Ax Projects GmbH

 

vorgestellt von Thomas Ax

Der Auftragswert ist grundsätzlich anhand der geschätzten Gesamtvergütung für die vorgesehene Leistung ohne Berücksichtigung der Umsatzsteuer zu schätzen. Dabei muss die Vergabestelle eine ernsthafte Prognose über den voraussichtlichen Auftragswert anstellen oder erstellen lassen. Der Auftraggeber hat eine seriöse Prognose des voraussichtlichen Gesamtauftragswerts anhand objektiver Kriterien vorzunehmen, dabei Umsicht und Sachkunde walten zu lassen und die wesentlichen Kostenfaktoren zu berücksichtigen. Die Prognose darf nicht auf erkennbar unrichtigen Daten beruhen. Soweit die der Schätzung zu Grunde gelegten Preise oder Preisbemessungsfaktoren im Zeitpunkt der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens nicht mehr aktuell sind und sich nicht unerheblich verändert haben, ist sie anzupassen.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.04.2022 – Verg 34/21

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird die Entscheidung der 2. Vergabekammer des Bundes vom 4. Juni 2021, VK 2-43/21, teilweise aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass der von der Antragsgegnerin an die Beigeladene vergebene Auftrag „Übernahme der Unternehmerverantwortung im Bereich der Elektrotechnik – Verantwortliche Elektrofachkraft (VEFK) – im Amts- und Verantwortungsbereich des WSA-Oberrhein“ von Anfang an unwirksam ist.

3. Der Antragsgegnerin wird bei fortbestehender Vergabeabsicht aufgegeben, den Auftrag nur nach vorheriger Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union und nach Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens nach den Vorschriften des 4.Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nach Maßgabe der Auffassung des Senats zu vergeben.

4. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

5. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

6. Die Antragsgegnerin hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und die Amtskosten des Verfahrens vor der Vergabekammer sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu jeweils 3/4, die Antragstellerin hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und die Amtskosten des Verfahrens vor der Vergabekammer sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin zu jeweils 1/4 zu tragen.

7. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis 19.000,00 Euro festgesetzt.


Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung vom 18. Januar 2021 für die Zeit vom 1. April 2021 bis zum 31. März 2023 die Übernahme der Unternehmerverantwortung im Bereich Elektrotechnik – Verantwortliche Elektrofachkraft (VEFK) – im Verantwortungsbereich des Wasser- und Schifffahrtsamts Oberrhein öffentlich nach der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) über die elektronische Vergabeplattform des Bundes aus (Geschäftszeichen: …). Zuschlagskriterium waren neben dem mit 75 Prozent gewichteten Preis die Referenzen beziehungsweise die Befähigung des Bieters (Ziffer 12. der Bekanntmachung).

Der Ausschreibung ging eine in der Vergabedokumentation vom 28. Dezember 2020 festgehaltene Schätzung des Auftragswerts auf 200.000,00 Euro netto voraus.

Zu diesem Zeitpunkt war die Antragstellerin die mit der Aufgabe betraute Dienstleisterin, die diese im Rahmen von Jahresverträgen seit 2016 erbrachte. Für das Jahr 2019 hatte sie vereinbarungsgemäß eine Vergütung von […] Euro netto bei 130 Arbeitstagen zu je acht Stunden erhalten. Im Jahr 2020, in dem die organisatorische Zusammenlegung der Ämter G. und N. erfolgt ist, erwies sich das veranschlagte Arbeitspensum von 130 Tagen als nicht ausreichend. Die Antragstellerin übermittelte der Antragsgegnerin unter dem 30. September 2020 ein Angebot für den Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 31. Dezember 2022, das anstelle einer Abrechnung auf der Basis tatsächlicher Arbeitstage eine pauschale Vergütung in Höhe von […] Euro netto im Jahr vorsah. Mit dieser Vergütung sollten auch – bezogen auf die Vertragslaufzeit von 24 Monate – der über 130 Tage hinausgehende Mehraufwand im Jahr 2020 abgegolten sein. Auf das als Anlage ASt 14 vorgelegte Angebot wird Bezug genommen. Der Vertrag kam nicht zustande. Für den Mehraufwand von 21,6 Arbeitstagen im Jahr 2020 wurde der Antragstellerin am 9. November 2020 ein Nachtrag in Höhe von […] Euro netto bewilligt.

Die Antragsgegnerin begründete ihre Schätzung des Auftragswerts auf 200.000,00 Euro netto für den ausgeschrieben Zweijahresvertrag mit den jährlichen Zahlungen in Höhe von […] Euro netto auf der Grundlage des aktuellen Vertrages – ohne Berücksichtigung des Nachtrags in Höhe von […] Euro netto im Jahr 2020. Die allgemeine Kostensteigerung werde durch die zweijährige Laufzeit kompensiert, da organisatorische Wiederholungen wie Bestellungen, Auswahl und Dokumente sowie dann vorhandene Unterlagen Einsparungen für den Bieter im zweiten Jahr begründeten, weshalb der Preis – bezogen auf ein Jahr – unter dem Preis für einen Einjahresvertrag liegen müsse. Auch habe die Antragstellerin die Fortsetzung zu den bestehenden Konditionen angeboten, wobei der Preis außerdem noch verhandelbar gewesen sei.

Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben jeweils Angebote ab. Die Angebotssummen beider Bieter lagen mehr als 30 Prozent über dem Schwellenwert von 214.000,00 Euro netto. Mit Schreiben vom 16. März 2021 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Erteilung des Auftrags an die Beigeladene mit, deren Angebot mit 937,50 Wertungspunkten vor dem der Antragstellerin mit 898,05 Wertungspunkten den ersten Platz belegt habe.

Nach erfolgloser Rüge vom 23. März 2021 beantragte die Antragstellerin am 9. April 2021 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Zu dessen Begründung führte sie aus, die Auftragsvergabe an die Beigeladene stelle sich als unzulässige De-facto-Vergabe dar. Die Ausschreibung hätte wegen Überschreitung des Schwellenwerts europaweit bekannt gemacht, die Wartepflicht nach § 134 GWB hätte eingehalten werden müssen. Bei der Besprechung am 30. September 2020 sei ein Aufwand von 130 bis 150 Arbeitstagen pro Jahr erörtert worden, für die ein Tageshonorar von 1.000,00 Euro anzusetzen sei. Darauf habe sie in ihrem Angebot, dem ein aufgrund der Pauschalvergütung reduzierter Zeit- und Dokumentationsaufwand zugrunde gelegen habe, für den Fall der Ausschreibung ausdrücklich hingewiesen. Zudem seien in den ausgeschriebenen Leistungsumfang noch Schulungen und Weiterbildungen zusätzlich aufgenommen worden. Die Beigeladene sei im Übrigen wegen Nichterfüllung der Eignungsanforderungen auszuschließen. Sie erfülle weder die geforderte zehnjährige Berufserfahrung, noch verfüge sie über die geforderten aktuellen Befähigungen wie VDS anerkannter Elektrosachverständiger und BDSH Elektro-Sachverständiger. Zudem seien Zuschlagskriterien und deren Gewichtung intransparent gewesen.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass der von der Antragsgegnerin an die Beigeladene vergebene Auftrag „Übernahme der Unternehmerverantwortung im Bereich der Elektrotechnik – Verantwortliche Elektrofachkraft (VEFK) – im Amts- und Verantwortungsbereich des WSA-Oberrhein“ von Anfang an unwirksam ist,

2. der Antragsgegnerin aufzugeben, das Angebot der Beigeladenen auszuschließen und bei fortbestehender Vergabeabsicht den Zuschlag auf ihr Angebot zu erteilen,

3. hilfsweise der Antragsgegnerin bei fortbestehender Vergabeabsicht aufzugeben, den Auftrag nur nach vorheriger Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union und nach Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens nach den Vorschriften des 4.Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nach Maßgabe der Auffassung der Vergabekammer zu vergeben,

4. ihr Einsicht in die Vergabeakte zu gewähren,

5. die Hinzuziehung ihrer VerfahrensbevolImächtigten für notwendig zu erklären,

6. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten ihrer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

die Anträge als unzulässig zu verwerfen, jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen und der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, für ein Nachprüfungsverfahren nach dem 4. Teil des GWB sei kein Raum. Ihre Schätzung eines unterhalb des Schwellenwerts liegenden Auftragswerts sei ordnungsgemäß nach § 3 VgV erfolgt. Da es sich überwiegend um jährlich wiederkehrende Leistungen handele, habe sie sich auf die Kosten der bisherigen, jährlich nach der UVgO vergebenen Verträge gestützt. Die Leistungen seien zwar diesmal genauer spezifiziert, der Leistungsumfang habe sich aber nicht erhöht. Die allgemeine Preissteigerung werde durch die mit der Vergabe für zwei Jahre einhergehenden Synergieeffekte kompensiert. Der Nachtrag im Jahr 2020 beruhe auf der durch die Zusammenlegung der Ämter G. und N. verursachten Mehrarbeit und habe daher als einmalig außer Betracht zu bleiben gehabt. In ihrer Schätzung des Auftragswerts habe sie das Angebot der Antragstellerin, die Arbeiten auf Basis der jährlichen Vergütung von … Euro netto für weitere 24 Monate auszuführen, bestärkt.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 4. Juni 2021 verworfen. Der Antrag sei nicht statthaft, der Rechtsweg zu den Vergabekammern sei mangels Überschreitens des Schwellenwerts von 214.000,00 Euro nicht eröffnet. Die Auftragswertschätzung der Antragsgegnerin genüge den Vorgaben des § 3 VgV. Es sei sachgerecht gewesen, auf die Kosten des Vorauftrags abzustellen und eine Kompensation der Preissteigerung durch die Synergieeffekte anzunehmen. Dabei habe der Nachtrag im Jahr 2020 unberücksichtigt bleiben dürfen, weil es sich um einmalige Mehrarbeiten im Zuge der Zusammenlegung der Ämter G. und N. gehandelt habe, die schlichte, hinsichtlich des Grundes nicht spezifizierte Bewilligung zusätzlicher Stunden und Leistungen stehe diesem Vortrag nicht entgegen. Zudem habe sich die Antragsgegnerin auch auf das Angebot der Antragstellerin stützen können. Sie habe davon ausgehen können, dass das Angebot marktüblich sei, da auch die Antragstellerin wie jedes Unternehmen mit dem Erlös ihrer Arbeit wirtschaften müsse. Dass das Angebot auf einem deutlich reduzierten Leistungsumfang basiere, sei nicht ersichtlich. Der Leistungsumfang habe sich mit der Ausschreibung auch nicht gegenüber den früheren Aufträgen erhöht. Die Antragstellerin habe in ihrem Schriftsatz vom 26. Mai 2021 selbst eingeräumt, dass Seminare und Jahresunterweisungen bereits Teil ihres Verlängerungsangebots gewesen seien. Ein Hinausgehen der Schulungsmaßnahmen in Position 8 des Leistungsverzeichnisses über die in der Vergangenheit inkludierten Maßnahmen sei nicht ersichtlich, dies habe die Antragstellerin ebenfalls selbst in ihrer E-Mail vom 3. November 2020 eingeräumt. Im Übrigen sei die Antragstellerin aber auch wegen Fehlens einer Rüge präkludiert, der Ausschluss der Rügepflicht in § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB gelte nach der ratio legis nicht für am Unterschwellenvergabeverfahren beteiligte Unternehmen.

Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Unzutreffend sei bereits die Annahme, eine realistische Kostensteigerung von drei Prozent werde durch Synergieeffekte im zweiten Jahr kompensiert. Alle Dokumente wie Besuchsberichte, Gefährdungsbeurteilungen und Bestellungen seien einzelfallbezogen auszufertigen. Ihr Konzeptangebot vom 30. September 2020 werde nur selektiv im Vergabevermerk berücksichtigt. Aus dessen Seiten 1 bis 10 ergebe sich ein Neuaufbau und eine Straffung der Organisationsstruktur, die zu einer erheblichen Arbeitsreduktion geführt hätten, allein auf die Umsetzung dieser Maßnahmen habe sich ihr Angebot bezogen. Die Antragsgegnerin habe jedoch die von ihr als notwendig vorgeschlagenen Maßnahmen abgelehnt und sich hiermit nicht deckende Leistungen ausgeschrieben. Darauf habe sich ihr Angebot aber nicht bezogen. Sie habe auch in ihrer Mail vom 2. Oktober 2020 nicht 130 Tage im Jahr für hierfür ausreichend erachtet, sondern explizit „ohne Unterweisungen“ hinzugefügt, die von einem externen Anbieter aufgrund eines zusätzlichen Auftrags auszuführen seien. Eine dies inkludierende Leistung wie die ausgeschriebene, sei in 130 Arbeitstagen und für … Euro netto pro Jahr schlicht nicht zu erbringen, was sich im Jahr 2020 auch gezeigt habe. Die im Fehlen einer rechtskonformen Organisation im Bereich des ehemaligen Wasserschutzsamts G. erforderlichen Mehrarbeiten seien 2020 nicht abgeschlossen worden. Mehrarbeit falle auch noch 2021 und 2022 an, was der Antragsgegnerin aufgrund der Gespräche über den Nachtrag bekannt gewesen sei. Auch habe die Antragsgegnerin auf den gebotenen Sicherheitsaufschlag verzichtet. Ihrer Verpflichtung zu einer validen Kostenschätzung habe sie damit im Ansatz nicht genügt. Eine Rügepflicht bestehe bei De-facto-Vergaben nach dem klaren Wortlaut der Norm nicht. In der Sache sei die Beigeladene wegen Nichterfüllung der Eignungsanforderungen auszuschließen, zudem seien die Zuschlagskriterien intransparent gewesen.


Die Antragstellerin beantragt,

1. die Entscheidung der 2. Vergabekammer des Bundes vom 4. Juni 2021, VK 2-43/21 aufzuheben;

2. festzustellen, dass der von der Antragsgegnerin an die Beigeladene vergebene Auftrag „Übernahme der Unternehmerverantwortung im Bereich der Elektrotechnik – Verantwortliche Elektrofachkraft (VEFK) – im Amts- und Verantwortungsbereich des WSA-Oberrhein“ von Anfang an unwirksam ist;

3. der Antragsgegnerin aufzugeben, das Angebot der Beigeladenen auszuschließen und bei fortbestehender Vergabeabsicht den Zuschlag auf ihr Angebot zu erteilen;

4. hilfsweise der Antragsgegnerin bei fortbestehender Vergabeabsicht aufzugeben, den Auftrag nur nach vorheriger Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union und nach Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens nach den Vorschriften des 4.Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nach Maßgabe der Auffassung der Vergabekammer zu vergeben;

5. hilfsweise, die Vergabekammer zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des angerufenen Gerichts über Sache erneut zu entscheiden;

6. die Hinzuziehung ihrer Prozessbevollmächtigten für notwendig zu erklären;

7. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens sowie ihre zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen aufzuerlegen.


Die Antragsgegnerin beantragt,

die Anträge der Antragstellerin zurückzuweisen und ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.


Die Antragsgegnerin verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer. Ihre Schätzung basiere auf der Grundlage des bisherigen Vertrags, dessen Leistungssoll nicht erweitert worden sei. Die Spezifizierung sei lediglich aus Gründen einer besseren Angebots- und genaueren Abrechnungsgrundlage erfolgt. Vielmehr habe sich der Umfang reduziert, da etwa die Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen nur einmalig in jetzt zwei Jahren anfalle. So sei der in den Positionen 10 und 12 des Leistungsverzeichnisses erfasste Aufwand für zwei Jahre derselbe wie zuvor für ein Jahr. Der Nachtrag im Jahr 2020 sei bewusst nicht berücksichtigt worden, weil er auf dem einmaligen Aufwand der Zusammenführung der beiden Amtsstrukturen beruhe. Ihre Schätzung sei durch das Angebot der Antragstellerin bestätigt worden, dass sie nur als Fortsetzung der bisherigen Leistung zum gleichen Preis habe verstehen können.


II.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingereicht. Die erforderliche Beschwer der Antragstellerin ist nach § 171 Abs. 1 Satz 2 GWB gegeben, weil sie am Verfahren vor der Vergabekammer beteiligt war und die Vergabekammer ihren Nachprüfungsantrag verworfen hat.

2. Die Beschwerde hat auch in der Sache überwiegend Erfolg. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig und mit Ausnahme ihres Begehrens auf Zuschlagserteilung begründet. Die Antragsgegnerin hat den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet gewesen wäre.

a) Das Vergaberechtsregime einschließlich des Nachprüfungsverfahrens ist gemäß § 106 Abs. 1 GWB eröffnet, weil der zu schätzende Schwellenwert überschritten ist (Senatsbeschluss vom 30. Juli 2003 – Verg 5/03, BeckRS 2003, 17897).

Der jeweilige Schwellenwert für öffentliche Aufträge ergibt sich nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB aus Art. 4 lit. c der Vergaberichtlinie 2014/24/EU, der für Dienstleistungsaufträge, die von subzentralen öffentlichen Auftraggebern vergeben werden, im hier maßgeblichen Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2021 einen geschätzten Wert ohne Mehrwertsteuer in Höhe von 214.000,00 Euro vorsah.

aa) Der Auftragswert ist grundsätzlich anhand der geschätzten Gesamtvergütung für die vorgesehene Leistung ohne Berücksichtigung der Umsatzsteuer zu schätzen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 VgV). Dabei muss die Vergabestelle eine ernsthafte Prognose über den voraussichtlichen Auftragswert anstellen oder erstellen lassen. Diese Prognose hat zum Gegenstand, zu welchem Preis die in den Verdingungsunterlagen beschriebene Leistung voraussichtlich unter Wettbewerbsbedingungen beschafft werden kann (BGH, Urteil vom 27. November 2007, X ZR 18/07BeckRS 2008, 1230 Rn. 45). Ein pflichtgemäß geschätzter Auftragswert ist jener Wert, den ein umsichtiger und sachkundiger öffentlicher Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung des relevanten Marktsegmentes und im Einklang mit den Erfordernissen betriebswirtschaftlicher Finanzplanung bei der Anschaffung der vergabegegenständlichen Sachen bzw. Leistungen veranschlagen würde (Senatsbeschluss vom 30. Juli 2003 – Verg 5/03, BeckRS 2003, 17897; OLG Celle, Beschluss vom 19. August 2009, 13 Verg 4/09; OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. Mai 2012, 11 Verg 2/12; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. November 2008, 15 Verg 4/08; OLG Naumburg, Beschluss vom 16. Oktober 2007, 1 Verg 6/07; OLG Brandenburg, Beschluss vom 29. Januar 2013, Verg W 8/12BeckRS 2013, 3142).

Dem Auftraggeber steht bei der Ermittlung des Auftragswertes ein Beurteilungsspielraum zu, der im Nachprüfungsverfahren nur eingeschränkt überprüfbar ist (OLG München Beschluss vom 11. April 2013, Verg 3/13BeckRS 2013, 7174). Die Kostenschätzung ist als ein der eigentlichen Ausschreibung vorgeschalteter Vorgang mit Unsicherheiten und Unwägbarkeiten behaftet; sie kann nicht an den gleichen Maßstäben wie das Angebot der Teilnehmer am Ausschreibungsverfahren gemessen werden. Ihrem Gegenstand nach bildet sie eine Prognose, die dann nicht zu beanstanden ist, wenn sie unter Berücksichtigung aller verfügbarer Daten in einer der Materie angemessenen und methodisch vertretbaren Weise erarbeitet wurde. Dem Charakter der Prognose entsprechend können dabei lediglich die bei ihrer Aufstellung vorliegenden Erkenntnisse berücksichtigt werden, nicht jedoch solche Umstände, die erst im Nachhinein bei einer rückschauenden Betrachtung erkennbar und in ihrer Bedeutung ersichtlich werden. Aus der Sicht der Beteiligten sind ihre Ergebnisse hinzunehmen, wenn die Prognose aufgrund der bei ihrer Aufstellung objektiv vorliegenden und erkennbaren Daten als vertretbar erscheint (BGH, Urteil vom 8. September 1998, X ZR 99/96NJW 1998, 3640, 3642; Senatsbeschlüsse vom 29. August 2018 – Verg 14/17, und 13. März 2019 – Verg 42/18BeckRS 2019, 14762 Rn. 24). Wurde der Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt, sachliche Erwägungen zugrunde gelegt, der Beurteilungsmaßstab zutreffend angewandt und das vorgeschriebene Verfahren eingehalten, ist im Nachprüfungsverfahren von der vorgenommenen Schätzung auszugehen (OLG München Beschluss vom 11. April 2013, Verg 3/13BeckRS 2013, 7174).

Vom Auftraggeber ist allerdings zu verlangen, dass er eine seriöse Prognose des voraussichtlichen Gesamtauftragswertes anhand objektiver Kriterien vornimmt, dabei Umsicht und Sachkunde walten lässt und die wesentlichen Kostenfaktoren berücksichtigt (OLG München Beschluss vom 11. April 2013, Verg 3/13BeckRS 2013, 7174). Die Prognose darf nicht auf erkennbar unrichtigen Daten beruhen, etwa, weil sie eine vorhersehbare Kostenentwicklung unberücksichtigt lässt oder ungeprüft und pauschal auf anderen Kalkulationsgrundlagen beruhende Werte übernimmt (BGH, Urteil vom 8. September 1998, X ZR 99/96NJW 1998, 3640, 3642; Senatsbeschlüsse vom 29. August 2018 – Verg 14/17, und 13. März 2019 – Verg 42/18BeckRS 2019, 14762 Rn. 24). Soweit die der Schätzung zugrunde gelegten Preise oder Preisbemessungsfaktoren im Zeitpunkt der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens nicht mehr aktuell sind und sich nicht unerheblich verändert haben, ist sie anzupassen (BGH, Urteil vom 20. November 2012, X ZR 108/10NZBau 2013, 180 Rnrn. 19, 20; Senatsbeschluss vom 13. März 2019 – Verg 42/18BeckRS 2019, 14762 Rn. 24). Ist der nunmehr ausgeschriebene Auftrag bereits zuvor vergeben worden, ist es sachgerecht, bei der Schätzung vom bisherigen Wertaufkommen auszugehen (Senatsbeschluss vom 2. November 2016 – Verg 21/16BeckRS 2016, 119581 Rn. 13), wobei aktuelle Preisentwicklungen zu berücksichtigen sind (Senatsbeschluss vom 13. März 2019 – Verg 42/18BeckRS 2019, 14762 Rn. 24). Eine Unterschreitung des bisherigen Wertaufkommens ist möglich, wenn nachvollziehbar konkrete organisatorische oder strukturelle Veränderungen im Einzelnen dargestellt worden, die eine hinreichende, zumindest vertretbar ermittelte Reduktion des Auftragswerts erwarten lassen (Senatsbeschluss vom 2. November 2016 – Verg 21/16BeckRS 2016, 119581 Rn. 14). Abweichungen zwischen der Höhe des geschätzten Auftragswerts und des Wertes der tatsächlich eingereichten Angebote begründen allein noch keinen Vergabeverstoß, sie können jedoch eine gewisse Indizwirkung für eventuelle Fehler in der Schätzung haben (ebenso VK Baden-Württemberg Beschluss vom 31. Januar 2020, 1 VK 69/19BeckRS 2020, 28573 Rn. 19).

Die Erwägungen der Vergabestelle sind nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 VgV im Vergabevermerk zu dokumentieren, wobei es ausreichend ist, die wesentlichen Aspekte niederzulegen. Weder muss die Vergabestelle jedes Detail ihrer Überlegungen festhalten, noch muss sie mit sachverständiger Hilfe vorab eine detaillierte Kostenschätzung in Form einer Preiskalkulation für alle Einzelpositionen der Leistungsbeschreibung vornehmen. Eine solche Anforderung würde den zumutbaren Rahmen eines Vergabeverfahrens sprengen (OLG München Beschluss vom 11. April 2013, Verg 3/13BeckRS 2013, 7174). Verbleibende Dokumentationsmängel sind heilbar und können durch nachgeschobenen Vortrag der Antragsgegnerin im Verfahren geheilt werden (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2015 – Verg 28/14BeckRS 2015, 18210 Rn. 175). Es kann der Vergabestelle nicht unter dem Gesichtspunkt fehlender Dokumentation verwehrt werden, weitere Umstände oder Gesichtspunkte vorzutragen, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung außerdem nachträglich verteidigt werden soll (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011, X ZB 4/10NZBau 2011, 175 Rn. 73 – Abellio Rail).

bb) Diesen Anforderungen genügt die Schätzung der Antragsgegnerin nicht. Ihre Prognose fußt auf einer bei Erstellung des Vergabevermerks am 28. Dezember 2020 bereits nicht mehr aktuellen und daher unrichtigen Datengrundlage. Nach dem Vergabevermerk basiert die Kostenschätzung auf dem aktuellen Vertrag unter Berücksichtigung der allgemeinen Kostensteigerung. Bereits am 9. November 2020 hatte die Antragsgegnerin jedoch der Antragstellerin für einen Mehraufwand von 21,6 Arbeitstagen einen Nachtrag in Höhe von […] Euro netto bewilligt, der zu der bereits bestehenden Vergütung in Höhe von [..] Euro netto hinzutrat. Das aktuelle Wertaufkommen für 2020 belief sich folglich auf […] Euro. Schon ohne Berücksichtigung jährlicher Kostensteigerungen wäre daher eine Kostenschätzung von […] Euro und unter Berücksichtigung jährlicher Kostensteigerungen von drei Prozent eine von […] Euro für den ausgeschriebenen Zwei-Jahres-Vertrag folgerichtig gewesen.

Zwar kann auch eine hinter dem bisherigen Wertaufkommen zurückbleibende Kostenschätzung vertretbar sein. Dann bedarf es jedoch einer nachvollziehbaren Darstellung konkreter organisatorischer oder struktureller Veränderungen im Einzelnen, die eine hinreichende Reduktion des Auftragswerts erwarten lassen. Daran fehlt es jedoch. Der Vergabevermerk selbst nennt zwar einen unbezifferten Nachtrag wegen zusätzlicher Aufgaben, jedoch ohne diese zu benennen und die Nichtberücksichtigung zu begründen.

Dieser Dokumentationsmangel ist auch nicht durch nachgeschobenen Vortrag geheilt worden. Der Vortrag der Antragsgegnerin zur Nichtberücksichtigung des Nachtrags erschöpft sich in der pauschalen Behauptung, dieser decke lediglich einmaligen Mehraufwand aufgrund der Zusammenlegungen der Ämter G. und N. ab. Dies genügt den an eine Unterschreitung des bisherigen Wertaufkommens zu stellenden Anforderungen nicht, bei der die organisatorischen oder strukturellen Veränderungen im Einzelnen darzustellen sind, die die Wertreduktion erwarten lassen. Verlässt der öffentliche Auftraggeber die valide Basis einer Kostenschätzung auf Grundlage des bisherigen tatsächlichen Wertaufkommens im Zeitpunkt der Bekanntmachung – unter Berücksichtigung der allgemeinen Kostensteigerung -, erhöht sich der von ihm zu fordernde Begründungsaufwand, da für eine Verringerung des Wertaufkommens bei Folgeaufträgen in Anbetracht der allgemeinen Preisentwicklung zunächst einmal nichts spricht. Es hätte daher einer vollständigen Zuordnung der der Nachtragsbewilligung zugrunde liegenden 21,6 Arbeitstage zu konkreten Maßnahmen im Zuge der Zusammenlegung bedurft, die auch die Beendigung dieser Maßnahmen vor dem 1. April 2021 erkennen lässt.

Auf die E-Mail der Antragstellerin vom 2. Oktober 2020 kann sich die Antragsgegnerin bei ihrer pauschalen Behauptung eines einmaligen Mehraufwands nicht stützen. Abgesehen davon, dass es Sache des öffentlichen Auftraggebers ist, die Gründe für eine Schätzung unterhalb des bisherigen Auftragswertes im Einzelnen darzulegen, hat die Antragstellerin ihre Einschätzung eines künftigen jährlichen Arbeitsaufwands von 130 Arbeitstagen ausdrücklich mit dem Zusatz „ohne Unterweisungen“ versehen, diese sollten gesondert beauftragt werden.

Soweit die Antragsgegnerin eine Kompensation der normalen Kostensteigerungen durch Synergieeffekte im zweiten Jahr angenommen hat, genügt auch dies den Anforderungen an eine seriöse Kostenschätzung nicht. Auch hier gilt, dass sich der vom öffentlichen Auftraggeber zu fordernde Begründungsaufwand erhöht, wenn er die valide Basis einer Kostenschätzung auf Grundlage des bisherigen tatsächlichen Wertaufkommens im Zeitpunkt der Bekanntmachung unter Berücksichtigung der allgemeinen Kostensteigerung verlässt. Zwar sind derartige Synergieeffekte möglich, zwingend sind sie jedoch nicht. Nach dem Vortrag der Antragstellerin sollen alle Dokumente wie Besuchsberichte, Gefährdungsbeurteilungen und Bestellungen einzelfallbezogen auszufertigen sein. Dem ist die Antragsgegnerin nur pauschal entgegengetreten, ohne etwa konkrete Gefährdungsbeurteilungen zu benennen, die bei einer zweijährigen Auftragsvergabe in der Vergangenheit weggefallen wären. Zudem bestand vorliegend die Besonderheit, dass die Antragstellerin bereits seit 2016 Auftragnehmerin war und folglich bei ihren Angeboten in 2019 und 2020 die ihr intern entstehenden Synergieeffekte aufgrund der Vorjahrestätigkeit bereits einpreisen konnte und im Interesse einer Bezuschlagung auch eingepreist haben wird. Vor diesem Hintergrund hätte es der Darlegung gleichwohl konkret zu erwartender weiterer Synergien und ihrer Bewertung bedurft.

Mit dem Angebot der Antragstellerin vom 30. September 2020 konnte die Antragsgegnerin eine Auftragswertschätzung auf 200.000,00 Euro nicht begründen. So genügt das Abstellen auf eine nicht offengelegte Kalkulation eines insoweit auch nicht vom öffentlichen Auftraggeber beauftragten Dritten schon nicht dem Erfordernis einer eigenen Kostenschätzung des öffentlichen Auftraggebers, die denknotwendig Voraussetzung für die Ausübung seines Beurteilungsspielraums ist. Ein solches Vorgehen liefe in formaler Hinsicht auf eine vom Gesetz nicht vorgesehene Übertragung des Beurteilungsspielraums auf den Dritten hinaus.

Im Übrigen war das Angebot der Antragstellerin weder mit der seinerzeit nach Ausschreibung vergebenen noch mit der vorliegend ausgeschriebenen Leistung identisch. So sah das Angebot beispielsweise eine pauschale Vergütung anstelle der ausgeschriebenen Vergütung nach dokumentiertem Arbeitsaufwand vor, was für die Antragstellerin wegen des damit einhergehenden Wegfalls von Dokumentations- und Nachweisaufwand Vorteile gehabt hätte. Auch inhaltlich hat die Antragsgegnerin eine vollständige Identität der angebotenen mit der ausgeschriebenen Leistung nicht dargetan.

Die prognostischen Fehler der Antragsgegnerin spiegeln sich auch in den beiden abgegebenen Angeboten, ohne dass es nach dem vorstehend Ausgeführten noch deren Indizwirkung für fehlerhafte Schätzung ankäme. Selbst das Angebot der Beigeladenen liegt um mehr als 30 Prozent über dem Schwellenwert.

cc) Fehlt es an einer vertretbaren Prognose des Auftragswerts ist der Vergabesenat mangels vorliegender Einschätzung des Auftraggebers zwecks Bestimmung seiner Zuständigkeit zur eigenständigen Wertermittlung verpflichtet und berechtigt (OLG Brandenburg, Beschluss vom 29. Januar 2013, Verg W 8/12BeckRS 2013, 3142). Danach ist der Auftragswert nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 VgV auf der Grundlage des tatsächlichen Wertes des Auftrags aus dem vergangenen Vergabezeitraum zu schätzen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 29. Januar 2013, Verg W 8/12BeckRS 2013, 3142), wobei auch hier – wie ausgeführt – die gewöhnlichen Kostensteigerungen zu berücksichtigen sind. Auch den tatsächlich eingereichten Angeboten kann eine gewisse Indizwirkung zukommen (VK Baden-Württemberg Beschluss vom 31. Januar 2020, 1 VK 69/19BeckRS 2020, 28573 Rn. 19).

Wie bereits ausgeführt, belief sich Wertaufkommen für 2020 auf […] Euro, so dass unter Berücksichtigung jährlicher Kostensteigerungen von drei Prozent eine Kostenschätzung auf […] Euro sachgerecht erscheint; ein Wert, der im Übrigen immer noch deutlich unter den beiden Angebotssummen liegt.

b) Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist auch im Übrigen statthaft und zulässig. Der bereits erfolgte Vertragsschluss mit der Beigeladenen steht dem Nachprüfungsantrag nicht entgegen, einer vorherigen Rüge bedurfte es nicht.

aa) Zwar ist ein Nachprüfungsantrag gemäß § 160 Abs. 1 GWB grundsätzlich nur solange der statthafte Rechtsbehelf, wie ein Vergabeverfahren noch nicht durch einen wirksamen Zuschlag abgeschlossen ist. Das ergibt sich aus der Gesetzessystematik. Der vergaberechtliche Primärrechtsschutz hat nach § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB das Ziel, eine Rechtsverletzung im noch nicht abgeschlossenen Vergabeverfahren zu beseitigen. Ist es – infolge eines wirksamen Zuschlags – zu einer definitiven Rechtsverletzung im Vergabeverfahren gekommen, so sind gemäß § 13 GVG für die sich daraus ergebenden Rechtsstreitigkeiten unmittelbar die ordentlichen Gerichte zuständig (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000, X ZB 14/00NJW 2001, 1492 f.). Ist der Zuschlag einmal wirksam erteilt, ohne dass zuvor ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eingeleitet worden ist, kann eine Zuständigkeit der Vergabekammern nicht mehr begründet werden. Das zeigt auch § 168 Abs. 2 GWB, insbesondere sein Satz 2, wonach aus Gründen der Prozessökonomie nur dann eine Zuständigkeit der Vergabekammer (fort) besteht, eine Rechtsverletzung trotz Zuschlags festzustellen, wenn das Nachprüfungsverfahren zum Zeitpunkt des Zuschlags bereits eingeleitet war (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000, X ZB 14/00NJW 2001, 1492 f; Senatsbeschluss vom 19. April 2017 – Verg 38/16BeckRS 2017, 116312 Rn. 18).

Allerdings gilt eine Ausnahme von diesem Grundsatz in den beiden in § 135 Abs. 1 GWB genannten Fällen. In diesen führt der Zuschlag zunächst nur zu einem schwebend wirksamen Vertrag. Binnen der in § 135 Abs. 2 GWB genannten Fristen kann deshalb noch vor der Vergabekammer ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden mit dem Ziel, dass einer der beiden im Gesetz genannten Vergaberechtsverstöße festgestellt wird. In dem Fall, dass ein Verstoß festgestellt wird, ist der mit dem Zuschlag zunächst schwebend wirksame Vertrag von Anfang an unwirksam. § 135 GWB regelt damit den Spezialfall der Statthaftigkeit eines Nachprüfungsantrags trotz eines bereits erteilten Zuschlags (Senatsbeschluss vom 19. April 2017 – Verg 38/16BeckRS 2017, 116312 Rn. 19).

Für die Frage der Statthaftigkeit des auf § 160 Abs. 1 i.V.m. § 135 GWB gestützten Nachprüfungsantrags kommt es nicht darauf an, ob einer der in § 135 Abs. 1 GWB aufgeführten Vergaberechtsverstöße im Ergebnis zu bejahen ist. Die Frage eines Verstoßes gegen § 135 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 GWB betrifft sowohl die Statthaftigkeit als auch die Begründetheit des Nachprüfungsantrags (sog. doppelrelevante Tatsache). In solchen Fällen ist eine rechtliche Argumentation, nach der ein Verstoß gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 GWB zu bejahen ist, nicht schon im Rahmen der Statthaftigkeit des Rechtsbehelfs, sondern erst im Rahmen der Begründetheit zu überprüfen (Senatsbeschluss vom 19. April 2017 – Verg 38/16BeckRS 2017, 116312 Rn. 19; OLG Celle, Beschluss vom 24. Oktober 2019, 13 Verg 9/19NZBau 2020, 535 Rn. 17). Dementsprechend ist vom Vortrag der Antragstellerin auszugehen, die sich auf einen Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GWB beruft und dafür geltend macht, dass die Antragsgegnerin den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union und auch ohne Information nach § 134 GWB vergeben habe, obwohl der maßgebliche Schwellenwert überschritten sei.

bb) Der Nachprüfungsantrag ist fristgerecht eingereicht. Die in § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB formulierte Frist für die Geltendmachung der Unwirksamkeit ist gewahrt. Nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB muss die Unwirksamkeit innerhalb von 30 Kalendertagen ab Information des betroffenen Bieters durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrages geltend gemacht werden. Vorliegend hat die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Schreiben vom 16. März 2021 über die Vergabe des Auftrags an die Beigeladene informiert, die Antragstellerin hat den Nachprüfungsantrag am 9. April 2021 gestellt.

cc) Die Antragstellerin ist und auch nicht nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB präkludiert, denn gemäß § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB gilt die Rügeobliegenheit nach Satz 1 nicht bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit eines ohne die gebotene Ausschreibung vergebenen Vertrages nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB.

Soweit der Senat in einer Entscheidung zur Vorgängervorschrift § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB a. F. die Auffassung vertreten hat, für das am Vergabeverfahren beteiligte Unternehmen gelte § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB a. F. i.V.m. § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB a.F. nicht, weil der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, dass demjenigen, der infolge Nichtveröffentlichung und Nichtbeteiligung an dem Vergabeverfahren von dem Verfahren keine Kenntnis erlangt hat, eine Rüge nicht zugemutet werden könne, was auf ein Unternehmen, das am Vergabeverfahren beteiligt wurde, nicht zutreffe (Senatsbeschluss vom 11. Januar 2012 – Verg 67/11BeckRS 2012, 6486), hält er daran nicht fest.

Der Gesetzgeber hat in Kenntnis dieser zu § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB ergangenen Rechtsprechung eine diesbezügliche Einschränkung im Rahmen von § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB bei gleichzeitiger Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht vorgenommen. Im Gegensatz zum Wortlaut des § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB a.F. knüpft die Rechtsfolge der Unwirksamkeit des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht mehr an die fehlende Beteiligung anderer Unternehmen an der Auftragsvergabe an, sondern ausschließlich an der unterlassenen Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union. Daher muss auch ein Unternehmen, das die Möglichkeit hatte, sich an der Ausschreibung zu beteiligen, auf Grund der klaren gesetzlichen Regelung des § 160 Abs. 3 S. 2 GWB nicht vorab die unterlassene europaweite Bekanntmachung bei einer de-facto Vergabe rügen.

Der Zugang zu den gesetzlich vorgesehenen Rechtschutzmöglichkeiten darf nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht unangemessen und nicht ohne gesetzliche Grundlage erschwert werden (vgl. Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 19 Rn. 49 f., 75 sowie Art. 20 Rn. 72). Insbesondere darf ein dem gerichtlichen Verfahren vorgelagertes Verwaltungsverfahren nicht so angelegt sein, dass der gerichtliche Rechtsschutz unzumutbar erschwert wird; verfahrensrechtliche Vorschriften sind grundsätzlich rechtsschutzfreundlich auszulegen (BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1982, 2 BvR 1187/80NJW 1982, 2173, 2175/76). Eine analoge Anwendung von gesetzlichen Regelungen, die der Beschränkung des Zugangs zu grundsätzlich eröffnetem Rechtsschutz dienen, verbietet sich hiernach, zumal es angesichts der unveränderten Übernahme der Regelung in § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB an einer unbeabsichtigten Regelungslücke und damit an den allgemeinen Voraussetzungen für eine zulässige Analogie fehlt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. November 2013, 15 Verg 5/13NZBau 2014, 378, 379).

Vor diesem Hintergrund ist auch für einen auf Treu und Glauben, § 242 BGB, gestützten Einwand unzulässiger Rechtsausübung in Gestalt selbstwidersprüchlichen Verhaltens kein Raum. Eine vom Gesetzgeber bewusst unterlassene Differenzierung kann nicht über eine Anwendung von Treu und Glauben korrigiert werden, dem steht auch der Grundsatz von der Rechtswegklarheit entgegen. Für die Annahme einer Unzulässigkeit der Rechtsausübung bedürfte es weiterer, über den Regelfall der Beteiligung am Unterschwellenvergabeverfahren hinausgehender Umstände, die vorliegend nicht ersichtlich sind.

c) Auch das Schadenserfordernis ist erfüllt. Gemäß § 160 Abs. 2 GWB sind nur solche Unternehmen antragsbefugt, denen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Da das Nachprüfungsverfahren kein abstraktes Instrument zur Fehlerkontrolle ist, sondern dem Individualrechtsschutz dient, kann ein Nachprüfungsantrag eines am Auftrag interessierten Marktteilnehmers nur dann erfolgreich sein, wenn Vergabefehler eine Beeinträchtigung seiner Bieterechte nach sich ziehen (OLG Thüringen, Beschluss vom 12. April 2012, 2 Verg 2/12, Rn. 116; OLG München, Beschluss vom 11. April 2013, Verg 3/13BeckRS 2013, 7174).

Ein Schaden droht, wenn der Antragsteller im Fall eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte (BGH, Beschluss vom 10. November 2009, X ZB 8/09NZBau 2010, 124 Rn. 32), wenn also die Aussichten dieses Bieters auf die Erteilung des Auftrags zumindest verschlechtert worden sein können (BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2004, 2 BvR 2248/03NZBau 2004, 564, 565; Senatsbeschluss vom 10. Februar 2021, Verg 23/20, BeckRS 2021, 21311 Rn. 26). Das ist regelmäßig der Fall, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren nicht ohne Weiteres durch Zuschlag beendet werden darf, und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt (BGH a. a. O.). An die Darlegung des entstandenen oder drohenden Schadens sind deshalb keine sehr hohen Anforderungen zu stellen (Senatsbeschlüsse vom 10. Februar 2021, Verg 23/20, BeckRS 2021, 21311 Rn. 26, und vom 30. September 2020 – Verg 15/20).

Erst wenn eine Verschlechterung der Zuschlagschancen durch den geltend gemachten Vergaberechtsverstoß offensichtlich ausgeschlossen ist, ist der Nachprüfungsantrag mangels Antragsbefugnis unzulässig (Senatsbeschlüsse vom 10. Februar 2021, Verg 23/20, BeckRS 2021, 21311 Rn. 26, und vom 30. September 2020 – Verg 15/20). So kann der Umstand, dass die Absicht der Vergabe des Auftrags nicht europaweit, sondern nur national ausgeschrieben wurde, dann unbeachtlich sein, wenn der Antragsteller sich am Verfahren beteiligten konnte (OLG München, Beschluss vom 11. April 2013, Verg 3/13BeckRS 2013, 7174) und sein Angebot gegenüber dem der Beigeladenen schon aus anderen Gründen chancenlos war, weil seine Auftragschancen durch den gerügten Vergabeverstoß dann nicht geschmälert wurden (Senatsbeschluss vom 1. August 2012 – Verg 10/12BeckRS 2012, 18205).

Eine solche Ausnahme ist vorliegend nicht gegeben. Zwar konnte und hat sich die Antragstellerin am Vergabeverfahren beteiligt, auch war das Angebot der Beigeladenen das wirtschaftlichere. Die Antragstellerin macht jedoch geltend, dass sie bei ordnungsgemäßen Vergabeverfahren innerhalb der vorliegend nicht gewahrten Wartefrist nach § 134 Abs. 2 GWB die beabsichtigte Bezuschlagung der Beigeladenen erfolgreich gerügte hätte, weil diese wegen Nichterfüllung der Eignungsanforderungen auszuschließen gewesen sei, da sie ausweislich ihres eigenen Internetauftritts weder über die geforderte zehnjährige Berufserfahrung, noch über die geforderten aktuellen Befähigungen wie VDS anerkannter Elektrosachverständiger und BDSH Elektro-Sachverständiger verfüge. Zudem seien Zuschlagskriterien und deren Gewichtung intransparent gewesen.

d) Der Nachprüfungsantrag ist auch überwiegend begründet. Der Vertrag der Antragsgegnerin mit Beigeladenen ist nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam. Der Auftrag ist ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben worden, obwohl die allein in Rede stehende gesetzliche Voraussetzung für ein Absehen von einer EU-weiten Ausschreibung, eine Unterschreitung des Schwellenwerts, nicht gegeben war. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen unter 2.a) verwiesen werden.

Allerdings kommt eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Ausschluss des Angebots der Beigeladenen und Bezuschlagung des Angebots der Antragstellerin nicht in Betracht. Da ein Kontrahierungszwang der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers zuwiderlaufen würde, kann er grundsätzlich nicht zur Erteilung des Zuschlags gezwungen werden (BGH, Beschluss vom 20. März 2014, X ZB 18/13; Senatsbeschluss vom 17. April 2019 – Verg 36/18). Nur in Ausnahmefällen, in denen unter Beachtung aller Beurteilungsspielräume die Erteilung des Zuschlags an den Antragsteller die einzige rechtmäßige Entscheidung ist, kann die Anweisung an die Vergabestelle in Betracht kommen, dem Antragsteller den Zuschlag zu erteilen (Senatsbeschluss vom 17. April 2019 – Verg 36/18). Letzteres scheitert vorliegend schon deswegen, weil es an einer vergaberechtskonformen Ausschreibung fehlt.

Die Antragsgegnerin ist daher auch bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur gemäß dem Hilfsantrag der Antragstellerin zur ordnungsgemäßen Neuausschreibung verpflichtet.


III.

Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens auf § 175 Abs. 2 i.V.m. § 71 S. 1 GWB. Die Antragsgegnerin hat aus Gründen der Billigkeit die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu 3/4 zu tragen, weil die Antragstellerin ihr Prozessziel überwiegend erreicht hat (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2015 – Verg 28/14NZBau 2016, 235 Rn. 178). Allerdings hat diese die von ihr begehrte Bezuschlagung ihres Angebots nicht erlangt, weshalb es billig ist, ihr 1/4 der Kosten aufzuerlegen. Die Antragsgegnerin hat als überwiegend Unterlegene gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB, Abs. 4 S. 1 GWB ebenfalls die im Verfahren vor der Vergabekammer entstandenen Kosten und notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu 3/4 tragen, während das verbleibende 1/4 sowie 1/4 notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin auch insoweit der Antragstellerin zur Last fällt. Es entspricht jeweils der Billigkeit, dass die Beigeladene, die sich weder am Verfahren vor der Vergabekammer noch am Beschwerdeverfahren aktiv beteiligt hat, ihre Kosten selbst trägt.

Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer war im Sinne von § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 VwVfG notwendig, weil die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht hinreichend schwierig war.

Die Entscheidung über die Festsetzung des Werts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Demnach beträgt der Gegenstandswert fünf Prozent des Bruttoauftragswerts des Angebots der Antragstellerin (Senatsbeschluss vom 10. Februar 2021 – Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn. 56).

 


VergMan ® Entscheidungen im Volltext – VK Thüringen: Stoffpreisklausel ist derzeit ein Muss

 

vorgestellt von Thomas Ax

Dem Bieter darf in den Vergabe- und Vertragsunterlagen kein ungewöhnliches Wagnis für Umstände und Ereignisse aufgebürdet werden, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung insbesondere auf die Preise er nicht im Voraus schätzen kann. Die Kriegsereignisse in der Ukraine und seine weltweiten Sanktionsfolgen sowie die dadurch ausgelöste und noch anhaltende dynamische Entwicklung dieser Preise bürden den Bietern ein ungewöhnliches Wagnis auf. Sind die Bieter derzeit einem ungewöhnlichen Wagnis ausgesetzt, kann dies durch die Aufnahme einer Stoffpreisklausel (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen beseitigt werden.

VK Thüringen, Beschluss vom 03.06.2022 – 4002/779-2022-E-008-J

In dem Nachprüfungsverfahren, §§ 155 ff. GWB,

aufgrund des Antrages vom 13.05.2022 der ### ./. Freistaat Thüringen, vertreten durch das Thüringer Landesamt für Bau und Verkehr,

betreffend das Vergabeverfahren „Neubau Universitätscampus ### Vergabeverfahren Elektrotechnische Anlagen, KKE 0440.07 Mittelspannungsanlage (inkl. Trafo)“

(…)

hat die Vergabekammer Freistaat Thüringen, in der Besetzung mit Herrn Regierungsdirektor Scheid als Vorsitzendem, Herrn Oberregierungsrat Gers als hauptamtlichem Beisitzer und Herrn Rusche als ehrenamtlichem Beisitzer, ohne mündliche Verhandlung am 03.06.2022

beschlossen:

1. Es wird festgestellt, dass das vom Antragsgegner durchgeführte Vergabeverfahren rechtswidrig ist und die Antragstellerin hierdurch in ihrem Anspruch auf Einhaltung der Vergabevorschriften nach § 97 Absatz 6 GWB verletzt worden ist.

2. Der Antragsgegner wird bei fortbestehender Beschaffungsabsicht verpflichtet, das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen und es von diesem Zeitpunkt an unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.

3. Der Antragsgegner hat die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu tragen.

4. Die Beigeladene hat die ihr im Nachprüfungsverfahren ggf. entstandenen Aufwendungen selbst zu tragen.

5. Gebühren und Auslagen werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der AG hat im Supplement zum Amtsblatt der EU vom 18.02.2022 (ABl./S. 35, 86355-2022DE) den Bauauftrag zur Herstellung der in Nr. II.2.4) näher beschriebenen elektrotechnischen Anlagen -KKE 0440.07 Mittelspannungsanlage (inkl. Trafo)im Rahmen eines offenen Verfahrens europaweit ausgeschrieben. Die Herstellung dieser Anlagen erfolgt im Rahmen des Neubaus des Universitätscampus der ### und soll in der Zeit vom 23.06.2022 bis 08.03.2023 erfolgen. Die Bieter hatten ihre Angebote bis zum 31.03.2022 einzureichen.

Der Auftraggeber (AG) hat die Bieter zusätzlich mittels des Formblatts 211 zur Abgabe eines Angebots bis zum 31.03.2022 aufgefordert. Die Aufforderung der Bieter zur Abgabe eines Angebots hat nicht vorgesehen, dass das Formblatt 225 VHB (Stoffpreisgleitklausel) Vertragsbestandteil werden soll.

Die Antragstellerin (AST) hat am 30.03.2022 fristgereicht ein Angebot beim AG eingereicht.

Ausweislich der Vergabeakte des AG haben neben der AST drei weitere Bieter fristgerecht Angebote beim AG eingereicht, unter anderem auch die BEI. Das Angebot der BEI war das preislich günstigste Angebot, das Angebot der AST belegte den Rangplatz 2.

Die AST hat am 05.04.2022 den AG um die Ergänzung der Vergabeunterlagen um das Formblatt 225 VHB (Stoffpreisgleitklausel) gebeten und zur Begründung dafür die aktuelle Preis-entwicklung angeführt. Der AG hat diesem Anliegen der AST am 06.04.2022 sowie in der Folgezeit nicht entsprochen.

Nach erfolgter Angebotswertung hat der AG am 05.05.2022 die AST gemäß § 134 GWB darüber informiert, ihr Angebot nicht berücksichtigen zu wollen, und er beabsichtige, den Zuschlag am 16.05.2022 auf das Angebot der BEI erteilen zu wollen. Der AG hat zur Begründung mitgeteilt, dass die AST nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe.

Die AST ist am 10.05.2022 in dem parallelen Vergabeverfahren 0156/22-B-EO-51 unter anderem zur Frage der erforderlichen Aufnahme von Stoffpreisgleitklauseln (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen anwaltlich beraten worden. Sie hat daraufhin am 11.05.2022 im vorliegenden Vergabeverfahren die bislang nicht erfolgte Aufnahme von entsprechenden Stoffpreisgleitklauseln (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen gerügt. Sie hat zur Begründung ihrer Rüge ausgeführt, dass der AG trotz der Nachfrage der AST vom 05.04.2022 bis zum heutigen Tage die insofern bedeutsamen Rundschreiben des BMWSB vom 25.03.2022 sowie des TMWWDG vom 26.04.2022 nicht umgesetzt habe. Der AG müsse den entsprechenden Inhalt dieser Schreiben bei allen Bundesund Landeshochbauten umsetzen. Die AST hat die derzeitige Verfahrensweise des AG gerügt und die Aufhebung und Zurückversetzung des Vergabeverfahrens verlangt. Das Rundschreiben des Bundes erstrecke sich auch auf Vergabeverfahren, bei denen die Angebotseröffnung bereits erfolgt sei. Den Bietern müsse die Chance auf eine faire und transparente Kalkulation hinsichtlich der aktuellen Rahmenbedingungen gegeben werden. Die AST sehe sich im laufenden Verfahren in ihren Rechten verletzt.

Der AG hat am 13.05.2022 die Rüge der AST zurückgewiesen. Er hat zur Begründung seiner Rügezurückweisung ausgeführt, dass er am 06.04.2022 die Anfrage der AST vom 05.04.2022 beantwortet habe, und die AST um Rückinformation gebeten habe, wie ihre Nachricht zu verstehen sei, da sie diese gleichlautend in mehreren Verfahren gestellt habe. Die AST habe hierauf nicht geantwortet, so dass der AG davon ausgegangen sei, dass sich die Anfrage der AST zum vorliegenden Verfahren erledigt habe.

Die AST hat daraufhin noch am selben Tag einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer gestellt.

Sie hat im Einzelnen beantragt,

1. ein Vergabenachprüfungsverfahren gemäß den §§ 160 ff. GWB gegen den AG einzuleiten,

2. der AST gemäß § 165 Absatz 1 GWB die Einsichtnahme in die Vergabeakte des AG zu gestatten,

3. dem AG aufzugeben, das Vergabeverfahren zum Zeitpunkt vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen,

4. hilfsweise andere geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Rechte der AST zu wahren und

5. dem AG die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der AST aufzuerlegen.


Die AST hat zur Begründung ihres Nachprüfungsantrags ihren Rügevortrag vom 11.05.2022 wiederholt und vertieft.

Die Vergabekammer hat dem AG am 13.05.2022 den Nachprüfungsantrag der AST übersendet und diesen um Vorlage der Vergabeakte bis zum 18.05.2022 sowie um Stellungnahme zum Nachprüfungsantrag bis zum 20.05.2022 gebeten.

Die AST hat auf Anforderung der Vergabekammer vom 13.05.2022 einen Kostenvorschuss für das Nachprüfungsverfahren in Höhe der Mindestgebühr von 2.500,00 Euro entrichtet.

Der AG hat der Vergabekammer am 17.05.2022 die Vergabeakte zur Verfügung gestellt. Die Vergabekammer hat die Beigeladene (BEI) am 18.05.2022 gemäß § 162 zum Verfahren beigeladen.

Die Verfahrensbeteiligten haben auf Vorschlag der Vergabekammer vom 19.05.2022 am 20.05.2022, 23.05.2022 und 24.05.2022 gemäß § 166 Absatz 1 Satz 3, 1. Alternative GWB ihre Zustimmung zu einer Entscheidung der Vergabekammer nach Lage der Akten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung erteilt.

Der AG hat am 20.05.2022 Stellung zum Nachprüfungsantrag der AST genommen.

Er hat dabei im Einzelnen beantragt,

1. den Nachprüfungsantrag der AST als unbegründet zu verwerfen,

2. der AST Akteneinsicht nur in eingeschränktem Umfang zu gewähren und

3. der AST die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des AG aufzuerlegen.

Der AG hat zur Begründung der von ihm beantragten Zurückweisung des Nachprüfungsantrags ausgeführt, dass die AST ihrer Rügeobliegenheit nach § 160 Absatz 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht rechtzeitig nachgekommen sei, da sie bereits am 05.04.2022 Kenntnis vom Erlass des Bundes vom 25.03.2022 und vom Formblatt 225 (Stoffpreisgleitklausel) gehabt habe und daher die entsprechende Rüge der AST vom 11.05.2022 nicht innerhalb der zehntägigen Rügefrist erhoben worden sei.

Die Vergabekammer hat der AST am 23.05.2022 Einsicht in die Vergabeakte des AG gewährt, soweit keine geheimhaltungsbedürftigen Aktenbestandteile betroffen waren, indem sie ihr die zur Akteneinsicht eröffneten Aktenbestandteile in Kopie übersendet hat.

Die AST hat am 25.05.2022 ihren Rügevortrag vom 11.05.2022 und 13.05.2022 wiederholt und vertieft.

Die Vergabekammer nimmt ergänzend Bezug auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Vergabeakte des AG sowie auf die Verfahrensakte der Vergabekammer.

II.

1. Zulässigkeit

Der Nachprüfungsantrag des AST ist zulässig.

a) Die Vergabekammer ist für das Nachprüfungsverfahren gemäß den §§ 155, 156 Absatz 1, 2. HS, 158 Absatz 2 und 159 Absatz 2 Satz 1 GWB in Verbindung mit § 2 Absatz 1 Satz 1 ThürVkVO sachlich und örtlich zuständig.

Der AG ist öffentlicher Auftraggeber nach den §§ 9899 Nr. 1 GWB.

Die ausgeschriebene Herstellung von elektrotechnischen Anlagen -KKE 0440.07 Mittelspannungsanlage (inkl. Trafo) hat einen öffentlichen Bauauftrag im Sinne von § 103 Absätze 1 und 3 GWB und Artikel 2 Absatz 1 Nrn. 5 und 6 der Richtlinie 2014/24/EU zum Gegenstand.

Der für diesen Auftrag nach § 106 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Nr. 1 GWB in Verbindung mit Artikel 4 lit. a) der Richtlinie 2014/24/EU geltende Schwellenwert in Höhe von 5.382,000 Euro ohne Mehrwertsteuer ist mit Blick auf die vom AG am 25.01.2022 gemäß § 3 Absatz 6 VgV vorgenommene Schätzung des voraussichtlichen Gesamtauftragswertes des Bauvorhabens deutlich überschritten.

b) Die AST hat nach der am 13.05.2022 erfolgten Rügezurückweisung des AG bereits am selben Tag bei der Vergabekammer gemäß den §§ 160 Absatz 1, 161 GWB einen schriftlichen und näher begründeten Nachprüfungsantrag innerhalb der in § 160 Absatz 3 Satz 1 Nr. 4 GWB geltenden 15-Tage-Frist gestellt.

c) Die AST ist gemäß § 160 Absatz 2 GWB antragsbefugt.

Nach dieser Bestimmung ist jedes Unternehmen antragsbefugt, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag oder der Konzession hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Absatz 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Dabei ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung von Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

aa) Die AST hat ihr Interesse an einer Beauftragung mit der ausgeschriebenen Herstellung von elektrotechnischen Anlagen mit ihrem Angebot vom 30.03.2022, ihrer Rüge vom 11.05.2022 sowie mit ihrem Nachprüfungsantrag vom 13.05.2022 deutlich zum Ausdruck gebracht.

bb) Die AST hat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Absatz 6 GWB durch Nichtbeachtung von bieterschützenden Vergabevorschriften, hier die vom AG bislang abgelehnte Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen -Verstoß gegen § 7 Absatz 1 Nr. 3 VOB/A-EU-, geltend gemacht.

cc) Die AST hat einen ihr drohenden Schaden dargelegt, der sich daraus ergibt, dass der AG sie am 05.05.2022 über die Nichtberücksichtigung ihres Angebots und über seine Absicht informiert hat, das Angebot der BEI am 16.05.2022 bezuschlagen zu wollen, und dadurch der AST der ausgeschriebene Auftrag zu entgehen droht.

d) Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch kein zwischenzeitlich erteilter Zuschlag nach § 168 Absatz 2 GWB entgegen.

e) Die AST ist mit ihrer Rüge vom 11.05.2022 ihrer Rügeobliegenheit nach § 160 Absatz 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nachgekommen.

Nach § 160 Absatz 3 Satz 1 Nr. 1 GWB muss der Antragsteller den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften, den er von Einreichen des Nachprüfungsantrags positiv erkannt hat, gegenüber dem Auftraggeber innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gerügt haben. Positive Kenntnis besitzt der Antragsteller erst dann, wenn er zum einen die den Verstoß begründenden Tatsachen kennt und zum anderen aus den Tatsachen bei laienhafter Wertung den Schluss zieht, dass ein Vergaberechtsverstoß vorliegt. Der Antragsteller muss aufgrund seiner subjektiven Einschätzung von einem Verstoß gegen das Vergaberecht ausgehen (OLG Karlsruhe, NZBau 2013, 528, 529). Der positiven Kenntnis steht nach der Rechtsprechung gleich, wenn der Kenntnisstand des Antragstellers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einen solchen Grad erreicht hat, dass seine Unkenntnis vom Vergaberechtsverstoß nur als ein mutwilliges Sich-Verschließen vor der Erkenntnis des Rechtsverstoßes verstanden werden kann. Hieran sind indes strenge Anforderungen zu stellen, deren Erfüllung vom Auftraggeber darzulegen ist (BGH, VergabeR 2007, 59, 65; OLG Jena, NZBau 2011, 771, 772).

Der AST sind aus ihrer Bieterpraxis Stoffpreisklauseln (Formblatt 225 VHB) bekannt. So hat sie am 05.04.2022 im vorliegenden Vergabeverfahren 0202/22-B-EO-51 sowie in den parallelen Vergabeverfahren 0156/22-B-EO-51 und 0299/22-B-EO-51 gegenüber dem AG die Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen verlangt. Sie hat offenbar die Aufnahme einer solchen Stoffpreisgleitklausel in diesen Vergabeverfahren aufgrund der aktuellen, sehr dynamischen Preisentwicklung im Rohstoff- und Energiebereich für zweckmäßig erachtet. Der AG hat die Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel im vorliegenden Vergabeverfahren und im parallelen Vergabeverfahren 0156/22-B-EO-51 am 06.04.2022 sowie in der Folgezeit zurückgewiesen, hingegen im Vergabeverfahren 0299/22-B-EO-51 am 12.04.2022 vorgenommen. Das BMWSB hat nach näherer Maßgabe seines Rundschreibens Lieferengpässe und Preissteigerungen wichtiger Baumaterialien als Folge des Ukraine-Kriegs vom 25.03.2022 für seinen Zuständigkeitsbereich unter anderem die Aufnahme von Stoffpreisklauseln in laufenden Vergabeverfahren angeordnet. Selbst bei bereits erfolgter Angebots(er)öffnung soll nach Nr. III., Unterabsatz 3, des Rundschreibens das Vergabeverfahren zur Vermeidung von Streitigkeiten bei der Bauausführung in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzt werden, um Stoffpreisklauseln einbeziehen und ggf. Ausführungsfristen verlängern zu können. Der Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft hat dieses Rundschreiben am 28.03.2022 an das Thüringer Landesamt für Bau und Verkehr mit der Bitte um Beachtung übersendet. Die AST ist am 10.05.2022 in dem parallelen Vergabeverfahren 0156/22-B-EO-51 unter anderem zur Frage der Notwendigkeit der Aufnahme von Stoffpreisgleitklauseln (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen anwaltlich beraten worden. Sie hat daraufhin am 11.05.2022 im vorliegenden Vergabeverfahren die bislang nicht erfolgte Aufnahme von entsprechenden Stoffpreisgleitklauseln (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen gerügt. Die Vergabekammer geht davon aus, dass die AST erst nach der anwaltlichen Beratung am 10.05.2022 davon Kenntnis erlangt hat, dass die bislang nicht erfolgte Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen einen Verstoß gegen das Vergaberecht begründet bzw. begründen kann. Die AST hat vor ihrer anwaltlichen Beratung dieses Rechtsbewusstsein bzw. diese Rechtskenntnis -sei es auch nur im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensphärenicht gehabt. Die wenn auch nur laienhafte Feststellung einer Vergaberechtswidrigkeit als Folge einer nicht erfolgten Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen erfordert doch einen gewissen Begründungsaufwand (vgl. hierzu auch Kues, VPR 2022, 42), der einem durchschnittlich fachkundigen Bieter mit den üblichen Kenntnissen nicht ohne weiteres möglich sein dürfte. Die Vergabekammer hat auch keine Kenntnis davon, ob der AST bereits vor ihrer anwaltlichen Beratung das Rundschreiben des Bundes vom 25.03.2022 bekannt war. Dem Rundschreiben kann allerdings nicht eindeutig entnommen werden, das eine nicht erfolgende Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel in die Vergabeunterlagen eine Vergaberechtswidrigkeit des entsprechenden Vergabeverfahrens zur Folge hat bzw. haben kann. Dafür hat der Bund die entsprechenden Ausführungen in seinem Rundschreiben zu wenig vergaberechtlich untersetzt. Folglich kann selbst bei einer Kenntnis des Rundschreibens das erforderliche Rechtsbewusstsein bzw. Rechtskenntnis der AST vom Vorliegen eines Vergaberechtsverstoßes nicht zwingend abgeleitet werden. Die Vergabekammer kann auch nicht erkennen, dass sich die AST der Erkenntnis eines entsprechenden Vergaberechtsverstoßes mutwillig verschlossen hat. Nach alledem kann die AST die vom AG bislang abgelehnte Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen in zulässiger Weise rügen.

2. Begründetheit

Der Nachprüfungsantrag des AST ist auch begründet.

Die bislang erfolgte Ablehnung der Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel (Formblatt 225) in die Vergabeunterlagen durch den AG begründet einen Verstoß gegen § 7 Absatz 1 Nr. 3 VOB/A-EU.

Nach dieser Bestimmung darf dem Auftragnehmer in den Vergabe- und Vertragsunterlagen kein ungewöhnliches Wagnis für Umstände und Ereignisse aufgebürdet werden, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung insbesondere auf die Preise er nicht im Voraus schätzen kann. Aufgrund der Kriegsereignisse in der Ukraine und der in der Folge verhängten weltweiten Sanktionen gegen Russland sind die Preise vieler Baustoffe zum Teil extrem gestiegen. Der Krieg und seine weltweiten Sanktionsfolgen sowie die dadurch ausgelöste und noch anhaltende dynamische Entwicklung dieser Preise bürden den Bietern ein ungewöhnliches Wagnis gemäß § 7 Absatz 1 Nr. 3 VOB/A-EU auf. Die Bieter haben auf diese Umstände und Ereignisse keinen Einfluss und können deren Einwirkungen auf die Preise nicht im Voraus schätzen. Die Bieter dürfen zu ihrem Schutz keiner Situation ausgesetzt werden, in der ihnen die Preiskalkulation aufgrund dieser außerhalb ihrer Sphäre liegender Faktoren unzumutbar erschwert ist und das daraus entstehende Risiko die übliche Risikoverteilung übersteigt. Die Bieter haben keinen Einfluss auf die Kriegssituation in der Ukraine sowie auf die weltweiten Sanktionsfolgen und die dadurch ausgelöste und noch anhaltende dynamische Entwicklung der Preise für viele Baustoffe. Den Bietern ist aufgrund dieser Entwicklung eine kaufmännisch vernünftige Preiskalkulation unzumutbar erschwert bzw. unmöglich gemacht worden. Die Bieter der vorliegenden Ausschreibung sind daher derzeit einem ungewöhnlichen Wagnis ausgesetzt, das durch die bislang vom AG abgelehnte Aufnahme einer Stoffpreisklausel (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen beseitigt werden kann. Mit der Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen ist den Bietern der vorliegenden Ausschreibung wieder eine kaufmännisch vernünftige Preiskalkulation möglich und sie müssen nicht mehr einseitig und in unzumutbarer Weise das Risiko von zukünftig stark steigenden Baustoffpreisen tragen (vgl. auch Kues, VPR 2022, 42).

Die Vergabekammer merkt in diesem Zusammenhang an, dass die Angebote der Bieter ganz deutlich über der vom AG veranschlagten Auftragssumme für die vorliegende Ausschreibung liegen. Sie vermutet, dass die Bieter aufgrund der auch zukünftig noch zu erwartenden dynamischen Entwicklung vieler Preise bereits entsprechend hohe Risikoaufschläge einkalkuliert haben. Es liegt auch im (haushalterischen) Interesse des AG, die Bieter bieten die derzeit und in nächster Zeit geltenden Marktpreise an, und weitere, erhebliche Preissteigerungen werden dann zur gegebenen Zeit durch die Stoffpreisgleitklausel (Formblatt 225 VHB) abgefedert. Das BMWSB hat jedenfalls nach näherer Maßgabe seines Rundschreibens vom 25.03.2022 für seinen Zuständigkeitsbereich die Aufnahme einer Stoffpreisklausel (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen auch bei bereits laufenden Vergabeverfahren angeordnet. Selbst bei bereits erfolgter Angebots(er)öffnung ist gemäß Nr. III., Unterabsatz 3, des Rundschreibens das Verfahren zur Vermeidung von Streitigkeiten bei der Bauausführung in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, um Stoffpreisgleitklauseln einbeziehen und ggf. Ausführungsfristen verlängern zu können. Die Ausführung des ausgeschriebenen Auftrags erfordert ausweislich des Leistungsverzeichnisses insbesondere die Verwendung von Stahl, Stahllegierungen, Aluminium und Kupfer. Der Stoffkostenanteil der betreffenden Stoffe überschreitet im vorliegenden Fall wertmäßig ein Prozent der vom AG geschätzten Auftragssumme für die vorliegende Ausschreibung. Die Beigeladene in dem Nachprüfungsverfahren 5090-250-4002/779, die im vorliegend verfahrensgegenständlichen Vergabeverfahren ebenfalls Bieterin war, hat dies am 01.06.2022 der Vergabekammer fernmündlich bestätigt. Damit sind insbesondere die Anwendungsvoraussetzungen für die Aufnahme einer Stoffpreisklausel (Formblatt 225 VHB) nach Nr. 2.1 c) der Richtlinie zum Formblatt 225 VHB sowie nach dem Rundschreiben des Bundes vom 25.03.2022 erfüllt. Die Vergabekammer macht darauf aufmerksam, dass das Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft am 28.03.2022 das Rundschreiben des Bundes vom 25.03.2022 an das Thüringer Landesamt für Bau und Verkehr mit der Bitte um Beachtung für den vorliegend bedeutsamen Anwendungsbereich übersendet hat. Diese Mitteilung vom 28.03.2022, die wie das Rundschreiben des Bundes vom 25.03.2022 als Verwaltungsvorschrift einzuordnen ist, enthält den folgenden ergänzenden Hinweis:

„Nach Hinweis des BWI bitte ich um Beachtung, dass Stoffpreisgleitklauseln für Nichteisenmetalle zur Zeit nicht unter Heranziehung des Formblattes 228 vereinbart werden können, weil die Deutsche Elektrolyt-Kupfer-Notiz (DEL) die Kupferpreisnotierung ausgesetzt hat. Stoffpreisgleitklauseln für Nichteisenmetalle sind daher ebenfalls unter Verwendung des Formblattes 225 und der Indizes des Statistischen Bundesamtes zu vereinbaren.“

Demnach war das Rundschreiben des Bundes vom 25.03.2022 im hier interessierenden Zusammenhang ohne Einschränkungen anzuwenden. Das Thüringer Landesamt für Bau und Verkehr hatte daher zumindest für den im Rahmen der Ausführung des Auftrags zu verwendenden Stahl, Stahllegierungen, Aluminium und Kupfer Stoffpreisgleitklauseln (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen aufzunehmen. Die Vergabekammer entnimmt der Vergabeakte einen auf den 07.02.2022 datierten Vermerk des Thüringer Landesamtes für Bau und Verkehr, der folgendermaßen lautet:

„Für diese Ausschreibung wird die Stoffpreisklausel nicht angewendet (VHB Fbl. 225).

Die Preisentwicklung für die elektrischen Geräte, Kabel und Installationsmaterialien ist moderat – siehe Anlage (Auszüge aus Erzeugerpreisliste).

Es werden keine Stoffe eingesetzt, die nach ihrer Eigenart Preisveränderungen in besonderem Maße ausgesetzt sind und ein nicht kalkulierbares Preisrisiko für diese Stoffe zu erwarten ist.

Es besteht derzeit kein erhöhtes Risiko/Wagnis für die Bieter.“


Dieser Vermerk konnte dem am 24.02.2022 begonnen Ukrainekrieg, den späteren weltweiten Sanktionsfolgen und den dadurch ausgelösten erheblichen Preissteigerungen bei vielen Baustoffen noch nicht Rechnung trage. Er ist durch diese späteren Entwicklungen als inhaltlich überholt anzusehen.

Die Vergabekammer entnimmt im parallelen Vergabeverfahren 0156/22-B-EO-51 der dortigen Vergabeakte weiter einen auf den 30.03.2022 datierten Vermerk über ein Telefonat eines Vertreters des Thüringer Landesamtes für Bau und Verkehr mit dem Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft, Herrn ###, das folgendermaßen lautet:

„Mitteilung, dass Ziffer III. des Erlasses für fraglich und unzulässig angesehen wird. Soweit Angebotsöffnungen stattgefunden haben und das Eröffnungsprotokoll verschickt wurde und damit Kenntnis über die Angebote der anderen Bieter besteht, würde eine Verzerrung des Wettbewerbes eintreten.

Darüber hinaus besteht für die bezuschlagten Angebote die Möglichkeit einer nachträglichen Einbeziehung der Stoffpreisklausel. Insofern wird die Realisierung eines ggf. bestehenden Kalkulationsrisikos als gering eingeschätzt.

Herr ### wird um Einschätzung gebeten, ob dieser Ansicht gefolgt und für die unter III. des Erlasses fallenden Vorgänge unter Berücksichtigung der dargestellten Argumentation nicht zurückversetzt werden.

Herr ### stimmt dem zu.“


Der Vermerk lässt erkennen, dass das Thüringer Landesamt für Bau und Verkehr mit seiner bisherigen Ablehnung der Aufnahme einer Stoffpreisklausel (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen von dem Rundschreiben des Bundes vom 25.03.2022 und von der schriftlichen Mitteilung (Verwaltungsvorschrift) des Thüringer Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft vom 28.03.2022 abgewichen ist, ohne dass hierfür ein sachlicher, rechtfertigender Grund bestanden hat. Dies gilt ungeachtet der insofern am 30.03.2022 erfolgten fernmündlichen Unterredung eines Vertreters des Thüringer Landesamtes für Bau und Verkehr mit einem Vertreter des Thüringer Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft. Die Information der Bieter und eine mögliche Einsichtnahme in die Niederschrift über den Öffnungstermin nach § 14 Absatz 6 VOB/A-EU ermöglichen den Bietern unter anderem die Kenntnisnahme der Angebotsendsummen der anderen Bieter; sie können dadurch ihre Wettbewerbsposition besser einschätzen (Burgi/Dreher, a.a.O., § 14 VOB/A-EU, Rdn. 42). Die Möglichkeit der Kenntnisnahme unter anderem der Angebotsendsummen der anderen Bieter ist von der VOB/A-EU so gewollt und begründet für sich keine Verzerrung des Wettbewerbs, wie der AG meint. Die erlangte Kenntnisnahme kann zwar im Falle einer Zurückversetzung des Vergabeverfahrens vor Angebotsabgabe die Kalkulation/Erstellung eines neuen Angebots durch die Bieter beeinflussen. Die Vergabekammer geht aber vorliegend nicht davon aus, dass dadurch eine Verzerrung des Wettbewerbs eintritt, wie der AG meint. Vielmehr erlaubt die Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen den Bietern im Rahmen der Erstellung eines neuen Angebots, die derzeit und in nächster Zeit geltenden Marktpreise anzubieten. Sie müssen nicht mehr aufgrund der auch zukünftig noch zu erwartenden dynamischen Entwicklung vieler Preise entsprechend hohe Risikoaufschläge einkalkulieren. Weitere, erhebliche Preissteigerungen werden zur gegebenen Zeit durch die Stoffpreisgleitklausel (Formblatt 225 VHB) abgefedert. Dies liegt auch im (haushalterischen) Interesse des AG. Die Vergabekammer geht davon aus, dass die Bieter nach einer Zurückversetzung des Vergabeverfahrens vor Angebotsabgabe ihre Angebote aufgrund dieser Umstände in den Positionen, in denen die Stoffpreise von großer Bedeutung sind, grundlegend neu kalkulieren werden. Die Kenntnis der bisherigen Angebotsendsummen der anderen Bieter wird auf die Kalkulation der neuen Angebote nach Einschätzung der Vergabekammer keinen ausschlaggebenden Einfluss mehr haben. Die Annahme des AG, das Kalkulationsrisiko der Bieter sei vorliegend als gering einzuschätzen, ist angesichts der dynamischen Entwicklung vieler, auch im vorliegenden Fall bedeutsamer Preise unzutreffend. Diese Annahme des AG widerspricht zudem auch den Feststellungen in Nr. II., Unterabsatz 2, des Rundschreibens des Bundes vom 25.03.2022, die ausdrücklich von einem nicht kalkulierbaren Preisrisiko der Bieter für die von dem Rundschreiben erfassten Stoffe ausgehen.

3. Kostenentscheidung

Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.

Der AG hat gemäß § 182 Absatz 4 Satz 1 GWB die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der AST zu tragen, da er in dem Verfahren unterlegen ist.

Der AG hat zwar gemäß § 182 Absatz 3 Satz 1 GWB grundsätzlich die Kosten des Verfahrens zu tragen, da er in dem Verfahren unterlegen ist. Er hat jedoch vorliegend keine Gebühren zu tragen, da er gemäß § 182 Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit § 8 Absatz 1 Nr. 2 VwKostG bzw. gemäß § 3 Absatz 1 Nr. 1 ThürVwKostG von der Zahlung von Gebühren persönlich befreit ist. Auch sind vom AG zu erstattende Auslagen der Vergabekammer nicht angefallen.

Die BEI ist nicht als unterlegene Beteiligte anzusehen, da sie vor der Vergabekammer keinen Antrag zur Hauptsache gestellt und sich auch sonst nicht mit dem erkennbaren Begehren, den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen, an dem Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer beteiligt hat (Müller-Wrede, Kommentar GWB-Vergaberecht, 2016, § 182, Rdn. 66, 95 und 97). Sie trifft daher keine Pflicht zur (Mit-) Tragung von Verwaltungsgebühren und der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der AST. Sie hat ihre im Nachprüfungsverfahren ggf. entstandenen Aufwendungen selbst zu tragen. Sie hat weder Anträge gestellt noch hat sie sich an der mündlichen Verhandlung beteiligt, so dass es gemäß § 182 Absatz 4 Satz 2 GWB nicht der Billigkeit entspricht, etwaige Aufwendungen der BEI dem unterlegenen AG aufzuerlegen.

Die AST hat bereits einen Kostenvorschuss in Höhe der Mindestgebühr von 2.500,00 Euro gezahlt. Da sie im vorliegenden Verfahren obsiegt hat und sie daher keine Verwaltungskosten zu tragen hat, ist ihr dieser Betrag nach Eintritt der Bestandskraft dieses Beschlusses zurückzuerstatten. Die AST wird daher um die Mitteilung der Bankverbindung gebeten, auf welche die Erstattung dann erfolgen soll.

(…)

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BayObLG: Die Vergabestelle ist verpflichtet, unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu prüfen, ob die Angebote miteinander verbundener Unternehmen eigenständig und unabhängig voneinander erstellt worden sind

 

vorgestellt von Thomas Ax

Der Antragsteller zu 1) ist ein Kaufmann, der unter seiner im Handelsregister eingetragenen Firma auftritt, die Antragstellerin zu 2) eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Antragsteller zu 1) ist. Über das Vermögen des Antragstellers zu 1) ist mit Beschluss vom 1. November 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter hat mit Schreiben vom 1. Dezember 2019 den Betrieb der selbständigen Tätigkeit des Antragstellers zu 1) freigegeben. Die Angebote der beiden Antragsteller vom 27. Februar 2020 sind von derselben Person abgegeben worden, als Person des Erklärenden wurde jeweils der eingetragene Kaufmann (Antragsteller zu 1]) angegeben. Der Antragsteller zu 1) hat in seinem Angebot u. a. angegeben, über das Vermögen des Unternehmers sei ein Insolvenzverfahren weder beantragt noch eröffnet worden. Aufgrund der dringlichen Anordnung des Landrats des Antragsgegners vom 1. April 2020 ist den beiden Antragstellern mit Informationsschreiben vom 2. April 2020 jeweils mitgeteilt worden, ihre Angebote seien wegen Verstoßes gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs und wegen Wettbewerbsverfälschung ausgeschlossen worden, da sie von der gleichen Person gefertigt worden seien. Der Zuschlag solle – unter Zugrundelegung des Angebotspreises der Option 4 – auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden.

Die abgestimmten Angebote der Antragsteller sind zwingend auszuschließen, sodass der Beschluss der Vergabekammer in Ziffer 1. des Tenors aufzuheben und der Nachprüfungsantrag insoweit zurückzuweisen ist. Insoweit ist die zulässige sofortige Beschwerde des Antragsgegners, der sich die Beigeladene angeschlossen hat, begründet. § 97 Abs. 2 GWB steht einer Berücksichtigung dieser Angebote entgegen, die zwar getrennt abgegeben wurden, aber weder eigenständig noch unabhängig sind.

Dass die fakultativen Ausschlussgründe in § 124 GWB abschließend aufgezählt sind, bedeutet bei richtlinienkonformer Auslegung nicht, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen stehen könnte. Bei miteinander verbundenen Bietern wäre der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt, wenn man es zuließe, dass diese Bieter abgesprochene oder abgestimmte, d. h. weder eigenständige noch unabhängige, und ihnen deshalb gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile verschaffende Angebote einreichen könnten (vgl. EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg Rn. 57 und 59).

Ein Ausschluss der Angebote der Antragsteller nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB kommt mangels einer Vereinbarung zwischen zwei Wirtschaftsteilnehmern, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielt, allerdings nicht in Betracht. Die Anwendung des Ausschlusstatbestandes nach Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d) der Richtlinie 2014/24/EU setzt zwingend eine Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei verschiedenen Wirtschaftsteilnehmern voraus (EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 49), was bei der Auslegung und Anwendung des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu berücksichtigen ist (vgl. Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 6. Aufl., Stand: 19. Dezember 2022, § 124 GWB Rn. 81.1).

Angesichts der zwischen den Antragstellern bestehenden Verbindungen besteht nach Auffassung des Senats keine Möglichkeit, dass sie derartige „Vereinbarungen“, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen, schließen. Entscheidend ist nicht, dass es sich bei den Antragstellern juristisch um zwei unterschiedliche Rechtssubjekte (§ 1 BGB, § 13 GmbHG) handelt, sondern dass auch für die Antragstellerin zu 2) die Willensbildung ausschließlich über den Antragsteller zu 1) möglich ist, der als Geschäftsführer deren Vertretungsorgan ist (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG) und als Alleingesellschafter die Gesellschafterversammlung bestimmt (§§ 45 ff. GmbHG). Es ist nicht ersichtlich, dass hinsichtlich beider Angebote der Antragsteller ein anderer fakultativer Ausschlussgrund verwirklicht ist. Ob das Angebot des Antragstellers zu 1) nach § 124 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 8 GWB ausgeschlossen werden könnte, hat weder die Vergabekammer entschieden noch ist dies nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.

Die in Umsetzung des Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in § 124 GWB normierten fakultativen Ausschlussgründe sind allerdings abschließend. In Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU sind die fakultativen Ausschlussgründe abschließend aufgezählt, mit denen der Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren aus Gründen gerechtfertigt werden kann, die sich, gestützt auf objektive Anhaltspunkte, auf seine berufliche Eignung sowie auf einen Interessenkonflikt oder eine aus seiner Einbeziehung in die Vorbereitung dieses Verfahrens resultierende Wettbewerbsverzerrung beziehen (EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 54).

Damit in Einklang steht die nationale Rechtsprechung, die in den §§ 123124 GWB nach der Gesetzessystematik eine abschließende Regelung sieht (vgl. BGH, Urt. v. 3. Juni 2020, XIII ZR 22/19 – Vergabesperre, NZBau 2020, 609 Rn. 36; BayObLG, NZBau 2021, 755 m. w. N.). Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Angebote der Antragsteller, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung nicht berücksichtigt werden können, wenn sie nicht eigenständig und unabhängig abgegeben worden sind. Dass die fakultativen Ausschlussgründe in Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU abschließend aufgezählt sind, bedeutet nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht, dass der in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25/EU bzw. in Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU vorgesehene Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen stehen könnte (EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 57).

Durch die Abgabe abgestimmter Angebote haben die miteinander verbundenen Bieter gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile (vgl. BayObLG, NZBau 2021, 755). Der Feststellung eines darüberhinausgehenden „spezifischen Unrechtselements“ bedarf es entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat seine frühere Rechtsprechung (Urt. v. 17. Mai 2018, Rs. C-531/16 – Specializuotas transportas, EuZW 2018, 702 Rn. 29 und 38) bestätigt und ausgeführt, bei miteinander verbundenen Bietern wäre der Grundsatz der Gleichbehandlung in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25/EU verletzt, wenn man es zuließe, dass diese Bieter abgesprochene oder abgestimmte, d. h. weder eigenständige noch unabhängige, und ihnen deshalb gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile verschaffende Angebote einreichen könnten. Die – nach der zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit von der Vergabestelle vorzunehmenden Prüfung (s. u. e]) getroffene – Feststellung, dass die Verbindungen zwischen den Bietern den Inhalt ihrer im Rahmen desselben Verfahrens eingereichten Angebote beeinflusst haben, genügt dafür, dass diese Angebote von der Vergabestelle nicht berücksichtigt werden dürfen, denn die Angebote müssen eigenständig und unabhängig abgegeben werden, wenn sie von miteinander verbundenen Bietern stammen (EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 59 und 62).

Ohne Erfolg wenden die Antragsteller ein, dem Gerichtshof der Europäischen Union sei die Zulässigkeit der Einreichung mehrerer Angebote durch einen Bieter nicht bewusst gewesen, ihm seien damit wesentliche, entscheidungserhebliche Aspekte des Falles verborgen geblieben und es sei davon auszugehen, dass der Gerichtshof die Vorlagefragen abweichend beantwortet haben könnte, wenn ihm die besondere Konstellation des Streitfalles bewusst gewesen wäre. Die Begründung der Antragsteller, ihre Angebote seien im streitgegenständlichen Verfahren wie mehrere – zulässige – (Haupt-)Angebote durch ein und denselben Bieter zu betrachten, sodass die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung nicht bestehe, ist im Vorlagebeschluss des Senats vom 24. Juni 2021 wiedergegeben (NZBau 2021, 755).

Ob die dieser Argumentation der Antragsteller zugrunde liegende Annahme zutrifft, ein Bieter hätte die beiden streitgegenständlichen Angebote zulässigerweise als zwei Hauptangebote abgeben können, ist zweifelhaft, bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung. Nach der nationalen Rechtsprechung kann ein Bieter zwar – unter bestimmten Voraussetzungen – mehr als ein Hauptangebot abgeben (vgl. BGH, Urt. v. 29. November 2016, X ZR 122/14 – Universitätsinstitut, NZBau 2017, 176 Rn. 12 [zur Auslegung, ob zwei Hauptangebote vorliegen]). Als zulässig angesehen wurde dies in Fällen, in denen der Auftraggeber durch die Gestaltung der Vergabeunterlagen inhaltlich verschiedene Hauptangebote veranlasst hat oder sonst dazu aufgefordert hat (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21. Oktober 2015, Verg 28/14NZBau 2016, 235 m. w. N.), insbesondere wenn ein Bieter aus vertretbaren Gründen im Unklaren war, ob die angebotene Leistung als mit den vorgegebenen Spezifikationen „gleichwertig“ angesehen werden wird, und zwei sich in technischer Sicht unterscheidende Angebote abgegeben hat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9. März 2011, Verg 52/10 [zu § 9 Nr. 7, 8 und 10 und § 21 Nr. 2 VOB/A 2006]; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21. Oktober 2015, Verg 28/14NZBau 2016, 235; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1. Oktober 2012, Verg 34/12; OLG München, Beschl. v. 15. November 2013, Verg 13/13; Beschl. v. 29. Oktober 2013, Verg 11/13 [zustimmend, aber die Zulässigkeit von Doppelangeboten im konkreten Fall verneinend]). Dass mehrere Hauptangebote generell zulässig wären, ergibt sich aus dieser Rechtsprechung aber nicht (OLG Düsseldorf, NZBau 2016, 235 Rn. 114). § 13 EU Abs. 3 Satz 3 VOB/A und § 16 EU Nr. 6 und Nr. 8 VOB/A entsprechende Regelungen enthalten weder die VgV noch die SektVO.

Dass Bieter ihre Angebote eigenständig und unabhängig voneinander abgeben müssen und dies auch ungeachtet dessen gilt, ob ein Bieter zulässigerweise zwei sich nicht nur im Preis unterscheidende Hauptangebote abgeben kann, ist durch die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. September 2022, in der er seine frühere Rechtsprechung fortführt, in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt. Es handelt sich um unterschiedliche Konstellation und Fragestellungen. Von der Abgabe mehrerer in technischer Sicht voneinander abweichender Hauptangebote eines Bieters unterscheidet sich die abgestimmte Abgabe von jeweils einem Angebot mehrerer Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, dadurch, dass sie wie Konkurrenten auftreten, obwohl sie tatsächlich nicht miteinander konkurrieren. Für die letztgenannte Fallkonstellation hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des Auftrags an die Bieter entgegensteht, die ihre Angebote nicht eigenständig und unabhängig abgegeben haben. Dies gilt auch, wenn diese miteinander verbundenen Bieter zudem mehrere – nach der nationalen Rechtsprechung – zulässige Hauptangebote abgegeben haben. Auch wenn man die Zulässigkeit mehrerer Hauptangebote im Streitfall annähme, bezöge sich dies nur auf den jeweiligen einzelnen Bieter. Der Grundsatz der Gleichbehandlung steht zwar nach der – bisherigen – nationalen Rechtsprechung der Zulässigkeit mehrerer Hauptangebote eines Bieters nicht entgegen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9. März 2011, Verg 52/10; Beschl. v. 23. März 2010, Verg 61/09). Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass auch die Abgabe abgestimmter Angebote zulässig wäre. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union die Abgabe von zwei Hauptangeboten eines Bieters beurteilen würde, ist deshalb nicht entscheidungserheblich, auch wenn die Antragsteller in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23. Dezember 2022 zu suggerieren versuchen, sie hätten nicht parallel „als wirtschaftliche Einheit“ zwei Hauptangebote eingereicht, wenn die Einreichung mehrerer Hauptangebote desselben Bieters ausgeschlossen gewesen wäre (s. u. h]).

Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass miteinander verbundenen Unternehmen der Nachweis möglich sein muss, dass ihre Angebote eigenständig und unabhängig voneinander erstellt worden sind (vgl. EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 58; Specializuotas transportas, EuZW 2018, 702 Rn. 40; Urt. v. 19. Mai 2009, Rs. C-538/07 – Assitur, EuZW 2009, 550 Rn. 30; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. März 2022, Verg 28/21). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geboten, dass die Vergabestelle verpflichtet ist, eine Prüfung und Würdigung der Tatsachen vorzunehmen, um zu bestimmen, ob das Verhältnis zwischen zwei Einheiten den Inhalt der einzelnen im Rahmen eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens abgegebenen Angebote konkret beeinflusst hat, wobei die Feststellung eines solchen wie auch immer gearteten Einflusses ausreicht, um die betreffenden Einheiten von dem Verfahren ausschließen zu können (EuGH – Landkreis AichachFriedberg, Rn. 60 m. w. N.). Die Feststellung, dass die Verbindungen zwischen den Bietern den Inhalt ihrer im Rahmen desselben Verfahrens eingereichten Angebote beeinflusst haben, genügt dafür, dass diese Angebote von der Vergabestelle nicht berücksichtigt werden dürfen, denn die Angebote müssen eigenständig und unabhängig abgegeben werden, wenn sie von miteinander verbundenen Bietern stammen (EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 61 m. w. N.). Diese Erwägungen gelten erst recht für die Situation von Bietern, die nicht lediglich miteinander verbunden sind, sondern eine wirtschaftliche Einheit bilden (EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 62 m. w. N.).

Dies ist ebenfalls in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt. Nicht geboten ist daher eine ergänzende Vorlage zu der Frage: „Sind Art. 36 Abs. 1 Richtlinie 2014/25/EU und Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU dahin auszulegen, dass sie einer Erteilung des Zuschlags an Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch dann entgegenstehen, wenn die Gefahr einer Beeinflussung des Wettbewerbs unter den Bietern dadurch nicht bestand[?]“

Der in § 97 Abs. 2 GWB normierte Grundsatz der Gleichbehandlung steht unter den vom Gerichtshof der Europäischen Union genannten Voraussetzungen (Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 60 und 63) der Berücksichtigung abgesprochener oder abgestimmter Angebote entgegen. Ohne Erfolg wenden die Antragsteller ein, die nationale Regelung enthalte keine Rechtsgrundlage für einen Angebotsausschluss und sei auch nicht richtlinienkonform erweiterbar. Die Antragsteller haben ihre Angebote nicht eigenständig und unabhängig abgeben. Sie behaupten dies auch nicht. Beide Angebote wurden von derselben natürlichen Person abgegeben, dem Antragsteller zu 1), der als Geschäftsführer und Alleingesellschafter auch in der Antragstellerin zu 2) die Leitungsmacht hat. Diese personelle Verflechtung hat sich auf die Erstellung der Angebote konkret ausgewirkt. Der Antragsgegner hat somit zu Recht die Angebote der Antragsteller ausgeschlossen.

BayObLG, Beschluss vom 11.01.2023 – Verg 2/21

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Kein Anspruch auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG bei Grundstücksveräußerung durch die Kommune

 

von Thomas Ax

Der Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nicht eröffnet, weil der Verkauf eines Grundstücks auf der Grundlage eines Bieterverfahrens durch die Kommune keine öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit darstellt, sondern – Oberverwaltungsgerichts Münster vom 19. Mai 2010 – 8 E 419/10 – ein privatrechtlicher Vorgang ist (so auch OVG Greifswald, Beschluss vom 30. Mai 2007 – 3 O 58/07 – juris; Geulen, LKV 2011, 63). Die Aufspaltung des Verkaufsvorgangs in eine vorgelagerte öffentlich-rechtliche Entscheidung, mit wem der Kaufvertrag geschlossen wird, und eine nachgelagerte privatrechtliche Abwicklung käme allenfalls in Betracht, wenn die Beklagte bei einer solchen Grundstücksveräußerung spezifisch verwaltungsrechtlichen Bindungen unterläge. Das ist nicht der Fall. Allein die Bindung der Kommune an das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigt es nicht, das Verhältnis zwischen ihr und den Bietern als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren. Angesichts der umfassenden Bindung der öffentlichen Verwaltung an Art. 3 Abs. 1 GG wäre andernfalls nahezu jedes Rechtsverhältnis zwischen ihr und dem Bürger als öffentlich-rechtlich anzusehen; für die Annahme privatrechtlichen Handelns der öffentlichen Hand bliebe letztlich kein Raum (Beschluss vom 2. Mai 2007 – BVerwG 6 B 10.07 – BVerwGE 129, 9 <Rn. 10> = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 298 Rn. 10). Der Anspruch auf Einsicht in die Verkaufsakte kann auch nicht mit dem Argument, dass die Erhebung einer Schadensersatzklage gegen die Kommune Akteneinsicht voraussetze, auf Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG gestützt werden. Der Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG ist nicht berührt; die Veräußerung des Grundstücks erfolgt nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006 – 1 BvR 1160/03 – BVerfGE 116, 135 <149>). Im Übrigen folgen nicht eigens geregelte Auskunftsansprüche nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen als Voraussetzung effektiver Rechtswahrung aus dem streitigen materiellen Recht, zu dem sie Annexe oder Nebenansprüche darstellen (Beschluss vom 27. Juni 2013 – BVerwG 3 C 20.12 – AUR 2014, 73 Rn. 5; zum Zivilrecht vgl. etwa BGH, Urteile vom 7. Mai 2013 – X ZR 69/11 – juris Rn. 27 ff. und vom 29. Mai 2013 – IV ZR 165/12 – juris Rn. 10). Ein Anspruch auf Schadensersatz kann sich allenfalls aus dem privatrechtlichen Rechtsverhältnis zur Kommune ergeben; für einen vorbereitenden Auskunftsanspruch gilt nichts anderes.

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Unsere Ausschreibungskonzepte: Planungsleistungen für den Neubau einer KiTa

 

A. Lose und Verfahren

1. Losaufteilung

Der Auftrag ist in die nachfolgend aufgeführten Fachlose aufgeteilt:

– Los 1: Objektplanung Gebäude und Innenräume

– Los 2: Fachplanung Tragwerksplanung

– Los 3: Fachplanung Technische Ausrüstung (Anlagengruppen 1 bis 3)

– Los 4: Fachplanung Technische Ausrüstung (Anlagengruppen 4 bis 7)

– Los 5: Objektplanung Freianlagen

Wenn Sie sich auf mehrere Fachlose bewerben möchten, müssen Sie separate Teilnahmeanträge und Angebote einreichen. Andernfalls kann der Auftraggeber das Angebot ausschließen.

2. Verfahrensablauf

Das Vergabeverfahren wird als Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb durchgeführt und ist als zweistufiges Verfahren vorgesehen:

– Stufe 1: Im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs kann jedes interessierte Unternehmen einen Teilnahmeantrag abgeben.

Die Teilnahmeanträge werden gem. der Eignungskriterien ausgewertet und somit die geeigneten Bewerber bestimmt. Auf Grundlage der Eignungskriterien und deren Gewichtung werden:

o für das Los 1 mindestens 3 maximal 10 Bewerber

o für die Lose 2-5 mindestens 3 maximal 5 Bewerber

zur Abgabe eines Erstangebotes aufgefordert. Bei gleicher Qualifikation entscheidet das Los.

– Stufe 2: Nach Sichtung der Erstangebote ist vorgesehen die Angebote bei Bedarf mit den Bietern zu verhandeln. Hierzu kann der Auftraggeber alle Bieter eines Fachloses zu einem ca. einstündigen Präsentations- und Verhandlungstermin einladen.

Im Anschluss an die Verhandlungen wird der Auftraggeber die Bieter zur Abgabe eines finalen Angebotes auffordern. Der Auftraggeber behält sich vor, den Zuschlag auf Grundlage der Erstangebote zu vergeben.

Nach Eingang der finalen Angebote werden diese vom Auftraggeber anhand der Zuschlagskriterien und deren Gewichtung ausgewertet. Auf dieser Grundlage wird das wirtschaftlichste Angebot ermittelt und für den Zuschlag ausgewählt.

Über die Entscheidung werden alle am Verfahren Beteiligten gem. § 134 Abs. 1 GWB informiert. Nach Ablauf der Wartefrist wird der Zuschlag erteilt.

3. Einreichung der Teilnahmeanträge

Das zur Verfügung gestellte Formular „Teilnahmeantrag“ ist von den interessierten Bewerbern vollständig auszufüllen. Der Teilnahmeantrag ist über die Vergabeplattform bis zum … einzureichen.

Der Teilnahmeantrag ist in deutscher Sprache zu verfassen.

Teilnahmeanträge, die bis zu dem genannten Zeitpunkt nicht vollständig oder elektronisch über die Vergabeplattform eingereicht werden (z.B. über Email oder postalisch), können nicht berücksichtigt werden.

4. Einreichung der Angebote

Das Formular „Angebot“ ist von den Bietern, die zur Abgabe eines Erstangebotes aufgefordert werden, vollständig auszufüllen und über die Vergabeplattform einzureichen. Das Formular wird Ihnen mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe zur Verfügung gestellt. Der Zeitpunkt, zu dem das Angebot einzureichen ist, wird Ihnen mit der Angebotsaufforderung mitgeteilt.

Das Angebot ist in deutscher Sprache zu verfassen. Alle Preise sind in Euro mit höchstens zwei Nachkommastellen anzugeben.

Angebote, die bis zu dem genannten Zeitpunkt nicht vollständig oder elektronisch über die Vergabeplattform eingereicht werden (z.B. über Email oder postalisch), können nicht berücksichtigt werden.

5. Entschädigung

Für die Ausarbeitung der Unterlagen sowie sonstige Aufwendungen werden den Bewerbern/Bietern die Kosten nicht erstattet.

6. Eignungskriterien

a. Zur Prüfung der Eignung sind die folgenden Unterlagen einzureichen:

– Eigenerklärung zur Eignung

– Verpflichtungserklärung Tariftreue etc

– Erklärung Vergabesperre

– Unternehmensbezogene Referenzen:

Der Bewerber muss über geeignete Referenzen verfügen. Dabei sind jeweils drei geeignete Referenzen je Los erforderlich. Geeignet sind Referenzprojekte dann, wenn der Bewerber bei diesen Projekten zwischen Januar 2012 und Dezember 2022 Leistungen erbracht hat, die mit der ausgeschriebenen Leistung nach Art und Umfang vergleichbar sind. Die Leistungen in den Referenzprojekten sind vergleichbar:

o für Los 1, wenn der Auftragnehmer Leistungen der Objektplanung Gebäude und Innenräume in den HOAI-Leistungsphasen 2-8 als Hauptauftragnehmer für die Errichtung eines Kitagebäudes oder eines vergleichbaren Gebäudes erbracht hat. Die Leistungsphase 8 muss dabei noch nicht abgeschlossen sein.

o für Los 2, wenn der Auftragnehmer Leistungen der Tragwerksplanung in den HOAI-Leistungsphasen 2-8 als Hauptauftragnehmer für die Errichtung, Umbau oder Sanierung einer Kita oder eines vergleichbaren Gebäudes erbracht hat.

o Für Los 3, wenn der Aufragnehmer Planungsleistungen der Technischen Ausrüstung Anlagengruppen 1 bis 3 in den HOAI-Leistungsphasen 2-8 als Hauptauftragnehmer für die Errichtung, Umbau oder Sanierung einer Kita oder eines vergleichbaren Gebäudes erbracht hat.

o Für Los 4, wenn der Aufragnehmer Planungsleistungen der Technischen Ausrüstung Anlagengruppen 4 bis 7 in den HOAI-Leistungsphasen 2-8 als Hauptauftragnehmer für die Errichtung, Umbau oder Sanierung einer Kita oder eines vergleichbaren Gebäudes erbracht hat.

o für Los 5, wenn der Auftragnehmer Leistungen der Freianlagenplanung in den HOAI-Leistungsphasen 2-8 als Hauptauftragnehmer für Errichtung von Freianlagen für Schul- oder Kitagebäude erbracht hat. Die Leistungsphase 8 muss dabei noch nicht abgeschlossen sein.

b. Auswahl der Bewerber zu Abgabe eines Angebots

Die Eignungskriterien zur Auswahl der Bewerber bilden die Referenzen (maximale Punktzahl 30).

Bei gleicher Qualifikation entscheidet das Los.

7. Zuschlagskriterien und deren Gewichtung

Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots erfolgt auf der Grundlage des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses. Hierfür werden die Angebote der Bieter anhand der Zuschlagskriterien und der nachfolgenden Bewertungsmatrix ausgewertet.

B. Leistungsbeschreibung

1. Auftragsgegenstand

Die … plant den Neubau einer siebengruppigen Kindertagesstätte, um den Bedarf an Betreuungsplätzen auch zukünftig decken zu können. Die Gruppen werden wir folgt aufgeteilt: ….

Derzeit werden einzelne Gruppen bereits an provisorischen Standorten untergebracht. Die geplante Einrichtung soll am südöstlichen Ortsrand angesiedelt werden. Für die Einrichtung soll der Fokus auf die Sprachförderung und Inklusion gelegt werden. Der Bebauungsplan befindet sich in Aufstellung. Im Rahmen der vorliegenden Ausschreibung sollen die erforderlichen Planungsleistungen vergeben werden. Die Vergabe erfolgt losweise nach Fachlosen:

– Los 1 Gebäude und Innenräume

– Los 2 Tragwerksplanung

– Los 3 Technische Ausrüstung Anlagengruppen 1-3

– Los 4 Technische Ausrüstung Anlagengruppen 4-7

– Los 5 Freianlagen

2. Allgemeine Baubeschreibung / Raumprogramm

Die Grundlage für die Planung stellt das nachfolgende Raumprogramm sowie die gesetzlichen Vorgaben dar. Das Raumprogramm untergliedert die geplante Kita in vier Nutzungsbereiche:

I. Elternbereich

II. Gruppen- und Betreuungsräume

III. Küche

IV. Hauswirtschafts- und Personalräume

Die Summe aller Nutzungsbereiche liegt bei einer Gesamtfläche von ….

3. Baubeschreibung Neubau

3.1 Grundstück

3.2 Gebäude

3.3 Freianlagen

4. Kostenschätzung

Auf Basis des Raumprogramms und der Erkenntnisse aus der Flächenplausibilisierung wurden die Kosten für einen Neubau ermittelt.

Kostengruppe Kostenschätzung

100 Grundstück –

200 Vorbereitende Maßnahmen €

300 Bauwerk – Baukonstruktion €

400 Bauwerk – Technische Anlagen €

500 Außenanlagen und Freiflächen €

600 Ausstattung und Kunstwerke €

700 Baunebenkosten €

800 Finanzierung –

Gesamtkosten netto €

19% MwSt. €

Gesamtkosten brutto €

5. Städtebauförderung

Die Maßnahme wird … gefördert. In diesem Zusammenhang unterliegt das Vorhaben einer baufachlichen Prüfung. Während des gesamten Prozesses sind die Förderrichtlinien zu beachten. Die Projektunterlagen sind gem. der Vorgaben des Fördergebers zu führen. Zudem wird die Mitwirkung und Unterstützung bei der baufachlichen Prüfung sowie des abschließenden Verwendungsnachweises vorausgesetzt.

6. Zeitschiene

Nach erteiltem Zuschlag (voraussichtlich …) soll unmittelbar mit der Bearbeitung begonnen werden. Der Bauantrag ist im … einzureichen. Die Ausschreibung der ersten Bauleistungen ist mit Vorliegen der Baugenehmigung zu veröffentlichen. Als Baubeginn wird … angestrebt. Aufgrund der Bereitstellung der Fördermittel ist der Zeitplan zwingend einzuhalten.

7. Zusätzliche Leistungen

Zusätzlich werden die nachfolgenden zusätzlichen Leistungen beauftragt:

– Los 1:

o SiGeKo-Leistungen

o Schallschutzplanung

o Brandschutzplanung

8. Vertragsbedingungen

Die Vertragsbedingungen bestehen aus folgenden Vertragsbestandteilen:

– die Vergabeunterlagen einschließlich der Anlagen, des Verhandlungsprotokolls sowie Antworten auf Bieterfragen

– das Angebot des Auftragnehmers nebst Anlagen

– VOL/B in der jeweils gültigen Fassung

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VergMan ® Arbeitshilfe – Bewerbungs- und Vergabebedingungen für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge nach der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO)

 

1. Allgemeines

1.1. Der Auftraggeber verfährt nach der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO).

1.2. Die gesamte Kommunikation im Vergabeverfahren wird ausschließlich über … durchgeführt.

2. Angebotsbedingungen

2.1 Für das Angebot sind die vom Auftraggeber für das Vergabeverfahren zur Verfügung gestellten Formulare zu benutzen.

2.2 Enthalten die Vergabeunterlagen nach Auffassung des Unternehmens Unklarheiten, Unvollständigkeiten oder Fehler, so hat es unverzüglich die Vergabestelle vor Angebotsabgabe elektronisch über den Kommunikationsraum … darauf hinzuweisen.

2.3 Das Angebot muss vollständig sein; es muss die Preise und alle geforderten Angaben und Erklärungen enthalten; die Möglichkeit zu einer Nachforderung von Unterlagen im Sinne von § 41 UVgO bleibt unberührt. Änderungen des Bieters an seinen Eintragungen müssen zweifelsfrei sein. Änderungen und Ergänzungen an den Vergabeunterlagen, insbesondere der Leistungsbeschreibung und Vertragsbedingungen sind unzulässig. Das gilt insbesondere für eigene AGB des Auftragnehmers. Nebenangebote können nur abgegeben werden, wenn sie in der Angebotsaufforderung ausdrücklich zugelassen wurden. Die in den Nebenangeboten enthaltenen Leistungen sind eindeutig und erschöpfend zu beschreiben. Die Gleichwertigkeit des Nebenangebotes zur geforderten Leistung ist durch den Bieter nachzuweisen. Bei elektronischer Angebotsabgabe ist das Angebot elektronisch in Textform nach § 126b BGB abzugeben oder ggf. in Ausnahmefällen auf Anforderung der Vergabestelle zu signieren. Bei Angebotsabgabe in Schriftform, sofern diese von der Vergabestelle ausdrücklich zugelassen worden ist, sind das Angebotsschreiben (Formular …) und alle zu unterschreibenden Anlagen mit Namen (Firma) und Unterschrift des Bieters zu versehen. Näheres zur Form der Angebotsabgabe kann dem Formular … entnommen werden. Bei zugelassener Angebotsabgabe per E-Mail im Rahmen der Verhandlungsvergabe kann das Angebot elektronisch in Textform nach § 126b BGB abgegeben werden, d. h. aus der E-Mail muss der Name der abgebenden Person und ggf. des Unternehmens erkennbar sein. Angebote, die die vorstehenden Voraussetzungen nicht erfüllen, werden ausgeschlossen.

Im Übrigen wird darauf hingewiesen:
Soweit Erläuterungen zur besseren Beurteilung des Angebots erforderlich erscheinen, können diese dem Angebot auf besonderer Anlage beigefügt werden. Geforderte Muster und Proben müssen als zum Angebot gehörig gekennzeichnet sein und bis zum Ablauf der Angebotsfrist auf dem Postweg oder auf einem anderen geeigneten Weg, soweit möglich in einem verschlossenen Umschlag, Behältnis o. ä. eingereicht werden. In der Anfrage zur Angebotsabgabe ausdrücklich zugelassene Nebenangebote müssen auf einer gesonderten Anlage eingereicht und als Nebenangebote gekennzeichnet sein. Nicht entsprechend bezeichnete Nebenangebote können ausgeschlossen werden.

2.4 Beabsichtigt der Bieter, Angaben aus seinem Angebot für die Anmeldung eines gewerblichen Schutzrechtes zu verwerten, hat er in seinem Angebot darauf hinzuweisen.

2.5 Der Auftraggeber behält sich vor, das Angebot eines Skontos bei der Wertung nur dann zu berücksichtigen, wenn eine Skontofrist von mindestens 14 Kalendertagen eingeräumt wird. Hinsichtlich des Fristbeginns und der Leistung der Zahlung wird auf die Vertragsbedingungen (Formular …) verwiesen.

2.6 Sofern im Vergabeverfahren das Angebot einer anerkannten Werkstatt für Menschen mit Behinderungen und Blindenwerkstätten sowie von Inklusionsbetrieben (nachfolgend bevorzugte Bieter) ebenso wirtschaftlich wie das ansonsten wirtschaftlichste Angebot eines insofern nicht bevorzugten Bieters ist, so wird dem bevorzugten Bieter der Zuschlag erteilt. Bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Angebote wird der von den bevorzugten Bietern angebotene Preis mit einem Abschlag von 15 % berücksichtigt. Voraussetzung für die Berücksichtigung des Abschlags ist, dass die Herstellung der angebotenen Lieferungen zu einem wesentlichen Teil durch die bevorzugten Bieter erfolgt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Wertschöpfung durch ihre Beschäftigten mehr als 10 % des Nettowerts der zugekauften Waren beträgt.

2.7 Für die Angebotserstellung wird keine Vergütung gewährt.

2.8 Entwürfe und Ausarbeitungen, sowie Muster und Proben, die bei der Prüfung der Angebote nicht verbraucht werden, gehen ohne Anspruch auf Vergütung in das Eigentum des Auftraggebers über, soweit in der Angebotsaufforderung nichts Gegenteiliges festgelegt ist oder der Bieter im Angebot bzw. innerhalb von einem Monat nach Ablauf der Bindefrist nicht ihre Rückgabe verlangt. Die Kosten der Rückgabe trägt der Bieter.

3. Wettbewerbsbeschränkende Absprachen/Mittelstandskartelle
Zur Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränkungen hat der Bieter auf Verlangen Auskünfte darüber zu geben, ob und auf welche Art er wirtschaftlich und rechtlich mit Unternehmen verbunden ist. Angebote von Bietern, die sich im Zusammenhang mit diesem Vertragsverfahren an einer wettbewerbsbeschränkenden Absprache beteiligen, werden  ausgeschlossen. Unter bestimmten Voraussetzungen sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen bzw. die Bildung von Mittelstandskartellen von § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) freigestellt. Die Voraussetzungen können in §§ 2, 3 GWB nachgelesen werden. Eine entsprechende Erklärung ist im Angebotsschreiben (Formular …) abzugeben.

4. Bewerber- und Bietergemeinschaften
Bewerbergemeinschaften, Bietergemeinschaften und andere gemeinschaftliche Bieter haben im Teilnahmeantrag oder im Angebot jeweils die Mitglieder sowie eines ihrer Mitglieder als bevollmächtigten Vertreter für den Abschluss und die Durchführung des Vertrages zu benennen. Die diesbezügliche Bewerber-/Bietergemeinschaftserklärung (Formular …) muss von sämtlichen Mitgliedern unterschrieben sein und ist mit dem Teilnahmeantrag oder dem Angebot einzureichen. Die Gründe zur Bildung der Bewerber-/Bietergemeinschaft sind auf Anforderung darzulegen. Alle Mitglieder der Bietergemeinschaft haften gegenüber dem Auftraggeber gesamtschuldnerisch.

5. Kapazitäten anderer Unternehmen (Unteraufträge, Eignungsleihe)
Beabsichtigt der Bieter, – Teile der Leistung von anderen Unternehmen ausführen zu lassen (Unterauftragnehmer) oder – sich bei der Erfüllung eines Auftrages im Hinblick auf die erforderliche wirtschaftliche, finanzielle, technische oder berufliche Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen zu bedienen (Eignungsleihe), so muss er die hierfür vorgesehenen Leistungen/Kapazitäten in seinem Teilnahmeantrag/Angebot benennen. Der Bieter hat auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle zu einem von ihr bestimmten Zeitpunkt nachzuweisen, dass ihm die erforderlichen Kapazitäten der anderen Unternehmen zur Verfügung stehen (Formular …) und diese Unternehmen geeignet (nur Eignungsleihe) sind. Er hat den Namen, den gesetzlichen Vertreter sowie die Kontaktdaten dieser Unternehmen anzugeben. Entsprechende Verpflichtungserklärungen (Formular …) dieser Unternehmen sind bei der Eignungsleihe mit dem Teilnahmeantrag/Angebot, bei der Unterauftragsvergabe auf gesondertes Verlangen des Auftraggebers vor Zuschlagserteilung vorzulegen. Nimmt der Bieter in Hinblick auf die Kriterien für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit im Rahmen einer Eignungsleihe die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch, sollen diese gemeinsam für die Auftragsausführung haften; die Haftungserklärung ist gleichzeitig mit der „Verpflichtungserklärung“ abzugeben. Sofern bei dem/n anderen Unternehmen zwingende Ausschlussgründe nach § 123 GWB vorliegen, muss das Unternehmen durch den Bewerber/Bieter innerhalb einer von der Vergabestelle gesetzten Frist ersetzt werden. Sollten hingegen fakultative Ausschlussgründe nach § 124 GWB vorliegen, behält sich der Auftraggeber vor, dass das Unternehmen durch den Bewerber/Bieter innerhalb einer zu setzenden Frist ersetzt wird.

6. Präqualifizierung
Unternehmen, die in den Präqualifizierungsdatenbanken https://amtliches-verzeichnis.ihk.de oder www.pq-verein.de bzw. einer anderen für den öffentlichen Auftraggeber kostenfreien Datenbank innerhalb der EU registriert sind, können dies bei Abgabe eines Teilnahmeantrages bzw. eines Angebotes durch Angabe der Registrierungsnummer angeben. Sofern vom Auftraggeber Nachweise gefordert werden, die nicht in den Präqualifizierungsdatenbanken enthalten sind, sind diese ergänzend einzureichen. Ansonsten kann das Unternehmen vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Nicht präqualifizierte Unternehmen können als vorläufigen Nachweis der Eignung für die zu vergebende Leistung mit dem Angebot oder Teilnahmeantrag eine Einheitliche Europäische Eigenerklärung abgeben, sofern diese als vorläufiger Beleg von der Vergabestelle ausdrücklich zugelassen ist. Gelangt das Angebot in die engere Wahl, ist die Eigenerklärung auf gesondertes Verlangen durch Vorlage in der Eigenerklärung genannten Bescheinigungen zuständiger Stellen zu bestätigen. Bescheinigungen, die nicht in deutscher Sprache abgefasst sind, ist eine Übersetzung in die deutsche Sprache beizufügen.

7. Sonstiges

7.1 Die Preise sind in Euro anzugeben.

7.2 Der Teilnahmeantrag/das Angebot ist in deutscher Sprache abzufassen. Werden fremdsprachige Nachweise oder Antragsunterlagen eingereicht, sind beglaubigte Übersetzungen vorzulegen. Die Kosten hierfür trägt ausschließlich der Bieter selbst. Fehler in der Übersetzung muss sich der Bieter zuschreiben lassen. Die Kommunikation mit dem Auftraggeber ist in deutscher Sprache zu führen.

7.3 Ergänzend zu den Vergabeunterlagen gelten die deutschen Rechtsvorschriften.

7.4 Sofern nach Abschluss des Vergabeverfahrens durch Zuschlag bis zum Ablauf der Bindefrist keine entsprechende Information der Bewerber/Bieter erfolgt ist, wurde der Teilnahmeantrag/das Angebot nicht berücksichtigt. Bestimmte Informationen über nicht berücksichtigte Bewerbungen oder über nicht berücksichtigte Angebote können vom Bewerber oder Bieter beim Auftraggeber elektronisch über den Kommunikationsraum … beantragt werden.

7.5 Bewerber aus anderen EU-Mitgliedstaaten haben die besonderen umsatzsteuerrechtlichen Regelungen für den innergemeinschaftlichen Erwerb zu beachten.

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Ein anforderungsgerechtes, d.h. modernes und dynamisches VergabeRecht für Deutschland

 

Interview mit Rechtsanwalt Dr. Thomas Ax

Thomas Ax fordert nicht weniger als eine Rundumerneuerung des deutschen Vergaberechts, Unterstützung der Auftraggeber und Bieter und Fortbildung. Tenor: Unsicherheiten sind zu beseitigen. Klarstellungen sind vorzunehmen. Hindernisse sind aus dem Weg zu räumen. Das Vergaberecht muss wieder zur Beschaffungswirklichkeit passen. In jüngerer Zeit haben sich Marktsegmente entwickelt, bei denen die Markteilnehmer feste Leistungsmodelle entwickelt haben, die von Anbieter zu Anbieter nicht mehr 1:1 verglichen werden können. Vielfach werden Leistungsgegenstände nur Online vermarktet. Hier besteht in vielen Fällen nicht das Interesse der Anbieter, individuelle Angebote zu erstellen, sich einer Eignungsprüfung zu unterziehen oder auf die Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu verzichten. Dieses neue Markgeschehen korrespondiert nicht mit den Verfahrensregeln des Vergaberechts. Soweit Vergaben auf die Nutzung elektronischer Medien gerichtet sind, stellt das die Vergabestellen vor neue Herausforderungen. Im Bereich der sog. social media, wie z.B. Facebook, Twitter oder Instagram bestehen von den Anbietern vorgegebene Leistungspakete, von denen sie nicht abzuweichen bereit sind. Typischerweise geben solche Marktteilnehmer keine Angebote in einem Vergabeverfahren ab. 

Das aktuelle Vergaberecht bietet keine Handhabe, um auf diese Beschaffungsgegenstände adäquat und flexibel zu reagieren. Aufgrund aktueller Entwicklungen ist im Bereich Verteidigung und Sicherheit eine Änderung an den bestehenden Regelungen erforderlich geworden, um den Bedarf für Einsätze bzw. einsatzgleiche Verpflichtungen der Bundeswehr schneller zu decken. Die militärischen und die zivilen Sicherheitsbehörden stehen vor neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Die Notwendigkeit, kurzfristig und effektiv auf sicherheitsrelevante Entwicklungen sowohl im In- als auch im Ausland reagieren zu können, gewinnt immer größere Bedeutung. Dabei werden die Herausforderungen vielfältiger und reichen von internationalem Krisenmanagement über die Abwehr terroristischer Gefahren bis zu Fragen der Cybersicherheit und der asymmetrischen Kriegsführung. Ziel muss es sein, bessere Möglichkeiten für eine beschleunigte Beschaffung zu schaffen, die vergaberechtlichen Regularien im Falle kurzfristiger Anforderungen an die Beschaffung noch besser zu nutzen und die vergaberechtlichen Spielräume für eine schnelle Beschaffung konsequenter zu nutzen. Kurzum: Es besteht erheblicher gesetzgeberischer Verbesserungsbedarf. Ein neues, modernes und dynamisches VergabeRecht für Deutschland!

Lesen Sie das Interview:

Frage: Welche wirtschaftliche Bedeutung haben öffentliche Aufträge?

Antwort: Bundesweit macht das jährliche Beschaffungsvolumen öffentlicher Institutionen geschätzt mehr als zehn Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts oder mindestens 300 Mrd. Euro aus. Neben Ausgaben für den laufenden Betrieb der öffentlichen Hand sind Aufträge für öffentliche Investitionen ein besonders wichtiger Teil dieser Beschaffungen. Beispiele für öffentliche Aufträge sind der Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs, der Bau von Straßen oder die Ausstattung von Kindergärten, Schulen und Universitäten. Immer öfter entscheidet sich zudem die öffentliche Hand dafür, bestimmte Leistungen durch Private über die Vergabe von Konzessionen anbieten zu lassen, wie etwa den Betrieb von Freizeiteinrichtungen oder Parkhäusern. Für beides – öffentliche Aufträge wie Konzessionen – gilt: Die öffentliche Hand soll im Interesse des Steuerzahlers immer dem wirtschaftlichsten Angebot – gemessen am Preis-Leistungs-Verhältnis – den Vorzug geben. Das Vergaberecht legt fest, wie Bund, Länder und Kommunen vorgehen müssen, um Güter am Markt einzukaufen oder Bau- und Dienstleistungen in Auftrag zu geben. Es soll sicherstellen, dass Haushaltsmittel wirtschaftlich und in einem wettbewerblichen, transparenten und nicht-diskriminierenden Verfahren eingesetzt werden. Je effizienter die Verfahren ablaufen, umso wirtschaftlicher fallen die öffentlichen Investitionen aus. Umgekehrt können schwerfällige Verfahren und komplexe Regelwerke Investitionen verteuern oder verhindern.

Frage: Wird das Vergaberecht richtig angewendet?

Antwort: Vielfach: Nein.

Eine Auswertung der Entscheidungen von unseren Nachprüfungsverfahren hat Folgendes ergeben: Soweit im Sinne der Antragsteller entschieden wurde, bestanden die vergaberechtlichen Verstöße überwiegend in handwerklichen Fehlern des jeweiligen Auftraggebers, insbesondere bei der Erstellung der Leistungsbeschreibungen, im Rahmen der Eignungsprüfung sowie der Wertung der Angebote. Darüber hinaus wurde in einigen Fällen wegen mangelhafter Dokumentation gegen das Transparenzgebot verstoßen. Ferner haben einige Auftraggeber bei der Eignungsprüfung der Unternehmen und Wertung der Angebote das Vergaberecht unverhältnismäßig eng ausgelegt. Kleine und mittlere Unternehmen sind über die rechtlichen Möglichkeiten des Vergaberechtsschutzes häufig nicht hinreichend informiert und scheitern an den prozessualen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Nachprüfungsantrag.

Sind das einfache Verstöße?

Antwort: Vielfach: Nein.

Folgende gravierende Beispiele:

• De-facto-Vergabe von Laboruntersuchungen (Vergabekammer Berlin, Entscheidung vom 27.05.2019, B 1 – 43/19, https://www.berlin.de/sen/wirtschaft/wirtschaft/wirtschaftsrecht/assets/43_19-hauptsachebeschluss-anonymisiert.pdf; KG, Beschluss vom 08.06.2020, Verg 1002/20, nicht veröffentlicht),
• Wiederholte, fortgesetzte Verlängerung eines Versicherungsvertrags (Rechnungshof von Berlin, Jahresbericht 2019, S. 260, https://www.berlin.de/rechnungshof/_assets/jahresbericht-2019.pdf)
• De-facto-Vergabe an ein Beratungsunternehmen, (Rechnungshof von Berlin, Jahresbericht 2020, S. 186, https://www.berlin.de/rechnungshof/_assets/jahresbericht-2020.pdf)
• Anklage wegen Bestechung bei Auftragsvergabe: Mit der am 3. September 2019 zum Landgericht Berlin – Wirtschaftsstrafkammer – erhobenen Anklage legt die Staatsanwaltschaft dem ehemaligen Geschäftsführer einer landeseigenen Gesellschaft zur Last, für den Erhalt von 250.000,- Euro Schmiergeld veranlasst zu haben, dass die vom Geldgeber vertretene Firma den Zuschlag für die Erneuerung der firmeninternen Telefonanlage mit einem Gesamtvolumen von insgesamt 5,1 Mio. Euro erhielt (Tätigkeitsbericht der Zentralstelle „Korruptionsbekämpfung“ 2019: https://www.berlin.de/generalstaatsanwaltschaft/_assets/ueber-uns/zentralstellen/korruption/taetigkeitsberichte/2019_taetigkeitsbericht_korruption.pdf)

Frage: Was sind die Ursachen einer falschen Rechtsanwendung oder Rechtsunsicherheit bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen?

Antwort: Als häufigste Ursachen von Rechtsunsicherheit und falscher Rechtsanwendung nennen die von uns betreuten Auftraggeber die Komplexität und die als wenig anwenderfreundliche empfundene Struktur des Vergaberechts. Auch die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe bereite Schwierigkeiten, dies betreffe insbesondere solche Begriffe, die noch nicht durch die Rechtsprechung ausgeformt sind. Die kasuistische Rechtsprechung und immer kürzere „Erneuerungszyklen“ der Vorschriftenwerke mache es in der Praxis schwierig, stets basierend auf dem aktuellen Sach- und Rechtsstand rechtssicher Vergabeverfahren durchzuführen. Es bestehe hoher Fortbildungs- und Beratungsbedarf, eine Vielzahl von Vergabestellen sei bei Oberschwellenvergaben auf die Hilfe Dritter angewiesen. Verschärft werde dies dadurch, dass sich die Personalsituation in den staatlichen Behörden und den Kommunen nicht positiv entwickelt habe.

Frage: Welche Konkreten Fehlerquellen werden genannt?

Antwort: Als konkrete Fehlerquelle nennen unsere Auftraggeber-Mandanten die Bestimmung von Auftragswerten (insb. bei Bau- und Planungsleistungen) sowie die Abgrenzung von Bau- und Lieferleistungen, die Wahl der Verfahrensart (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV), das Dilemma zwischen Produktneutralität und eindeutiger Leistungsbeschreibung, die Verwendung der CPV-Nomenklatur (insb. bzgl. Informations- und Kommunikationstechnologie, Forschungsgeräten, sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen), die Nachforderung von Unterlagen (§ 56 Abs. 2 VgV), die Eignungs- und Zuschlagskriterien, Dokumentations- und Begründungsmängel, die Bildung von Teillosen (§ 97 Abs. 4 Satz 2 GWB), die Verpflichtung zur Festlegung einer Höchstmenge der abrufbaren Leistung nach § 21 Abs. 1 VgV bei der Vergabe von Rahmenvereinbarungen, Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit, die Veröffentlichung von Bekanntmachungen (§ 37 VgV), die Anwendbarkeit des Beschaffungsübereinkommens (GPA), die Einheitliche Europäische Eigenerklärungen (EEE) sowie die rechtskonforme elektronische Übermittlung von Informationen über die E-Vergabe-Plattform gem. § 134 GWB, § 162 Abs. 1 VgV und die Einhaltung der strikten elektronischen Kommunikation über die Vergabeplattform (§ 9 Abs. 1 VgV; § 11 Abs. 1 VOB/A EU).

Frage: Leisten rechtliche Vorgaben bestimmten Umsetzungsproblemen Vorschub?

Antwort: Unsere Auftraggeber sehen die bestehenden hohen rechtlichen Vorgaben als Ursache dafür, dass die Anzahl zuschlagsfähiger Angebote immer mehr abnimmt, insbesondere wenn Umwelt- und Sozialvorgaben eine Rolle spielen. Die als sehr groß empfundene Diskrepanz zwischen den Schwellenwerten im Liefer- und Dienstleistungsbereich auf der einen und dem Baubereich auf der anderen Seite seien nicht vermittelbar. Zudem seien die sehr langen Fristen des EU-Vergaberechts ein Hindernis, flexibel auf Bedarfe und Marktsituationen zu reagieren.

Frage: Ist Vergaberecht noch zeitgemäß?

Antwort: Nur bedingt.

Aufgrund aktueller Entwicklungen ist im Bereich Verteidigung und Sicherheit eine Änderung an den bestehenden Regelungen erforderlich geworden, um den Bedarf für Einsätze bzw. einsatzgleiche Verpflichtungen der Bundeswehr schneller zu decken. Die militärischen und die zivilen Sicherheitsbehörden stehen vor neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Die Notwendigkeit, kurzfristig und effektiv auf sicherheitsrelevante Entwicklungen sowohl im In- als auch im Ausland reagieren zu können, gewinnt immer größere Bedeutung. Dabei werden die Herausforderungen vielfältiger und reichen von internationalem Krisenmanagement über die Abwehr terroristischer Gefahren bis zu Fragen der Cybersicherheit und der asymmetrischen Kriegsführung. Ziel muss es sein, bessere Möglichkeiten für eine beschleunigte Beschaffung zu schaffen, die vergaberechtlichen Regularien im Falle kurzfristiger Anforderungen an die Beschaffung noch besser zu nutzen und die vergaberechtlichen Spielräume für eine schnelle Beschaffung konsequenter zu nutzen.

Frage: Hat die Corona-Pandemie die Bedeutung der öffentlichen Beschaffung verdeutlicht?

Antwort: Ja. Aber auch die Grenzen aufgezeigt.

Durch zeitweise Engpässe bei Gütern wie Atemschutzmasken, Medikamenten und medizinischen Hilfsmitteln wurde die zentrale Rolle funktionierender Beschaffungsprozesse zur akuten Bewältigung der Krise sichtbar. Unter dem Eindruck der COVID-19-Pandemie sind Vereinfachungen im Vergabeprozess eingeführt worden, die über Gebühr und unsachgemäß angewendet worden sind.

Beispiel:

Ein Auftrag der nordrhein-westfälischen Landesregierung an die Modefirma van Laack beschäftigte die VK Rheinland. Das Mönchengladbacher Unternehmen van Laack hatte im Zuge der Corona-Pandemie mehrere Aufträge für Schutzausrüstung erhalten. Vor allem die Bestellung von zehn Millionen Schutzkitteln sorgte für Debatten, weil bekannt wurde, dass Johannes «Joe» Laschet, der Sohn von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), den Kontakt zu der Firma hergestellt hatte. Neben den Kitteln hatte die Textilfirma auch zwei Aufträge der NRW-Polizei über je 1,25 Millionen sogenannter Alltagsmasken aus Stoff bekommen.

Frage: Gab es auch Entscheidungen?

Antwort: Ja.

Beispiel:

Coronapandemie als Rechtfertigung für die Aufhebung eines Vergabeverfahrens?

VK Bund, Beschl. vom 07.05.2020 (Az.: 2-31/20)

Frage: Was wird benötigt?

Antwort: Unsicherheiten sind zu beseitigen. Klarstellungen sind vorzunehmen. Hindernisse sind zu beseitigen.

Beispiel 1

Obergrenze bei Rahmenvereinbarungen (EuGH 19.12.2018, C-216/17)
Hinsichtlich des o.g. Urteils des EuGH besteht Unsicherheit, inwieweit die derzeitige Rechtslage bei der Vergabe von Rahmenvereinbarungen in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen die Angabe einer Obergrenze erfordert. Derzeit wird deshalb teilweise der geschätzte Auftragswert in den Vergabeunterlagen als Obergrenze genannt und mit einer Option im Sinne des § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GWB verbunden. Es stellt sich die Frage, ob die Erhöhung der Obergrenze durch eine quantitative Leistungserweiterungsoption im Sinne § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GWB dem Zweck des Missbrauchsverbots von Rahmenvereinbarungen entgegensteht. Die praktische Handhabbarkeit bereitet Schwierigkeiten. Zudem ist zwischenzeitlich ein neues Vorabentscheidungsverfahren (EuGH, C-23-20) anhängig. Bis zur Entscheidung wird davon ausgegangen, dass eine Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur alten Vergaberichtlinie möglich ist.

Beispiel 2

Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit (§ 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GWB)
Nach dem Wortlaut des § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GWB ist die Auftragsänderung in den dort genannten Fällen ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig, wenn der Wechsel des Lieferanten aus wirtschaftlichen und technischen Gründen nicht erfolgen kann und mit erheblichen Schwierigkeiten oder beträchtlichen Zusatzkosten verbunden wäre. Es besteht Unsicherheit darüber, inwieweit sich der Meinung in der Literatur angeschlossen werden kann, dass es sich um redaktionelles Versehen handelt und das Wort „und“ als „oder“ zu lesen ist und somit ein alternatives Vorliegen von Tatbestandsmerkmalen ausreichend ist. § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GWB regelt nicht, inwieweit zusätzliche Leistungen, die nicht zur Erfüllung der Vertragsleistung erforderlich sind, und die nach Nr. 1.4.2. des Leitfadens 510 des VHB ausschreibungspflichtig sind, einen Bezug zur ausgeschriebenen Leistung haben müssen, damit kein gesondertes Vergabeverfahren durchgeführt werden muss. Gewünscht wird eine Klarstellung, ob ggf. eine separate Ausschreibung erforderlich ist und ob und inwieweit ein sachlicher Zusammenhang mit der beauftragten Leistung des Hauptauftrages erforderlich ist.

Beispiel 3

Bereitstellung der Vergabeunterlagen (§ 41 Abs. 1 VgV)
Fraglich ist, ob auch bei zweistufigen Vergabeverfahren (nicht offene Verfahren mit Teilnahmewettbewerb, Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb) sämtliche Vergabeunterlagen, d.h. auch die Unterlagen für die Angebots- bzw. Verhandlungsphase, die sich dem Teilnahmewettbewerb anschließt, bereits mit der Bekanntmachung des Teilnahmewettbewerbs veröffentlicht werden müssen. Hierzu existieren unterschiedliche Rechtsmeinungen (vgl. OLG München, Beschluss vom 13. März 2017, Verg 15/16 – NZBau 2017, 371 und OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Oktober 2018, VII-Verg 26/18 – NZBau 2019, 129 ff., Rn 45).

Beispiel 4

Auslegung der Regelung § 3 Abs. 6 VgV zur Auftragswertberechnung bei Bauaufträgen
Unsicherheit besteht darüber, inwieweit bei der Auftragswertbetrachtung die Architekten- und Ingenieurleistungen zu den geschätzten Baukosten (abzgl. Umsatzsteuer) hinzuzurechnen sind.

Beispiel 5

Bekanntmachung der Vergabeunterlagen oberhalb der EU-Schwellenwerte (§§ 37, 38 VgV, § 12 EU VOB/A)
Hier wird die Einführung einer Öffnungsklausel in Bezug auf die Verpflichtung, die Vergabeunterlagen zum Zeitpunkt der Vorinformation oder der Bekanntmachung bereits vollständig, unmittelbar und uneingeschränkt bereitzustellen, vorgeschlagen.

Beispiel 6

Nachforderung von Unterlagen (§ 56 Abs. 2 VgV)
Es bestehen Rechtsunsicherheiten bei allen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen und allen Verfahrensarten, wie weit das Nachreichen fehlerhafter unternehmensbezogener Unterlagen sowie die Ergänzung von Referenzen ausgelegt werden kann.

Beispiel 7

§ 120 Abs. 4 GWB
Nach § 120 Abs. 4 GWB können zentrale Beschaffungsstellen für andere öffentliche Auftraggeber öffentliche Aufträge vergeben oder vermitteln.
In der Auftragsbekanntmachung muss der öffentliche Auftraggeber die zuständige Nachprüfungsinstanz angeben und er kann auch angeben, ob der Auftrag von einer zentralen Beschaffungsstelle vergeben wird. Die Übermittlung des Nachprüfungsantrags erfolgt in der Regel an den dort genannten öffentlichen Auftraggeber, was nicht unbedingt zutreffend sein muss. Denn im Falle einer zentralen Beschaffungsstelle sind zwei oder mehrere öffentliche Auftraggeber beteiligt, wobei sich erst aus dem Innenverhältnis ergibt, wer die Leistungen tatsächlich vergibt bzw. die Verträge letztendlich schließt. Die Verantwortlichkeit für die Rechtmäßigkeit der Vergabe ergibt sich deshalb erst aus dem Innenverhältnis, das bei Einleitung des Nachprüfungsverfahrens nicht bekannt ist. Dies hat zwei Auswirkungen: Es lässt sich nicht erkennen, ob der Nachprüfungsantrag an den richtigen Auftraggeber zugestellt worden ist und das Zuschlagsverbot ausgelöst wurde. Es lässt sich nicht erkennen, welche Vergabekammer für die Nachprüfung zuständig ist, wenn mehrere öffentliche Auftraggeber tätig werden (Beispiel: Straßen NRW und neue Autobahn GmbH). Es sollte aus der Bekanntmachung klar erkennbar sein, wer der öffentliche Auftraggeber ist.

Beispiel 8

§ 124 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 7 GWB
Die Anwendung der Tatbestandsmerkmale bereitet den öffentlichen Auftraggebern offensichtlich erhebliche Schwierigkeiten, die dann in die Nachprüfungsverfahren getragen werden. Hier geht es insbesondere darum, dass die Vergabekammern innerhalb eines Nachprüfungsverfahrens außervergaberechtliche Streitigkeiten im Rahmen einer sogenannten Inzidentkontrolle mitentscheiden sollen, obwohl das so nicht vorgesehen ist und auch nicht sein sollte. Wann hat ein Unternehmen im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen? Oft stehen ordnungsbehördliche Erlaubnisse dahinter, die nicht verlängert werden, oder strafrechtliche Ermittlungsverfahren, die nicht abgeschlossen sind. Die vorzeitige Beendigung eines Vertragsverhältnisses aufgrund Schlechterfüllung bereitet erhebliche Probleme in der Praxis. Muss die „Beendigung“ unstreitig vorliegen oder reicht es aus, wenn Klagen bei den Zivilgerichten vorliegen bzw. geplant sind? Was ist eine vergleichbare Rechtsfolge?

Beispiel 9

§ 65 Abs. 5 Satz 1 VgV
Die Regelung befindet sich im Abschnitt 3 als Besondere Vorschrift für die Vergabe von sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen. Unter diese Vorschrift fallen nach Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU auch Sicherheitsdienstleistungen beispielsweise in Flüchtlingsunterkünften oder in öffentlichen Einrichtungen und dem ÖPNV mit dem CPV-Code 79700000 etc..

Die Regelung eröffnet den Vergabestellen die Möglichkeit, die Referenzen des Bieters oder die Referenzen des vom Bieter eingesetzten Personals auf der Ebene der Zuschlagsentscheidung zu berücksichtigen und stellt somit eine Erweiterung des § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr.2 VgV dar, der lediglich die Einbeziehung der Qualitätskontrolle bei dem Personal vorsieht, das tatsächlich für den zukünftigen Auftrag eingesetzt werden soll (sog. Projektteams bei Architektenwettbewerben usw.). Diese Vorschrift mag zwar sinnvoll im Bereich von arbeitsmarktpolitischen Dienstleistungen sein, aber nicht bei anderen unter Anhang XIV fallenden Dienstleistungen. Die Vergabekammer Westfalen hat deshalb eine Ausschreibung eines öffentlichen Auftraggebers vollständig aufgehoben, weil die Regelung nach ihrer Auffassung europarechtskonform anzuwenden ist. Die Leistungen des Bieters (Unternehmensreferenzen) dürfen deshalb nicht auf der 4. Wertungsstufe (erneut) berücksichtigt werden. Eine entsprechende Klarstellung wird angeregt.

Beispiel 10

Nachweisführung durch Gütezeichen, § 34 VgV
Die Regelung des § 34 VgV löst Rechtsunsicherheiten aus, da nicht klar ist, ob allein die Forderung des Gütezeichens ausreicht oder aber die einzelnen Anforderungen zu benennen sind.

Beispiel 11

Anforderungen an die ausführenden Personen, § 46 VgV
Für öffentliche Auftraggeber hat die Qualifikation und die Erfahrung des ausführenden Personals erhebliche Bedeutung. Eine ausdrückliche Erwähnung erfahren die ausführenden Personen lediglich unter § 46 Abs. 3 Nr. 2 VgV. Es spricht jedoch vieles dafür, die Anforderungen an die ausführenden Personen auch in § 46 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 VgV hineinlesen zu können. Mangels ausdrücklicher Regelung bedeutet diese Einordnung allerdings Rechtsunsicherheiten.

Beispiel 12

Nachforderung von Unterlagen, § 56 VgV
Bzgl. des ausführenden Personals: Korrespondierend mit den Ausführungen zu den Anforderungen an die ausführenden Personen stellt sich die Frage, ob es sich um unternehmensbezogene bzw. leistungsbezogene Unterlagen oder keine der beiden Alternativen handelt. Sofern man es unter § 46 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 VgV subsumieren würde, wären die Anforderungen als unternehmensbezogene Unterlagen einzuordnen. Dieser Aspekt bedeutet eine weitere Rechtsunsicherheit. Entscheidungsspielräume der Auftraggeber bzgl. der Anwendung der Alternativen des § 56 Abs. 2 VgV: Dem öffentlichen Auftraggeber steht gem. § 56 Abs. 2 S. 1 VgV ein Ermessen bei der Nachforderung von Unterlagen zu. Es stellt sich daher die Frage, ob er ein solches Ermessen auch vorab bei der Festlegung gem. § 56 Abs. 2 S. 2 VgV ausüben kann oder nur ein Verzicht auf jegliche Form der Nachforderung möglich ist.

Beispiel 13

Auslegung von § 135 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB
Gem. § 135 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB tritt die Unwirksamkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht ein, wenn der öffentliche Auftraggeber der Ansicht ist, dass die Auftragsvergabe ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union zulässig ist. Sofern die weiteren Voraussetzungen nach den Nr. 2 und 3 vorliegen, stellt sich die Frage, ob für die Ausnahme von der Unwirksamkeit die Rechtsauffassung des öffentlichen Auftraggebers („der Ansicht ist“) ausreicht.

Frage: Welchen Herausforderungen ist wie zu begegnen?

Antwort: Es besteht erheblicher gesetzgeberischer Verbesserungsbedarf.

Beispiel 1

In jüngerer Zeit haben sich Marktsegmente entwickelt, bei denen die Markteilnehmer feste Leistungsmodelle entwickelt haben, die von Anbieter zu Anbieter nicht mehr 1:1 verglichen werden können. Vielfach werden Leistungsgegenstände nur Online vermarktet. Hier besteht in vielen Fällen nicht das Interesse der Anbieter, individuelle Angebote zu erstellen, sich einer Eignungsprüfung zu unterziehen oder auf die Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu verzichten. Dieses neue Markgeschehen korrespondiert nicht mit den Verfahrensregeln des Vergaberechts. Zunächst wären kleinteilige Gegenstände zu nennen, die nahezu nur noch Online erhältlich sind. Soweit hier größere Mengen zu beschaffen sind, könnte der Schwellenwert überschritten werden. In diesem Bereich entfällt dem öffentlichen Auftraggeber aufgrund der starren Vergabevorschriften ein komplettes Marktsegment, welches möglicherweise zu wirtschaftlicheren Ergebnissen führen würde. Insofern wäre eine flexiblere Handhabung in den gennannten Bereichen beispielsweise die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots durch andere Mittel als die der Ausschreibung, beispielsweise durch Preisvergleich wünschenswert.

Zu nennen sind auch Abonnements von Fotodatenbanken, die Teilnahme an social-media-Kanälen, Öffentlichkeitsarbeit durch klassische Medien (Radiosender, Fernsehen, Zeitungen) oder die Beschaffung von Computerlizenzen. Soweit Vergaben auf die Nutzung elektronischer Medien gerichtet sind, stellt das die Vergabestellen vor neue Herausforderungen. Im Bereich der sog. social media, wie z.B. Facebook, Twitter oder Instagram bestehen von den Anbietern vorgegebene Leistungspakete, von denen sie nicht abzuweichen bereit sind. Typischerweise geben solche Marktteilnehmer keine Angebote in einem Vergabeverfahren ab. Auch gibt es im Bereich der sozialen Medien keine vergleichbaren Marktteilnehmer. Bestimmte Anbieter webbasierter Medien verfügen quasi über eine Monopolstellung und sind alternativlos zu beauftragen. Um die Bevölkerung flächendeckend zu erreichen, muss wegen des unterschiedlichen Nutzungsverhaltens zudem an mehrere Anbieter vergeben werden. Das aktuelle Vergaberecht bietet keine Handhabe, um auf diese Beschaffungsgegenstände adäquat und flexibel zu reagieren.

Beispiel 2

Eine Ausnahmebestimmung zu Fallkonstellationen, in denen keine wirtschaftliche Fortführung einer bestehenden Leistung außerhalb des bisherigen Vertragspartners erzielt werden kann, wäre wünschenswert. Die Bedingungen des Art. 72 Abs. 1 Buchst. b) i)) und ii)) der RL 2014/24/EU könnten als Maßstab angelegt werden, unter deren Voraussetzung eine Verlängerung der Rahmenvereinbarungslaufzeit in eine unbefristete oder sehr langfristige Laufzeit zulässig ist. In der IT kann dies regelmäßig ein Zeitraum von 10 Jahren sein, nach dem die technischen Novellierungen zu einer Neuaufstellung der Anwendung führen können. Das Ergebnis der derzeitigen Verfahrensweise ist das Risiko des Auftraggebers (hier der Behörde) die in Nutzung befindliche IT-Leistung zur gesetzlichen Aufgabenerfüllung künftig nicht fortgeführt zu erhalten. Denn es besteht das Risiko, dass im Rahmen eines Vergabeverfahrens aus den vorgenannten Gründen keine Angebote abgegeben werden.

Beispiel 3

Im Bereich der Universitätskliniken ergeben sich aufgrund des § 67 Abs. 1 VgV besondere Herausforderungen. Nach § 67 Abs. 1 VgV sind unter anderem bei der Beschaffung energieverbrauchsrelevanter Waren, technischer Geräte oder Ausrüstungen die in § 67 VgV genannten, besonderen Anforderungen an die Energieeffizienz zu berücksichtigen. In der Leistungsbeschreibung sollen nach § 67 Abs. 2 VgV im Hinblick auf die Energieeffizienz insbesondere folgende Anforderungen gestellt werden: (1.) das höchste Leistungsniveau an Energieeffizienz und, (2.) soweit vorhanden, die höchste Energieeffizienzklasse im Sinne der Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung. Ein höchstes Leistungsniveau an Energieeffizienz kann dabei nicht für alle durch ein Universitätsklinikum zu beschaffenden Beschaffungsgegenstände/zu beschaffenden Systeme – dies betrifft vor allem hochkomplexe medizintechnische Großgeräte wie z.B. MRT-Geräte, Linearbeschleuniger, Geräte zur MRT-geführten Strahlentherapie (MR-LINAC), aber ausdrücklich nicht alle durch ein Universitätsklinikum zu beschaffenden Leistungen – ermittelt und folglich auch nicht festgelegt werden. Ebenso wenig ist für entsprechende Systeme eine Kennzeichnung nach der Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung (keine produktspezifische Energieeffizienzklassifizierung) vorgeschrieben bzw. vorhanden. Entsprechende Anforderungen nach § 67 Abs. 2 VgV können dementsprechend in diesen Fällen nicht gestellt werden.

Frage: Hilft Fortbildung?

Antwort: Ja. Aber bitte nicht undifferenziert und mit der Gießkanne. Beschaffung ist nicht einfach gleich VgV oder UVgO. Jeder Beschaffungsgegenstand in seinem speziellen Beschaffungskontext erfährt eine andere Behandlung. Das betrifft die Markterkundung oder die Bestimmung der Eignungs- und Auswahl- und Zuschlagskriterien, die Festlegung der Verfahrensart oder der zu beschaffenden Leistung. Stadtwerke haben anders gelagerte Beschaffungsbedarfe als ein Universitätsklinikum. Eine Gemeinde ist anders unterwegs als ein Bundesministerium. Nicht alle haben die gleichen Probleme: Bei der Ausgestaltung und Ausrichtung der Inhalte ist folgende Binnendifferenzierung vorzunehmen und sind die jeweils unterschiedlichen Bedarfs-/ Bedürfnislagen in den Blick zu nehmen: Spezial- und Vertiefungsthemen VgV/ UVgO für Gemeinden, Städte, Kreise, Bezirke, für Bundesländer und Bund, für Hochschulen, Fortbildungseinrichtungen, für Universitätsklinika, Krankenhäuser

für Forschungseinrichtungen, für Messen, Theater, Kultureinrichtungen, für kommunale Betriebe, Stadtwerke, Verkehr, ÖPNV, Wasser, Abwasser, Gas, Strom, für kommunale Bäder, Freibäder, Hallenbäder, Freizeit.

Frage: Kommen auch organisatorische Fragen in Betracht?

Antwort: Ja. Organisatorische Maßnahmen dienen der Zentralisierung von vergaberechtlichen Kenntnissen und Erfahrungen sowie der Korruptionsbekämpfung. Dazu zählen insbesondere die für Behörden und Einrichtungen des Landes zuständigen zentralen Beschaffungsstellen für die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen, Bauleistungen und Standard-IT-Leistungen. Mit der grundsätzlichen Trennung von Bedarfs- und Vergabestellen wird die vergaberechtliche Kompetenz gebündelt.

Herr Dr. Ax wir danken für das Gespräch.

Die Fragen stellte VergabePrax-Redakteur T. Schmitt.

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VergMan ®, sichere Vergabe- und Angebotsstrategien, Nebenangebote

 

Lässt der öffentliche Auftraggeber nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A Nebenangebote zu, hat er nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 lit. b) VOB/A Mindestanforderungen festzulegen, denen die Nebenangebot genügen müssen. Diese Bestimmung schützt die Bieter, die Nebenangebote abgeben möchten, davor, dass ihre Nebenangebote mit der Begründung zurückgewiesen werden, sie seien gegenüber dem Hauptangebot minderwertig und wichen davon unannehmbar ab. Für eine unbenannte, nicht näher determinierte und damit intransparente Gleichwertigkeitsprüfung zwischen Haupt- und Nebenangeboten lässt § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 lit. b) zum Schutz der Bieter keinen Raum (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.12.2019 – VII-Verg 35/19 Rn. 61 zu § 33 Abs. 1 Satz 1 SektVO). Denn zwar mag eine solche Gleichwertigkeitsprüfung geeignet sein, den Wert von Nebenangeboten im Verhältnis zum Hauptangebot zu beurteilen. Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung genügt eine Gleichwertigkeitsprüfung, für die es keine benannten Bezugspunkte gibt, wenn der Preis das einzige Zuschlagskriterium sein soll, nicht den Anforderungen an transparente Wertungskriterien, da für die Bieter bei Angebotsabgabe nicht mehr mit angemessenem Sicherheitsgrad vorhersehbar ist, welche Varianten die Vergabestelle bei der Wertung noch als gleichwertig anerkennen wird und welche nicht mehr (BGH, Beschluss vom 7.1.2014 – X ZB 15/13).

Mindestanforderungen für Nebenangebote müsse nicht ausdrücklich als solche bezeichnet werden. Jedoch ist erforderlich, dass der Bieter erkennen kann, dass es sich um eine Mindestanforderung handelt. Eine solche Mindestanforderung auch für Nebenangebote kann sich zB aus der Baubeschreibung ergeben, wenn eine dortige Regelung nach der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines durchschnittlichen Bieters des angesprochenen Bieterkreises nur im Sinne einer Mindestanforderung an Nebenangebote verstanden werden kann (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.12.2019 – VII Verg 35/19 Rn. 57, zit. nach juris; zur Auslegung der Vergabeunterlagen nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont auch: Senat, Beschluss vom 21.7.2020 – 11 Verg 9/19 Rn. 117, zit. nach Beck).

Das Leistungsverzeichnis befasst sich als sachlich-technischer Orientierungsmaßstab grundsätzlich lediglich mit den Anforderungen, die an das Hauptangebot gestellt werden (Goede/Hänsel in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage, § 35 VgV Rn. 9; BayObLG, NZBau 2004, 626, 627). Sinn eines Nebenangebots ist es aber, eine davon abweichende Leistung vorzuschlagen (OLG Koblenz, Beschluss vom 31.5.2006 – 1 Verg 3/06 Rn. 60). Würde man also die Mindestanforderungen an Nebenangebote mit den Anforderungen an Hauptangebote gleichstellen, könnte es keine Nebenangebote mehr geben, weil diese dem Leistungsverzeichnis gerade nicht entsprechen (BayObLG, NZBau 2004, 626, 627). Daher ist grundsätzlich eine Vorgabe des Leistungsverzeichnisses nicht als Mindestanforderung für die Nebenangebote zu verstehen.

Etwas anderes kann dann gelten, wenn sich eine Vorgabe im Leistungsverzeichnis etwa auf eine bestimmte Technik oder Ausführung bezieht, die nicht Gegenstand des Hauptangebots sein kann. In einem solchen Fall kann trotz fehlender ausdrücklicher Bezeichnung als Mindestanforderung die Vorgabe im Leistungsverzeichnis oder der Baubeschreibung als Mindestanforderung auszulegen sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.12.2019 – VIII Verg 35/19).

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VergMan ®, sicheres Nachprüfungsrecht (3) Rügepräklusion ./. dürfen (behauptete) Vergaberechtsfehler von Amts wegen berücksichtigt werden

 

Zwar besteht gemäß § 163 GWB der Amtsermittlungsgrundsatz. Doch wird dieser Amtsermittlungsgrundsatz (u.a.) durch die Rügeobliegenheit begrenzt. So dürfen (behauptete) Vergaberechtsfehler nicht von Amts wegen berücksichtigt werden, wenn eine entsprechende Rüge nach § 160 Abs. 3 GWB präkludiert ist, da eine Rügepräklusion ihren Sinn verlöre, wenn der Mangel von Amts wegen eingeführt werden könne (so etwa Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 22.1.2019 – 54 Verg 3/18 Rn. 116; einschränkend OLG München, Beschluss vom 10.8.2017 – Verg 3/17 Rn. 97). Diese Wertung muss ebenso gelten, wenn der Beigeladene mit einer entsprechenden Antragstellung ausgeschlossen ist, weil eine entsprechende unselbständige Anschlussbeschwerde verfristet ist. Denn die Pflicht, ein der Beschwerde entgegenstehendes Rechtsschutzziel rechtzeitig im Rahmen einer Anschlussbeschwerde geltend zu machen, verlöre ihren Sinn, wenn der angebliche Mangel von Amts wegen eingeführt werden könne. Dies widerspräche auch der Mitwirkungsobliegenheit der Beteiligten (§ 167 Abs. 2 GWB), die ebenfalls den Amtsermittlungsgrundsatz beschränkt (Dicks in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage, § 163 Rn. 9). Man könnte allenfalls annehmen, dass trotz der Verfristung einer entsprechenden Anschlussbeschwerde eine Berücksichtigung des geltend gemachten Verstoßes in Betracht kommt, wenn ein so schwerwiegender Fehler vorliegt, dass eine tragfähige Zuschlagsentscheidung bei einer Fortsetzung des Verfahrens praktisch nicht möglich ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 10.8.2017 – Verg 3/17 Rn. 97 zur Berücksichtigungsfähigkeit trotz Rügepräklusion).

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VergMan ®, sicheres Nachprüfungsrecht (2) Rügeobliegenheit bei fehlenden Mindestanforderungen

 

Von einem durchschnittlichen Wettbewerbsteilnehmer, insbesondere aber von fachkundigen und vergabeerfahrenen Bietern, kann erwartet werden, zu wissen, dass grundsätzlich für Nebenangebote Mindestanforderungen anzugeben sind, wenn alleine der Preis über den Zuschlag entscheidet (etwa OLG Schleswig, Beschluss vom 22.1.2019 – 54 Verg 3/18 Rn. 55ff.). Denn diese Rechtslage, die auch der Rechtsprechung des EuGH entspricht (Urteil vom 16.10.2003, C-421-01- Traunfellner), ist von der Literatur zustimmend behandelt worden und zwar auch in Publikationen, die sich an Nichtjuristen und Vergabepraktiker richteten (OLG Schleswig, Beschluss vom 22.1.2019 – 54 Verg 3/18 Rn. 81ff., Vergabekammer Südbayern, Beschluss vom 5.3.2020 – Z3-3-3194-1-47-11/19 Rn. 62). Dieser Rüge ist auch nicht von Amts wegen nachzugehen, da andernfalls die Präklusionswirkungen über den Untersuchungsgrundsatz umgangen würden (OLG Schleswig, aaO Rn. 116).

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