet betreiben.

bb) Die Ast. hat auch glaubhaft gemacht, dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint. Dies ist vorliegend erforderlich, weil trotz der Verletzung des bedingten Vorrangs der Maßnahmen der freien Träger der Jugendhilfe aus § 4 II SGB VIII ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Untersagung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. oder einen Dritten und mithin auch ein sicherungsfähiger Anspruch iSd § 123 VwGO nur dann besteht, wenn die Auswahl der Ast. selbst zumindest möglich erscheint (offen gelassen in OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; vgl. zu einem entsprechenden Erfordernis für den Rechtsschutz im Vergabeverfahren nach dem GWB Burgi/Dreher/Opitz/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160 Rn. 33; OLG Celle 12.10.2021 Rn. 78 mwN; zum beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch vgl. nur BVerfG NJW 2016, 309 Rn. 19 mwN).

Vorliegend hat das Angebot der Ast. 78 Punkte erhalten, dasjenige der „Küstenkinder“ und von „pedia“ jeweils 80 Punkte. Eines dieser Angebote würde gemäß den Verfahrensbedingungen nach Durchführung eines Losverfahrens nachrücken, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit der Beigel. aus den zuvor dargestellten Gründen nicht abgeschlossen werden kann. Ein sicherungsfähiger Anspruch liegt daher vorliegend nur vor, wenn die Ast. zusätzlich glaubhaft machen kann, dass ihre Bewerbung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglicherweise besser bewertet werden müsste als das Angebot der „Küstenkinder“ sowie von „pedia“, wobei der Senat mangels gegenteiliger Anhaltspunkte unterstellt, dass beide Träger anerkannte Träger der freien Jugendhilfe iSd § 75 SGB VIII sind.

Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt, denn die Ast. hat glaubhaft gemacht, dass die Vergabe von nicht mehr als 78 von 100 möglichen Punkten im streitgegenständlichen Auswahlverfahren sie dadurch in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 12 I, Art. 3 I, Art. 19 III GG verletzt und eine auf sie fallende Auswahlentscheidung bei fehlerfreier erneuter Durchführung des Verfahrens möglich erscheint, dass die Vergabe von fünf von zehn möglichen Punkten bei der Beantwortung der Frage zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Berücksichtigung der besonderen Bedarfe der Eltern und Kinder aus der nagelegengen Wohnunterkunft nicht sachlich nachvollziehbar und unter Verstoß gegen Art. 3 I GG ergangen ist.

Bemühen sich mehrere freie Träger um die Durchführung von Jugendhilfemaßnahmen, so steht ihnen auf der Grundlage der aus Art. 12 I GG abzuleitenden Wettbewerbsfreiheit ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung und chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren zu (vgl. VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Ls. 1 u. Rn. 18 mwN; OVG Hamburg, 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110). Dieser Anspruch beinhaltet zumindest einen aus Art. 3 I GG folgenden Gleichbehandlungsanspruch des Inhalts, dass die Bewertung der Bewerbungen der verschiedenen Anbieter anhand der gleichen Beurteilungsmaßstäbe in einem transparenten und fairen Verfahren vorgenommen wird (vgl. OVG Lüneburg NVwZ 2019, 656 Rn. 23 = NordÖR 2019, 86 zu einem Anspruch auf eine Auswahlentscheidung unter Wahrung der Anforderungen des Art. 3 I GG).

Dabei obliegt es dem Gericht nicht, die Vergabe der einzelnen Punkte inhaltlich zu bewerten und ein Angebot als besser oder schlechter zu beurteilen. Die am Maßstab des Art. 3 I GG ausgerichtete gerichtliche Kontrolle umfasst aber, ähnlich dem beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch, zumindest die Überprüfung, ob der Sachverhalt von der Ag. unvollständig oder unzutreffend erfasst worden ist, sie selbst aufgestellte Beurteilungsvorgaben nicht beachtet hat oder sachwidrige oder gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßende Erwägungen angestellt hat und ihre Wertung hierdurch fehlerhaft geworden ist (vgl. VG Hamburg 5.5.2021 – 2 S 417/21).

Das durch die Ag. zur Erfüllung ihrer Gesamtverantwortung aus § 79 I SGB VIII für die Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII gewählte „Interessenbekundungsverfahren“ mit den einzelnen in den Bewerbungsunterlagen abgefragten Kriterien dürfte dabei nach summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht gegen die Prinzipien des chancengleichen und transparenten Verfahrens verstoßen. Die Auswahlkriterien sind zudem an den gesetzlichen Anforderungen der §§ 22?ff. SGB VIII zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen ausgerichtet und begegnen keinen durchgreifenden Bedenken (vgl. bereits OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

Es erscheint aber zumindest möglich, dass die Bewerbung der Ast. bei der Beantwortung der Frage

„Bitte machen sie konkrete Ausführungen zur Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Hinblick auf zB Randzeitenbetreuung, einem Wechsel der Leistungsart, Bring- und Holzeiten etc. Bitte machen Sie konkrete konzeptionelle Ausführungen in welchem Umfang Fünf-Stunden-Plätze angeboten werden sollen, auch in Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften (zehn Punkte)“

unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz fehlerhaft nur mit fünf Punkten bewertet wurde, weil diese Bewertung sachlich nicht nachvollziehbar ist und die Vergleichbarkeit der angewendeten Beurteilungsmaßstäbe an unterschiedliche Bewerbungen nicht erkennen lässt. Die Ast. hat im Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften ausgeführt:

„Alle Kinder aus den nahe gelegenen Wohnunterkünften sind uns willkommen – Sternipark unterscheidet Kinder nicht nach Herkunft, Religion oder sonstigen Weltanschauungen. Ein Fokus muss darauf liegen, auch und gerade für diese Kinder einen guten Start ins deutsche Bildungssystem sicherzustellen. Da Sternipark mit 13 Kitas und 18 Sprachfachkräften am Bundesprogramm „Sprachkita“ partizipiert und hier über ein breites Erfahrungswissen verfügt, kann dieses zugunsten geflüchteter Kinder oder von Kindern mit Migrationshintergrund eingesetzt werden.“

Hierfür hat sie fünf von zehn Punkten erhalten. In der Mitteilung darüber, dass die Ast. nicht ausgewählt worden sei, hat die Ag. dargestellt, dass die Ausführungen eine „ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vermissen“ ließen. Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem VG hat die Ag. ihre Ausführungen dahingehend ergänzt, das die Ast. nicht ausführlich beschreibe, wie sie dem voraussichtlich erhöhten Bedarf an Fünf-Stunden-Plätzen aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft zu entsprechen beabsichtige.

Die Beigel. hat ausweislich der Sachakte in ihrer Bewerbung zur Beantwortung dieser Frage ausgeführt:

„Zugleich müssen wir zugunsten einer tragfähigen Personalausstattung und somit einer guten pädagogischen Arbeit den Anteil der Fünf-Stunden-Plätze in unseren Kitas auch begrenzen. Unser Betreuungsangebot ist entsprechend heterogen. Unsere Flexibilität bietet den Familien eine große Sicherheit, denn bei den Elbkindern einmal aufgenommen und eingewöhnt, verbleibt jedes Kind dauerhaft und sicher in seiner Kita, auch wenn sich eine veränderte Lebenssituation der Eltern auf ihren Kita-Gutschein auswirkt. Wir möchten, dass Eltern bei uns ein Angebot vorfinden, das ihrer Lebenssituation entspricht. Darüber hinaus möchten wir bei entsprechender Nachfrage gern ein passendes und bedarfsgerechtes Angebot für Kinder bereitstellen, die in Wohnunterkünften leben.“

Diese Ausführungen wurden mit zehn von zehn Punkten bewertet. Diese Bewertung lässt die Anwendung gleicher Bewertungsmaßstäbe nicht erkennen, da die Beigel. zu der Nachfrage aus den Wohnunterkünften lediglich auf ein „passendes und bedarfsgerechtes Angebot“ und das auch nur „bei entsprechender Nachfrage“ verweist, ohne dies im Ansatz zu konkretisieren und ohne zu berücksichtigen, dass die Nachfrage wegen der vorhandenen Wohnunterkünfte bereits feststeht. Dies ist sachlich nicht nachvollziehbar mit den Anforderungen in Einklang zu bringen, die die Ag. an das Angebot der Ast. gestellt hat, nämlich eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vorzunehmen. Es bleibt danach zwar möglich, dass das Angebot der Beigel. in diesem Punkt fehlerhaft zu viele Punkte erhalten hat, ebenso möglich und somit für die Annahme einer möglichen Besserbeurteilung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Verfahrens ausreichend ist es aber, dass an das Angebot der Ast. in diesem Punkt strengere Anforderungen auch als an dasjenige der besser platzierten Bewerber gestellt wurden.

Unbeachtlich sind hingegen die Einwendungen der Ast., soweit sie das Finanzierungskonzept der Beigel. betreffen, da eine Auswahlentscheidung, die auf die Beigel. fällt, nach den vorstehenden Ausführungen bei einer Wiederholung des Auswahlverfahrens nicht mehr möglich ist. Gleiches gilt soweit die Ast. die Beurteilung der Bewerbung hinsichtlich der Beschreibung des Sozialraumes rügt, da ihre eigene Bewerbung in diesem Punkt die maximale Punktzahl von zehn Punkten erreicht hat.

Zum Auswahlverfahren bei Grundstücksüberlassung mit Bauverpflichtung

OVG Hamburg
Beschluss vom 09.05.2023
4 Bs 157/22

GG Art. 3 Abs. 1; LHO-HH § 7 Abs. 3; SGB VIII § 4 Abs. 2, § 75; VwGO § 123
1. Die Überlassung eines Grundstücks durch den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags, der an die Bedingung geknüpft ist, den Bau und die Trägerschaft einer Kindertagesstätte zu übernehmen, kann eine Maßnahme der Jugendhilfe darstellen.
2. Ein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe kann im Einzelfall einen Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses eines Erbbaurechtsvertrags durch einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit einer Eigengesellschaft dieses Trägers geltend machen, wenn er selbst auf dem streitgegenständlichen Grundstück eine geeignete Einrichtung zu errichten und zu betreiben in der Lage ist.
3. Ist dem Abschluss eines mit der Bereitschaft zum Bau und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags ein „Auswahlverfahren“ vorgeschaltet, an dem sich mehrere anerkannte Träger der freien Jugendhilfe beteiligt haben, so besteht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein Anspruch auf Unterlassen des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit einem Dritten nur dann, wenn der Antragsteller zudem glaubhaft machen kann, dass seine Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint.
OVG Hamburg, Beschluss vom 09.05.2023 – 4 Bs 157/22
vorhergehend:
VG Hamburg, 11.10.2022 – 20 E 1200/22

Zum Sachverhalt

Die Ast. begehrte im Wege der Beschwerde vorläufigen Rechtsschutz gegen den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags zwischen der Ag. und der Beigel. oder Dritten.

Die Ast. ist eine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe und betreibt, ebenso wie die Beigel., in Hamburg unter anderem mehrere Kindertagesstätten. Die Beigel. verfügt nicht über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII, sie ist in der Form einer gGmbH organisiert und die Ag. ist ihre alleinige Gesellschafterin. Laut Gesellschaftsvertrag bestimmt der Senat der Ag. sechs von neun Mitgliedern des Aufsichtsrats. Die Ag. ist örtliche und überörtliche Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe nach § 69 I SGB VIII iVm § 1 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe vom 25.6.1997, HmbGVBl 1997, 273 (AGSGB VIII).

Die Ag. stellte in einer Bedarfsanalyse fest, dass in dem Stadtteil ### eine unzureichende Versorgung mit Kindertagesstätten-Plätzen besteht. Sie forderte daraufhin in einer als „Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO“ bezeichneten Mitteilung unter dem Aktenzeichen ÖB 008/2021/FS 34 interessierte Bewerber auf, bis zum 31.8.2021 eine Interessenbekundung zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags für das Grundstück G. einschließlich der Bereitschaft zum Bau und zur Trägerschaft einer Kindertagesstätte abzugeben.

Beabsichtigt ist, dass die Ag. zu einem jährlichen Erbbauzins iHv 7.960 EUR mit dem erfolgreichen Bewerber einen Erbbaurechtsvertrag abschließt. Das Auswahlverfahren ist in den Punkten 4 bis 8 der Mitteilung näher ausgeführt und setzt unter anderem die Vorlage eines Trägerkonzepts, eines Finanzierungsnachweises sowie das Ausfüllen eines Bewerbungsformulars voraus. Zudem wird festgelegt, dass die Ausführungen in dem Bewerbungsformular mit Punkten bewertet werden und der Erbbaurechtsvertrag mit dem Bewerber mit den meisten Punkten abgeschlossen wird, bei Punktgleichstand mehrerer Bewerber entscheidet das Los. Das Ausschreibungsverfahren sieht weiter vor, dass, sofern mit dem bestbewerteten Bewerber kein Erbbaurechtsvertrag geschlossen wird, der Nächstplatzierte im Bewerbungsverfahren nachrückt. Die Ast. bewarb sich ebenso wie die Beigel. und weitere Bewerber (insgesamt zwölf Bewerbungen erfüllten die Zugangsvoraussetzungen) um den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags.

Mit Mitteilung vom 1.3.2022 teilte die Ag. der Ast. mit, dass deren Bewerbung nicht die höchste Punktzahl erreicht habe und die Auswahlentscheidung auf einen anderen Bewerber gefallen sei. Hiergegen erhob die Ast. am 3.3.2022 Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist. Ausgewählt wurde das Angebot der Beigel., welches den Höchstwert von 83 von 100 möglichen Punkten erhielt. Das Angebot der Ast. erhielt ausweislich der Bewertungsergebnisse der „Bewertungskonferenz IBV G.“ im Februar 2022 78 Punkte, ebenso wie das Angebot des „KJSH (Verbund für Kinder- Jugend- und Soziale Hilfen“), das Angebot der „Küstenkinder“ erhielt ebenso wie das von „Pedia“ 80 Punkte. Das Angebot von „Wabe“ (Wohnen arbeiten betreuen entwickeln) erhielt 83 Punkte. Das Angebot der Ast. war demnach das gemeinsam mit dem Angebot des KJSH fünftplatzierte Angebot.

Am 14.3.2022 hat die Ast. beim VG um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Sie sei als Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 4 II SGB VIII vorrangig gegenüber der Beigel., die Teil der öffentlichen Jugendhilfe sei, auszuwählen. Zudem liege eine Verletzung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs aus den Art. 12 I, Art. 3 I GG vor, weil ihre Bewerbung inhaltlich besser sei als diejenige der Beigel. und sie daher hätte ausgewählt werden müssen.

Das VG Hamburg (Beschl. v. 11.10.2022 – 20 E 1200/22) hat den Antrag abgelehnt. Die Beschwerde der Ast. hatte Erfolg. Der Beschluss des VG Hamburg wurde geändert; der Ag. wurde im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, auf Grundlage des Interessenbekundungsverfahrens mit der Beigel. oder einem Dritten einen Erbbaurechtsvertrag betreffend das betroffene Flurstück abzuschließen und/oder dieses Flurstück der Beigel. oder einem Dritten anderweitig für die Planung, die Errichtung und/oder den Betrieb einer Kindertagesstätte zu überlassen, bis über die Bewerbung der Ast. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.

Aus den Gründen

(…)

Die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe erschüttern die tragenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses des VG (hierzu unter 1); nach der daraus folgenden, nicht mehr gem. § 146 IV VwGO beschränkten Prüfung durch das BeschwGer. ist die Entscheidung zu ändern (hierzu unter 2).

1. Die Ag. hat mit ihrer Beschwerdebegründung, auf die gem. § 146 IV 3 und 6 VwGO abzustellen ist, die Richtigkeit der entscheidungstragenden Erwägungen des VG erschüttert.

Dieses hat ausgeführt, dass sich der streitgegenständliche Anspruch vorliegend nicht aus § 4 II SGB VIII ergeben könne, weil es um die Schaffung einer neuen Einrichtung gehe, um den bestehenden Bedarf an Einrichtungen der Jugendhilfe überhaupt erst decken zu können und weil das Interessenbekundungsverfahren nur der Anbahnung einer Jugendhilfeleistung diene. Daher sei das Subsidiaritätsgebot aus § 4 II SGB VIII vorliegend nicht tangiert.

Diese tragende Erwägung hat die Ast. vorliegend mit ihren Ausführungen ernsthaft in Zweifel gezogen, weil bereits der Gesetzestext des § 4 II SGB VIII ausdrücklich darauf abstellt, dass die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Leistungen absehen soll, wenn geeignete Dienste, Einrichtungen oder Veranstaltungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können und somit ausdrücklich auch, wie vorliegend, erst künftig zu schaffende Einrichtungen in den Blick nimmt. Zudem ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt, dass das als Interessenbekundungsverfahren zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags mit der gleichzeitigen Verpflichtung zur Errichtung und der Übernahme der Trägerschaft für eine Kindertagesstätte bezeichnete Verfahren kein (bloßes) Interessenbekundungsverfahren ist, sondern bereits ein Auswahlverfahren darstellt, dessen Gewinner die ausgeschriebene Leistung, hier den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags und die Errichtung einer Kindertagesstätte mit 120 Plätzen, erhält (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

2. Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das BeschwGer. führt zu einer Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Nach dem wohlverstandenen Interesse der Ast. ist ihr Antrag gem. §§ 88122 I VwGO dahingehend auszulegen, dass sie auch die erneute Entscheidung über ihre Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt. Denn die bloße Untersagung der Überlassung des Grundstücks an die Beigel. oder einen Dritten ohne eine erneute Auswahlentscheidung der Ag., bei der die Auswahl der Ast. zumindest möglich ist, dürfte von ihr unter Berücksichtigung ihrer Ausführungen im Schriftsatz vom 10.11.2022 nicht begehrt werden und ein Rechtsschutzbedürfnis dürfte insoweit auch nicht bestehen (s. unten).

Der so verstandene Antrag hat Erfolg. Nach § 123 I 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Ast. vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 III VwGO iVm § 920 II, § 294 ZPO hat die Ast. glaubhaft zu machen, dass ihr der streitige Anspruch in der Hauptsache zusteht (sog. Anordnungsanspruch) und dessen vorläufige Sicherung nötig erscheint (sog. Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

a) Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es der Ast. unter Berücksichtigung ihrer Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dies ist vorliegend der Fall, weil durch den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. oder einem Dritten bereits ein endgültiger Zustand eintreten und der Ast. die Übernahme der Kitaträgerschaft am beabsichtigten Standort unmöglich gemacht würde (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; 17.3.2008 – 4 Bs 214/07, BeckRS 2008, 149104; vgl. auch VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Rn. 2?ff.; allg. zu einem Anordnungsgrund im Vorfeld des Abschlusses eines öffentlich-rechtlichen Vertrags mit einem Dritten OVG Berlin-Brandenburg NVwZ-RR 2011, 293 Rn. 8). Anders als in der Konstellation, die der Entscheidung des Senats im Verfahren 4 Bs 286/21 zugrunde lag, ist ein Anordnungsgrund vorliegend auch im Hinblick auf die Untersagung einer Zurverfügungstellung des Grundstücks an Dritte gegeben, da aus den nachfolgend genannten Gründen eine Vergabe des Grundstücks an die Beigel. im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes rechtlichen Bedenken begegnet und nach der Ausschreibung dann, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit dem ausgewählten Bewerber nicht abgeschlossen werden kann, der Nächstplatzierte nachrücken soll und somit konkrete Anhaltspunkte für eine Vergabe an die im Auswahlverfahren besser platzierten Bewerber als die Ast. bestehen.

b) Die Ast. hat vorliegend glaubhaft gemacht, dass ihr aus § 4 II SGB VIII ein Abwehrrecht und somit ein Anordnungsanspruch gegen eine Überlassung des Grundstücks an die Beigel. zur Errichtung einer Kindertagesstätte zukommt (hierzu unter aa) und dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint (hierzu unter bb).

aa) Ein Anordnungsanspruch folgt vorliegend nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angezeigten summarischen Prüfung aus § 4 II SGB VIII. Die Vorschrift des § 4 II SGB VIII findet vorliegend Anwendung, da sie ein tragendes Strukturprinzip der Jugendhilfe normiert, das in allen Handlungsfeldern der Jugendhilfe anzuwenden ist, unabhängig davon, ob auch die weiteren Vorschriften des SGB VIII, etwa § 74 SGB VIII, Anwendung finden oder der Vorrang des Landesrechts nach § 74a SGB VIII greift. Denn das Landesrecht vermag die Strukturprinzipien des bundesgesetzlich geregelten Jugendhilferechts nicht abzubedingen (vgl. BVerwGE 135, 150 = NVwZ-RR 2010, 148; OVG Münster 12.1.2021 – 21 A 3824/18BeckRS 2021, 190 Rn. 52; jurisPK-SGB VIII/Luthe, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 7). Der Anwendung des in § 4 II SGB VIII normierten bedingten Vorrangs der freien Träger der Jugendhilfe steht auch vorliegend, anders als durch das VG ausgeführt, nicht entgegen, dass das als „Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO“ bezeichnete Verfahren nur der Erforschung der Marktsituation dienen würde und noch keine Jugendhilfe im Sinne des SGB VIII darstelle. Vielmehr handelt es sich bei dem vorliegenden Verfahren gerade nicht um ein „bloßes“ Interessenbekundungsverfahren, sondern um das eigentliche Auswahlverfahren zum Abschluss eines untrennbar mit der Errichtung und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften erfüllt sein (hierzu unter aaa) und in der Rechtsfolge der Ast. ein Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. zukommen (hierzu unter bbb).

aaa) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften vorliegend erfüllt sein. § 4 II SGB VIII lautet:

„Soweit geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden oder rechtzeitig geschaffen werden können, soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen.“

Die Ast. ist unstreitig eine anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 75 I, II SGB VIII. Bei der zu errichtenden Kindertagesstätte handelt es sich zudem um eine Einrichtung iSd § 4 II SGB VIII. Unter dem Begriff der Einrichtungen versteht man die Erfüllung von Aufgaben unter Einsatz besonderer Sachmittel, insbesondere Gebäude, sächliche Ausstattung sowie personeller Mittel, dies umfasst unter anderem die Errichtung einer Kindertagesstätte (vgl. nur LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer, 8. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 38).

Die durch die Ast. geplante Kindertagesstätte dürfte zudem eine geeignete Einrichtung sein, die rechtzeitig geschaffen werden kann. Dass das Projekt der Ast. eine längere Realisierungsdauer hätte als die Projekte der Mitbewerber, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, so dass die Einrichtung durch die Ast. „rechtzeitig“ iSd § 4 II SGB VIII geschaffen werden kann. Geeignet nach dieser Vorschrift ist eine Einrichtung dann, wenn sie sowohl fachlichen (Mindest-)Standards als auch den Wünschen und Bedürfnissen der potenziellen Nutzer entspricht (vgl. Wiesner/Wapler/Wapler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 22; LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 4 Rn. 40; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (447 mwN). Die Ast. erfüllt als Trägerin mehrerer Kindertagesstätten in Hamburg die geltenden und über den Abschluss entsprechender Vereinbarungen nach § 15 KibeG abgesicherten fachlichen Standards. Sie hat in ihrer Bewerbung für den Standort G., in der unter anderem Ausführungen zu der Nachfrage von Plätzen durch die Bewohner der nahegelegen Wohnunterkunft und somit nach den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer sowie die Partizipation von Eltern und Kindern zu machen waren, 78 von 100 Punkten erreicht und nur fünf Punkte weniger als die ausgewählte Bewerberin. Dass die durch die Ast. geplante Einrichtung nicht geeignet wäre, die künftigen Interessen der Nutzer abzubilden, ist daher nicht ersichtlich.

bbb) Die Ast. dürfte vorliegend einen Anspruch auf Unterlassung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. gegen die Ag. herleiten können. § 4 II SGB VIII kann Trägern der freien Jugendhilfe, die über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII verfügen, bei Vorliegen seiner tatbestandlichen Voraussetzungen ein subjektives Abwehrrecht gegen ein Tätigwerden des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe vermitteln, sofern dieser gegen das dann aus der Norm folgende bedingte Subsidiaritätsgebot verstößt (vgl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 68 ff. unter Bezugnahme auf BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII sind vorliegend wie zuvor dargestellt erfüllt, zudem sind die Voraussetzungen des „bedingten“ Vorrangs des Trägers der freien Jugendhilfe – also der Ast. – gegeben.

Nach § 4 II SGB VIII „soll“ der Träger der öffentlichen Jugendhilfe unter anderem von eigenen Maßnahmen absehen, wenn geeignete Einrichtungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können. Anders als die Vorgängervorschrift des § 5 III 2 JWG, die vorsah, dass von eigenen Maßnahmen abzusehen „ist“, hat sich der Gesetzgeber bei Normierung des § 4 II SGB VIII ausdrücklich für den „bedingten“ Vorrang der freien Träger der Jugendhilfe entschieden, dies allerdings unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen Vorgaben des BVerfG im oben genannten Urteil vom 18.7.1967. Danach ist der „bedingte“ Vorrang der anerkannten Träger der freien Jugendhilfe dergestalt zu verstehen, dass das Jugendamt nur dann selbst Einrichtungen schaffen und Veranstaltungen vorsehen soll, wenn seine Anregungen und Förderungsmaßnahmen bei den Trägern der freien Jugendhilfe nicht zum Ziel führen, etwa weil der freie Träger keine angemessene Eigenleistung aufbringen kann. Ein Vorrang der Träger der freien Jugendhilfe umfasst beispielsweise auch nicht das Gebot für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, bestehende Angebote zugunsten der Träger der freien Jugendhilfe zu schließen, vielmehr soll ein sinnvoller Einsatz privater und öffentlicher wirtschaftlicher Mittel gewährleistet werden (vgl. BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795).

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so besteht ein gerichtlich durchsetzbarer Unterlassungsanspruch des anerkannten Trägers der freien Jugendhilfe gegen den Träger der örtlichen Jugendhilfe dann, wenn ein konkretes „Konkurrenzverhältnis“ besteht (vgl. grdl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 81 mwN; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (449)).

So liegt es hier. Die Überlassung des streitgegenständlichen Grundstücks zur Errichtung einer Kindertagesstätte durch die Ag. an die Beigel. ist eine „eigene“ Maßnahme iSd § 4 II SGB VIII. Die Beigel. ist zwar privatrechtlich organisiert, sie dürfte aber der Ast. als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe zuzurechnen sein (vgl. zur Abgrenzung von öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21 Rn. 84?ff.; vgl. hierzu auch OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05; 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172; BeckOGK/Janda, 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 11; jurisPK-SGB VIII/Trésoret, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 75 Rn. 37). Die Beigel. ist keine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe. Sie dürfte auch nicht zu den freien Trägern der Jugendhilfe gehören. Das SGB VIII sieht eine Definition des freien Trägers der Jugendhilfe nicht vor. Aus den Vorschriften lässt sich aber ableiten, dass grundsätzlich als Träger der freien Jugendhilfe jede Personengruppe, Initiative und Personenvereinigung sowie jede juristische Person in Betracht kommt, die auf dem Gebiet der Jugendhilfe ohne gesetzliche Verpflichtung aufgrund eigener freier Entscheidung tätig wird (vgl. LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 3 Rn. 16; BeckOK SozR/Winkler, 68. Ed. 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 1). Dies dürfte vorliegend bei der Beigel. nicht gegeben sein, da sie nicht aufgrund eigener freier Entscheidung Leistungen der Jugendhilfe erbringt, sondern sich die Ag. ihrer bedient, um ihre gesetzlichen Verpflichtungen unter anderem aus § 79 SGB VIII zu erfüllen. Denn die Beigel. ist als Eigenbetrieb der Ag. in Form einer gGmbH organisiert. Alleinige Gesellschafterin der Beigel. ist die Ag., diese hat auch das gesamte Stammkapital in Form einer Stammeinlage iHv 35 Mio. EUR übernommen. Gemäß § 7 des Gesellschaftsvertrags besteht der Aufsichtsrat aus neun Personen, von denen sechs durch den Senat der Ag. bestimmt werden und die unter anderem über die Ein- und Abberufung der Geschäftsführer bestimmen und deren Tätigkeit überwachen. Zudem unterliegen gem. § 8 des Gesellschaftsvertrags eine Vielzahl von Geschäften, unter anderem auch der Abschluss von bestimmten Miet- und Pachtverträgen, der Zustimmungspflicht des Aufsichtsrates und kann nach § 16 des Gesellschaftsvertrags die zuständige Behörde der Ag. die Recht- und Zweckmäßigkeit des „Geschäftsgebarens“ der Beigel. überprüfen. Allein dadurch, dass ein öffentlicher Träger der Jugendhilfe durch eine privatrechtlich organisierte Eigengesellschaft tätig wird, kann diese aber nicht zum freien Träger im Sinne des SGB VIII werden, sofern die wesentlichen Entscheidungen für die Einrichtung bei dem öffentlichen Träger verbleiben und sie diese über ihre Stellung als maßgebliche Gesellschafterin herbeiführen kann, wovon nach den vorherigen Ausführungen in Bezug auf die Beigel. auszugehen ist (vgl. OVG Weimar 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172 Ls. 1 u. Rn. 18; OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05 Rn. 54).

Es liegt auch ein konkretes Konkurrenzverhältnis vor, da nach den Bedingungen des Auswahlverfahrens der Abschluss des Erbbaurechtsvertrags untrennbar mit der Übernahme der Trägerschaft für die Kindertagesstätte verbunden ist. Es sind zudem keine Besonderheiten des Einzelfalls erkennbar, warum vorliegend die Kindertagesstätte am G. durch eine eigene Maßnahme der Ag. erschaffen werden müsste. Hiergegen spricht schon die Durchführung des „Interessenbekundungsverfahrens“ unter grundsätzlich gleichrangiger Beteiligung der freien Träger der Jugendhilfe. Nach den Planungen der Ag. besteht ein grundsätzlicher Bedarf für die Errichtung einer neuen Kindertagesstätte, weil im Stadtteil ### das bestehende Angebot nicht ausreichend ist und soweit ersichtlich auch nicht durch die Ausweitung bestehender Einrichtungen mit weniger wirtschaftlichem Aufwand gedeckt werden kann. Nach den im Auswahlverfahren eingereichten Finanzierungsplänen sollen die Kosten für den Bau der Kindertagesstätte durch den jeweiligen Träger aufgewendet werden, so dass ebenfalls nicht ersichtlich ist, dass die Durchführung der Maßnahme durch einen Träger der freien Jugendhilfe für den öffentlichen Träger wirtschaftlich belastender wäre als eine eigene Maßnahme. Wie oben dargestellt, ist auch nicht ersichtlich, dass das Angebot der Ast. den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer nicht genügen würde oder ein anderer Grund vorliegen würde, ausnahmsweise von einem Vorrang der öffentlichen Jugendhilfe im streitgegenständlichen Fall auszugehen. Die Pluralität des Angebots würde schließlich weder durch die Errichtung einer weiteren Einrichtung der Beigel. noch der Ast. erhöht, da beide bereits eine Vielzahl von Einrichtungen im Stadtgebiet betreiben.

bb) Die Ast. hat auch glaubhaft gemacht, dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint. Dies ist vorliegend erforderlich, weil trotz der Verletzung des bedingten Vorrangs der Maßnahmen der freien Träger der Jugendhilfe aus § 4 II SGB VIII ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Untersagung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. oder einen Dritten und mithin auch ein sicherungsfähiger Anspruch iSd § 123 VwGO nur dann besteht, wenn die Auswahl der Ast. selbst zumindest möglich erscheint (offen gelassen in OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; vgl. zu einem entsprechenden Erfordernis für den Rechtsschutz im Vergabeverfahren nach dem GWB Burgi/Dreher/Opitz/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160 Rn. 33; OLG Celle 12.10.2021 Rn. 78 mwN; zum beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch vgl. nur BVerfG NJW 2016, 309 Rn. 19 mwN).

Vorliegend hat das Angebot der Ast. 78 Punkte erhalten, dasjenige der „Küstenkinder“ und von „pedia“ jeweils 80 Punkte. Eines dieser Angebote würde gemäß den Verfahrensbedingungen nach Durchführung eines Losverfahrens nachrücken, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit der Beigel. aus den zuvor dargestellten Gründen nicht abgeschlossen werden kann. Ein sicherungsfähiger Anspruch liegt daher vorliegend nur vor, wenn die Ast. zusätzlich glaubhaft machen kann, dass ihre Bewerbung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglicherweise besser bewertet werden müsste als das Angebot der „Küstenkinder“ sowie von „pedia“, wobei der Senat mangels gegenteiliger Anhaltspunkte unterstellt, dass beide Träger anerkannte Träger der freien Jugendhilfe iSd § 75 SGB VIII sind.

Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt, denn die Ast. hat glaubhaft gemacht, dass die Vergabe von nicht mehr als 78 von 100 möglichen Punkten im streitgegenständlichen Auswahlverfahren sie dadurch in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 12 I, Art. 3 I, Art. 19 III GG verletzt und eine auf sie fallende Auswahlentscheidung bei fehlerfreier erneuter Durchführung des Verfahrens möglich erscheint, dass die Vergabe von fünf von zehn möglichen Punkten bei der Beantwortung der Frage zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Berücksichtigung der besonderen Bedarfe der Eltern und Kinder aus der nagelegengen Wohnunterkunft nicht sachlich nachvollziehbar und unter Verstoß gegen Art. 3 I GG ergangen ist.

Bemühen sich mehrere freie Träger um die Durchführung von Jugendhilfemaßnahmen, so steht ihnen auf der Grundlage der aus Art. 12 I GG abzuleitenden Wettbewerbsfreiheit ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung und chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren zu (vgl. VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Ls. 1 u. Rn. 18 mwN; OVG Hamburg, 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110). Dieser Anspruch beinhaltet zumindest einen aus Art. 3 I GG folgenden Gleichbehandlungsanspruch des Inhalts, dass die Bewertung der Bewerbungen der verschiedenen Anbieter anhand der gleichen Beurteilungsmaßstäbe in einem transparenten und fairen Verfahren vorgenommen wird (vgl. OVG Lüneburg NVwZ 2019, 656 Rn. 23 = NordÖR 2019, 86 zu einem Anspruch auf eine Auswahlentscheidung unter Wahrung der Anforderungen des Art. 3 I GG).

Dabei obliegt es dem Gericht nicht, die Vergabe der einzelnen Punkte inhaltlich zu bewerten und ein Angebot als besser oder schlechter zu beurteilen. Die am Maßstab des Art. 3 I GG ausgerichtete gerichtliche Kontrolle umfasst aber, ähnlich dem beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch, zumindest die Überprüfung, ob der Sachverhalt von der Ag. unvollständig oder unzutreffend erfasst worden ist, sie selbst aufgestellte Beurteilungsvorgaben nicht beachtet hat oder sachwidrige oder gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßende Erwägungen angestellt hat und ihre Wertung hierdurch fehlerhaft geworden ist (vgl. VG Hamburg 5.5.2021 – 2 S 417/21).

Das durch die Ag. zur Erfüllung ihrer Gesamtverantwortung aus § 79 I SGB VIII für die Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII gewählte „Interessenbekundungsverfahren“ mit den einzelnen in den Bewerbungsunterlagen abgefragten Kriterien dürfte dabei nach summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht gegen die Prinzipien des chancengleichen und transparenten Verfahrens verstoßen. Die Auswahlkriterien sind zudem an den gesetzlichen Anforderungen der §§ 22?ff. SGB VIII zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen ausgerichtet und begegnen keinen durchgreifenden Bedenken (vgl. bereits OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

Es erscheint aber zumindest möglich, dass die Bewerbung der Ast. bei der Beantwortung der Frage

„Bitte machen sie konkrete Ausführungen zur Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Hinblick auf zB Randzeitenbetreuung, einem Wechsel der Leistungsart, Bring- und Holzeiten etc. Bitte machen Sie konkrete konzeptionelle Ausführungen in welchem Umfang Fünf-Stunden-Plätze angeboten werden sollen, auch in Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften (zehn Punkte)“

unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz fehlerhaft nur mit fünf Punkten bewertet wurde, weil diese Bewertung sachlich nicht nachvollziehbar ist und die Vergleichbarkeit der angewendeten Beurteilungsmaßstäbe an unterschiedliche Bewerbungen nicht erkennen lässt. Die Ast. hat im Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften ausgeführt:

„Alle Kinder aus den nahe gelegenen Wohnunterkünften sind uns willkommen – Sternipark unterscheidet Kinder nicht nach Herkunft, Religion oder sonstigen Weltanschauungen. Ein Fokus muss darauf liegen, auch und gerade für diese Kinder einen guten Start ins deutsche Bildungssystem sicherzustellen. Da Sternipark mit 13 Kitas und 18 Sprachfachkräften am Bundesprogramm „Sprachkita“ partizipiert und hier über ein breites Erfahrungswissen verfügt, kann dieses zugunsten geflüchteter Kinder oder von Kindern mit Migrationshintergrund eingesetzt werden.“

Hierfür hat sie fünf von zehn Punkten erhalten. In der Mitteilung darüber, dass die Ast. nicht ausgewählt worden sei, hat die Ag. dargestellt, dass die Ausführungen eine „ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vermissen“ ließen. Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem VG hat die Ag. ihre Ausführungen dahingehend ergänzt, das die Ast. nicht ausführlich beschreibe, wie sie dem voraussichtlich erhöhten Bedarf an Fünf-Stunden-Plätzen aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft zu entsprechen beabsichtige.

Die Beigel. hat ausweislich der Sachakte in ihrer Bewerbung zur Beantwortung dieser Frage ausgeführt:

„Zugleich müssen wir zugunsten einer tragfähigen Personalausstattung und somit einer guten pädagogischen Arbeit den Anteil der Fünf-Stunden-Plätze in unseren Kitas auch begrenzen. Unser Betreuungsangebot ist entsprechend heterogen. Unsere Flexibilität bietet den Familien eine große Sicherheit, denn bei den Elbkindern einmal aufgenommen und eingewöhnt, verbleibt jedes Kind dauerhaft und sicher in seiner Kita, auch wenn sich eine veränderte Lebenssituation der Eltern auf ihren Kita-Gutschein auswirkt. Wir möchten, dass Eltern bei uns ein Angebot vorfinden, das ihrer Lebenssituation entspricht. Darüber hinaus möchten wir bei entsprechender Nachfrage gern ein passendes und bedarfsgerechtes Angebot für Kinder bereitstellen, die in Wohnunterkünften leben.“

Diese Ausführungen wurden mit zehn von zehn Punkten bewertet. Diese Bewertung lässt die Anwendung gleicher Bewertungsmaßstäbe nicht erkennen, da die Beigel. zu der Nachfrage aus den Wohnunterkünften lediglich auf ein „passendes und bedarfsgerechtes Angebot“ und das auch nur „bei entsprechender Nachfrage“ verweist, ohne dies im Ansatz zu konkretisieren und ohne zu berücksichtigen, dass die Nachfrage wegen der vorhandenen Wohnunterkünfte bereits feststeht. Dies ist sachlich nicht nachvollziehbar mit den Anforderungen in Einklang zu bringen, die die Ag. an das Angebot der Ast. gestellt hat, nämlich eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vorzunehmen. Es bleibt danach zwar möglich, dass das Angebot der Beigel. in diesem Punkt fehlerhaft zu viele Punkte erhalten hat, ebenso möglich und somit für die Annahme einer möglichen Besserbeurteilung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Verfahrens ausreichend ist es aber, dass an das Angebot der Ast. in diesem Punkt strengere Anforderungen auch als an dasjenige der besser platzierten Bewerber gestellt wurden.

Unbeachtlich sind hingegen die Einwendungen der Ast., soweit sie das Finanzierungskonzept der Beigel. betreffen, da eine Auswahlentscheidung, die auf die Beigel. fällt, nach den vorstehenden Ausführungen bei einer Wiederholung des Auswahlverfahrens nicht mehr möglich ist. Gleiches gilt soweit die Ast. die Beurteilung der Bewerbung hinsichtlich der Beschreibung des Sozialraumes rügt, da ihre eigene Bewerbung in diesem Punkt die maximale Punktzahl von zehn Punkten erreicht hat.

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